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Modulare Synthesizer
Klangsynthese aus Kabelsalat

Pop, Klassik, Rock, Disco: Mit dem modularen Synthesizer sind etliche Welthits erschaffen worden. Die Faszination haptischen Musizierens, sein Retro-Chic und nicht zuletzt seine Sounds verschaffen dem modularen Synthesizer einen zweiten Frühling. Oder den dritten?

Von Andi Hörmann |
    Modularer Synthesizer
    Ein modularer Synthesizer (imago/Dirk Sattler)
    Musik: Notwist "Signals"
    Kabel, Stecker, Drehknöpfe - und immer wieder diese bunt blinkenden Lämpchen.
    Micha Acher: "Es wurde eigentlich immer wichtiger im Laufe der ganzen Platte, dieses analog mit der Elektronik umzugehen: Dass es nicht so alles im Computer passiert, sondern einfach mit einem analogen, alten System."
    Es sieht mehr nach Messgerät im Forschungslabor aus als nach Musikinstrument.
    Robert Langer: "Da ist viel mehr Leben drin. Selbst in einem ganz elementaren Ton, der nur durch einen Filter läuft, passiert viel mehr, als wenn das jetzt im Rechner als Rechenergebnis erzeugt wird."
    Keine Tastatur, wie der herkömmlich analoge oder digitale Synthesizer: Über das Drehen an Knöpfen und das Umstecken von Kabeln werden die Töne moduliert.
    Mario Schönhofer: "Zum Teil kann das auch sehr sexy sein, wenn man zwischen den Kabeln so ein bisschen hin und her wuseln muss. Und dann steckt man mal um."
    Ein Abtasten der Klang-Materie - ein Erfühlen, ein Erleben, ein Erforschen der Sound-Struktur.
    Peter Pfaff: "Es ist unfertige Musik, sie ist ständig im Fluss, sie wird ständig neu entwickelt und klingt jedes Mal anders."
    Musik: Notwist "Signals"
    Elektronische Avantgarde und Pop treffen sich
    Musik: Kraftwerk "Computer Liebe"
    Düsseldorf: Unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 1981. Ralf Hütter, Florian Schneider, Karl Bartos und Wolfgang Flür basteln in ihrem Kling-Klang-Studio drei Jahre nach "Die Mensch-Maschine" am Sound für das Album "Computerwelt".
    Musik: Kraftwerk "Computer Liebe"
    Die Klangsuche der elektronischen Avantgarde verschwimmt mit der Pop-Verträglichkeit des Mainstreams. Der Modular-Synthesizer wird zum Agent Provocateur unserer Emotionen - lange vor Dating-Portalen hinter mobilen Flat-Screens.
    Musik: Kraftwerk "Computerliebe" ("... Ich bin allein, mal wieder ganz allein / Starr' auf den Fernsehschirm, starr' auf den Fernsehschirm / Hab heut' Nacht nichts zu tun, heut' Nacht nichts zu tun / Ich brauch' ein Rendez-vous, ich brauch' ein Rendez-vous…")
    Blubbernde Rhythmik, umhüllt von einer verzärtelten Melodie: "Computer Liebe" von Kraftwerk - in diesem Popsong steckt die ganze Erotik der Klangsynthese des analogen Synthesizers. Ton und Technik: warm und wahrhaftig, oder auch mal kühl und kalkuliert. Vermutlich hören wir hier einen Polymoog - die Experten in der Netzgemeinde diverser Musik-Foren sind sich nicht ganz einig.
    Musik: Radiohead "Idioteque"
    Sicher aber ist, dass gut 20 Jahre später Radiohead in dem Stück "Idioteque" die Eiszapfen-kalten Beats zur Illustration einer nahenden Apokalypse aus einem Modular-Synthesizer der süddeutschen Firma Doepfer hervorzaubern. Modular, also aus verschiedensten Filter-und-Oszillatoren-Komponenten - analog, und nicht digital. Synthetisch erzeugte Klänge einer dystopischen Narration.
    Musik: Radiohead "Idioteque" ("Who's in a bunker? / Who’s in a bunker? / Women and children first / And the children first / And the children…")
    Wie die Vinylplatte, oder auch die Musikkassette, war er zwar nie weg, aber die Sehnsucht nach dem haptischen Erlebnis in unserer durch und durch digitalen Zeit verschaffen dem modularen Synthesizer einen zweiten Frühling. Oder den dritten? Retro-Chic boomt.
    Musik: Hot Butter "Popcorn"
    Robert Langer: "Das Digitale ist halt sehr perfekt, es kann unglaublich viel. Aber zum einen fehlt das Haptische, dieser unmittelbare Zugriff, dass ich an einem Knopf drehe und sozusagen jeden Parameter, jede Funktion einfach direkt da habe. Und die Qualität des Klangs ist einfach eindeutig eine andere."
    Musik: Die Ströme "You"
    Wir besuchen eine kleine Firma für modulare Synthesizer in Süddeutschland, treffen Besucher und Hersteller des ersten Synthesizer-Festivals in München und lassen uns von ehemaligen Mitgliedern von LaBrassBanda die Faszination modularer Synthesizer erklären. Doch zunächst schauen wir bei Markus und Micha Acher von The Notwist im Proberaum vorbei.
    Besuch bei The Notwist in Weilheim
    Musik: The Notwist "Run Run Run"
    Das oberbayerische Voralpenland: Eine halbe Stunde mit dem Zug von München nach Weilheim. Saftig grüne Hügel vor strahlend blauem Himmel, dümpelnde Pflanzen an trüben Gewässern - da ein verwahrlostes Gehöft, dort schroffe Fichtenwälder.
    Am Bahnhofsplatz wartet Markus Acher - Zauselbart, Brille und Parka. Weilheim in Oberbayern: 20.000 Einwohner. Zur Begrüßung ein kurzes Winken. Er telefoniert. Dunkelblauer Kleinwagen, zwei Kindersitze auf der Rückbank.
    Knapp zehn Autominuten von der Weilheimer Innenstadt: Das Industriegebiet mit Autowerkstatt, Gardinenschneiderei, Werkzeughändler und - dem Musikstudio von The Notwist. Eine umfunktionierte Gewerbehalle, etwa 80 Quadratmeter groß, mit rotem Teppichboden. Unzählige Instrumente stehen und liegen im Raum verteilt.
    Markus Acher: "Hier steht ein altes Schlagzeug, ein Harmonium, ein Klavier, eine Hammondorgel, ein Wurlitzer-Piano, diverse Verstärker, Percussion-Instrumente, Glockenspiel, Xylophon, Keyboards, noch mal Keyboards, noch mehr Keyboards, noch mehr Keyboard und noch ein Keyboard - und eine Kaffeemaschine."
    Modulare Synthesizer stehen nicht mehr im Studio von The Notwist. Auf ihrem 2016 erschienenen Album "Close to the glass" sind sie dennoch zu hören. Der DJ und Produzent Martin Gretschmann alias Acid Pauli hat sie damals angeschleppt - inzwischen gehört er nicht mehr zur Band.
    Micha Acher: "Der Martin hat sich bei dieser Platte bei der ersten Aufnahmerutsche zwei oder drei Teile für ein Modular-Synthie-System gekauft. Da war eben dieser Sound auch dabei und den fanden wir total super. Dann haben wir mit dem Stück angefangen und dann hat er im Laufe dieser ganzen Aufnahme... Das war hier so ein Tisch, der so hoch war... Da hat er sich mit 50 Modular-Stecksystemen so eine Wand aufgebaut und hat sich völlig in dieses Modular-System rein gearbeitet und fand das super."
    Musik: The Notwist "Close to the glass"
    Micha Acher: "Jedes mal haben wir uns gedacht: Oh, Wahnsinn, schon wieder so Teile! Und das hat immer abgefahrener geklungen."
    Musik: The Notwist "Close to the glass"
    Micha Acher: "Wie so ein durch geknallter Professor hinter seiner Wand und hat so an diesen Dingen rum geschraubt. Wir haben alle möglichen Sachen da durch geschickt."
    Musik: The Notwist "Into Another Tune"
    Bach mit dem Synthesizer: Ein riesiger Erfolg
    1964 stellte der Instrumentenbauer Robert Moog den nach ihm benannten Moog-Synthesizer vor. Vier Jahre später sorgte Wendy Carlos mit dem Album "Switched-On Bach" für großes Aufsehen: Klassische Musik auf dem Modular-Synthesizer? Die Avantgarde-Komponisten jubeln, Existenz-Ängste bei Orchestermusikern und fast drei Jahre Platz 1 der Billboard Klassik Charts.
    Musik: Wendy Carlos "Brandenburg Concerto No. 3 In G Major (Second Movement)"
    Schon 1966 schrieb der US-amerikanische Avantgarde-Musiker und Musikpädagoge Morton Subotnick mit einem Buchla Synthesizer Musikgeschichte. Die Komposition 'Silver Apples of The Moon’ gilt als erste elektronische Platte und wurde ein Meilenstein der Avantgardemusik.
    Musik: Morton Subotnick – Silver Apples of the Moon
    Anfang der 1970er-Jahre war der modulare Synthesizer gleichermaßen im Mainstream wie auch im Underground und der Avantgarde angekommen. Im ätherischen Krautrock von Popol Vuh hört man ihn 1971 im epischen "In den Gärten Pharaos".
    Musik: Popol Vuh "In den Gärten Pharaos"
    Oder auch in Tangerine Dreams mystischem "Rubycon Pt. 1" von 1975: Der modulare Moog-Synthesizer.
    Musik: Tangerine Dream "Rubycon Pt. 1"
    Aber auch in einem Gitarren-Smash-Hit von The Who ist er zu hören, der modulare Synthesizer: "Won`t Get Fooled Again" von 1971:
    Musik: The Who "Won't Get Fooled Again"
    In den 1980er-Jahren verdrängten dann billige Digitalsynthesizer die modularen Synthesizer. Erst durch Acid House und Techno entdeckten einige Musiker Anfang der 1990er-Jahre die besonderen Qualitäten von analogem Equipment wieder. Und einige Bastler begannen sogar, neue modulare Synthesizer zu entwickeln. Das Interesse an diesen Geräten stieg, der analoge Bass-Sound boomte in den 1990er Jahren in der EDM, der Electronic Dance Music:
    Musik: Snap! "Rhythm Is A Dancer"
    Comeback für den modularen Synthesizer
    Um die Jahrtausendwende wurde es vergleichsweise still um den modularen Synthesizer. Der Lack ist ab von der mp3-Digitalisierung und ihrer klinischen Sterilität im Sound. Erst mit der experimentellen Pop-Avantgarde Anfang des 21. Jahrhunderts kommt er wieder auf die Bühne zurück. Der modulare Synthesizer ist Kult: Analog wie die Bandmaschine, haptisch wie die Vinyl-Platte und sexy wie das präparierte Klavier. Im Techno hantieren die Produzenten nach dem Hype um die Digitalisierung wieder mit Kabeln und Drehknöpfen. Das Klicken in Presets auf Bildschirmen hat seinen Reiz verloren. Künstler wie Luke Abbott, Richard Devine und James Holden feiern die alten Geräte mit ihrer experimentellen Elektronik:
    Musik: James Holden "Gone Feral"
    Auch die Produzenten der IDM, der sogenannten "intelligenten elektronischen Musik" stecken wieder gerne mit Kabeln ihre Komponenten selbst zusammen. Ambient, Indietronica, Clicks & Cuts, Glitch - in diversen neuen Musik-Genres ist auch der modulare Synthesizer eine begehrte Soundmaschine.
    Musik: Jan Jelinek "Rock In The Video Age"
    Und die Klänge des modularen Synthesizers sind eh zeitlos faszinierend!
    Musik: Daft Punk "Giogio by Moroder"
    Peter Pfaff: "Der Synthesizer ist ein sehr freies Instrument. Er hat einfach nicht diese ganze abendländische Tradition von höfischer Musik oder bürgerlicher Kultur an sich, weil er erst im 20. Jahrhundert so richtig sich entwickelt hat."
    München, Sommer 2018: Zum ersten mal findet in der bayerischen Landeshauptstadt ein Synthesizer-Festival statt. "Knobs & Wires" - zu Deutsch: Drehknöpfe und Kabelstecker. An den einen wird geschraubt, die anderen wandern in Buchsen. Klar, das mechanische Prinzip eines jeden modularen Synthesizers.
    Matthias Schmidt: "Für mich sind Synthesizer irgendwo an der Grenze zwischen Kunst und Musik. Also viele Künstler, die auch bei uns jetzt auftreten, oder generell in diesem Metier unterwegs sind, die bauen auch ihre Geräte selbst, sind also eigentlich im Grunde auch Wissenschaftler, oder zumindest Physiker, die wissen, was da auch passiert im Inneren der Geräte. Und oft sind das auch wunderschöne Geräte. Ich finde: Bildende Kunst, Wissenschaft und Musik kommen da zusammen."
    Peter Pfaff und Matthias Schmidt habe es mit organisiert, das erste Synthesizer-Festival in München. Beide spielen und basteln selbst mit modularen Synthesizern - das klingt bei Peter Pfaff mit seinem Musikprojekt Eshna_Tron nach verhallten Raumschiff-Korridoren:
    Musik: Sarah-Gonputh "I`m still in love" (Eshna_Tron-Remix)
    Peter Pfaff: "Ich habe nie ein Instrument gelernt. Ich wollte das immer. Meine Eltern haben immer gesagt: Du hast nicht genügend Sitzfleisch dafür, das ist rausgeschmissenes Geld, du bist einfach zu fahrig dafür. Das hat mich nicht davon abgehalten, mich dafür zu interessieren und im Laufe der Jahre Dinge zu sammeln, die in irgendeiner Kombination immer wieder elektronisch Klänge erzeugt haben."
    John Dinger: "Ah, you are already recording? Can we stop? Just that I can set up, so that it sounds good."
    Einer der auftretenden Musiker auf "Knobs & Wires" ist John Dinger. Er möchte erst mal ordentlich verkabeln, bevor er Backstage seinen selbstgebauten Synthesizer demonstriert. Der 1978 geborene US-Amerikaner hat sich der tschechische Community "Bastl-Instruments" angeschlossen: Sound-Tüftler, die sich ganz dem modularen Synthies verschrieben haben.
    John Dinger: "Right now I kind of have this a little bit of a out-of-tune melody…"
    Und so klingt sein in Echtzeit erzeugter Acid-House-Track: Kick-Drum, Bass, Hi-Hat, Klangfläche.
    John Dinger: "My favorite thing about working with modular synthesis is working with the instrument itself. You are kind of the conductor and the audience at the same time."
    Interessanter Gedanke: Mit dem modularen Synthesizer wird für John Dinger der Musiker sozusagen gleichzeitig zum Dirigent und zum Publikum.
    Musik: Roman Flügel "Dust"
    Synthesizer-Tüftlerinnen zu Unrecht vergessen
    Auch weibliche Pioniere sind auf dem Festival "Knobs & Wires" ein Thema.
    Kalle Aldis Laar: "Es gab sie, und sie waren auch sehr einflussreich, das lässt sich auch nachvollziehen. Es gab auch viel Kommunikation untereinander, daran hat es nicht gefehlt. Ähnlich wie im Kunstbereich ja auch. Aber an der Präsenz fehlt es total."
    Kalle Aldis Laar - Hörspielautor, DJ und Vinyl-Sammler - gibt in einem Vortrag einen Einblick in die Welt der zu unrecht vergessenen Sound-Tüftlerinnen.
    Musik: Laurie Anderson "Oh Superman"
    Von Ada Lovelace, der Computer-Pionierin Anfang des 19. Jahrhunderts, bis hin zur musikalischen Kunst-Ikone Laurie Anderson: Eine Riege von starken Frauen im Hintergrund, wegbereitend für Legenden wie Stockhausen, Can und Radiohead, eine feministische Minderheit in der männerdominierten Szene der elektroakustischen Musik.
    Auf dem Festival "Knobs & Wires" im Sommer 2018 in München sind kaum Frauen im Publikum. An den Knöpfen der zu Dutzenden ausgestellten Synthesizer drehen fast nur Männer. Der Szene ist das bewusst! Deswegen gibt es wohl auch den Workshop "Modulars For Beginners - safe space for women" der Tschechin Nikol Štrobachova. Die beiden Freundinnen Flo und Simone aus München haben ihn besucht.
    Festival-Besucherin: "Es war ein bisschen überfordernd für mich am Anfang. Das muss ich ehrlich zugeben. Weil es einfach recht komplex ist, wo man was hin stecken muss. Aber es hat Spaß gemacht und am Ende hatten wir auch einen guten Sound."
    Andi Hörmann: "Es ist ja schon erstaunlich, dass so wenig Frauen hier sind."
    Festival-Besucherin: "Wir haben ehrlich gesagt gerade darüber geredet."
    andere Festival-Besucherin: "Ich glaube, das ist einfach so eine Männer-Domäne. Deswegen sind hier wenig Frauen vertreten. Obwohl es ja für sie genauso zugänglich oder machbar ist."
    Nikol Štrobachova: "Ich bin selbst erstaunt. Die Frauen sind wirklich talentiert. Nach diesem dreistündigen Workshop haben die Teilnehmerinnen einen wirklich tollen Track zusammengebastelt. Ich haben ihn aufgenommen."
    Nicht Talent fehlt, sondern Mut
    Nikol Štrobachova ist selbst überrascht und ein wenig ratlos, warum so wenige Frauen auf Synthesizer abfahren. Die können das genauso, meint sie, man sollte sie nur noch mehr ermutigen. Von dem im Workshop entstanden Track ist sie ganz begeistert und spielt einen Mitschnitt auf ihrem Smartphone ab:
    Nikol Štrobachova: "Es geht nicht um können oder nicht-können, sondern darum, die Frauen dazu zu ermutigen. Ich weiß nicht, warum das bisher noch nicht der Fall war."
    Spiel- und Experimentierfreude, ganz im Sinne der Idee "modularer Synthesizer": Ein offenes System, unendlich erweiterbar. Eines kommt dabei zum anderen: An den Knöpfen drehen heißt hier vielleicht auch an der Geschichte drehen. Mit dem ersten Synthesizer-Festival "Knobs & Wires" in München gab es so auch ein wenig praktischen Feminismus. Emanzipation der Klangsynthese: Beim Musiker, aber natürlich auch im Sound.
    Festival-Besucher: "Faszinierend ist eigentlich das Unvorhersehbare, was letztendlich erreichbar ist, was man mit den Preset-Sachen von den normalen Synthesizern halt nicht erreichen könnte. Wenn dann nur, wenn man den Synthesizer in die Tiefe studiert hat. Aber das kann man so spielerisch erreichen."
    Peter Pfaff: "Das ist im Endeffekt das, was Lee Scratch Perry über Dub-Musik gesagt hat: Es ist "unfinished music", "it`s only versions". Also es ist kein Werk, das fertig ist und dann reproduziert wird, sondern es ist immer im Fluss. Es ist ein ständiger, kreativer Prozess. Jedes mal steckst du das Ding zusammen und es klingt immer ein bisschen anders. Du lernst es zwar zu beherrschen, weil du baust es dir selber auf, du steckst es dir selber, aber es ist jedes mal ein neues Spiel und klingt auch jedes mal anders."
    Musik: Soulwax "Essentials Three"
    Die Brüder Stephen und David Dewaele alias "2 Many DJs" aus dem belgischen Gent haben als Band Soulwax 2018 mit ihrem Album "Essentials" eine richtiggehende Hommage an den modularen Synthesizer veröffentlicht. Tanzbar, groovy, rauschhaft. Der Modular-Synthesizer im Band-Kontext als zeitgemäße High-End-Variante. Die Stücke sind durchnummeriert: "Essential", eins bis zwölf. Es geht bei Soulwax um das Essentielle, das Wesentliche im Sound, der Klang als Synthese: Künstlerischer Input, musikalischer Output, die Komposition als Mittel zum Zweck. Tanzen!
    Musik: Soulwax "Essentials Eleven"
    Robert Langer: "Mein Name ist Robert Langer. Meine Motivation war, modulare Synthesizer wirklich erschwinglich zu machen, so dass viel mehr Leute einen Zugang dazu kriegen."
    "Innovationsquartier Murnau". Eine Marktgemeinde mit knapp 12.000 Einwohnern, unweit von Garmisch-Partenkirchen, direkt am Staffelsee. Hier hat Robert Langer seine Synthesizer-Werkstatt. Ein Zimmer in einem ehemaligen Krankenhaus, in dem nach der Stilllegung die Kreativ- und Kulturwirtschaft mit diversen Start-Ups eingezogen ist. "Tangible Waves" - also berühr-, greif-, fühlbare Wellen - nennt Robert Langer seine Synthesizer-Schmiede, die er 2017 über Crowdfunding ins Leben gerufen hat. Die Wellenformen in der Tonerzeugung, auch der musikalische Laie soll sie zum Schwingen bringen. Sein Anspruch ist der niederschwellige Zugang zu den modularen Stecksystemen der Synthesizer-Kultur.
    Robert Langer: "Ich habe gesehen, dass viele Leute sehr interessiert sind an der Technik, aber doch diese Einstiegshürde, ich sage mal zwei bis dreitausend Euro, für viele doch zu hoch war. Es sind auch viele Leute, die einfach - und das kann ich total verstehen, weil ich auch schon immer so ein Typ war - die Spaß daran haben, mit Klängen zu experimentieren. Das ist einfach ein ganz faszinierendes Feld, mit Klangfarben sich zu beschäftigen, mit so Modular-Synthesizern kann man wirklich bis an die Wurzel der Tonerzeugung gehen und kann entdecken: Wie funktioniert eine Filterung, wie ist das mit den Obertönen, wenn man die weg nimmt?"
    Andi Hörmann: "Ich sehe hier ganz viele orangene Schächtelchen, da sind die Bauteile drin."
    Robert Langer: "Da sind Bauteile drin. Der Weg ist ja immer der, dass man zunächst mal die elektronische Schaltung als solche entwickelt. Im Prinzip die Kombination von elektronischen Bauelementen, Widerstände, Kondensatoren, integrierte Schaltungen, und so weiter, die eben, wenn der Strom durchfließt etwas bestimmtes macht. Das macht man üblicherweise auf solchen Steckbrettern, da kann man einfach experimentell so eine Schaltung mal entwickeln und verfeinern und die genauen Werte raus finden. Und wenn das abgeschlossen ist, ist der nächste Schritt, eine sogenannte Leiterplatte zu erstellen. Das sind so Kunststoffplatten mit Kupferbahnen drauf. Und da werden dann die Bauteile im Kleinformat aufgelötet."
    Die Platinen hinter den Modulen, Oszillatoren und Filter, für Tonhöhe und -Tiefe. Die einzelnen Komponenten der modularen Synthesizer verschraubt Robert Langer in seinem nur etwa 15 Quadratmeter kleinen Werkstatt-Zimmer. Das Einstiegsmodell liegt bei etwa 400 Euro. Und wie klingt es?
    Robert Langer: "Das ist so ein Demo-Gerät, wo halt ziemlich viel schon mal drin ist."
    Andi Hörmann: "Ungefähr so groß wie eine… Ein bisschen größer als eine Computer-Tastatur."
    Robert Langer: "Ja, kann man so sagen. Etwas tiefer. Das sind 45 mal 22 Zentimeter. Und das sind alles so einzelne Module: Zehn Zentimeter hoch, zweieinhalb Zentimeter breit, mit einigen Reglern drauf. Am oberen Rand: Buchsen für Eingänge und Ausgänge. Ja, und diese einzelnen Module kann man mit solchen kleinen Steckkabeln miteinander verbinden. Die sind im Grunde voneinander unabhängig und ergeben erst in der Zusammenschaltung über die Kabel dann einen Sinn."
    Atmo: Synthesizer von "Tangible Waves" - I
    Robert Langer: "So hören wir einfach mal einen Rechteck-Ton. Das ist ganz ein simpler Ton. Aber das ist das Rohmaterial von so einem Synthesizer. Mit einem Regler kann ich jetzt die Frequenz, also die Tonhöhe regeln. Und der nächste Schritt wäre, damit jetzt mal über einen Filter zu gehen."
    Andi Hörmann: "Also Kabel umstecken."
    Robert Langer: "Ich gehe jetzt von Oszillator in den Eingang von einem Filter. Die Tonhöhe ist die gleich, aber man hört jetzt den Ton wesentlich dumpfer. Und wenn ich das Filter jetzt weiter aufdrehe, dann kann ich den Klang ins seiner Oberton-Haltigkeit formen. Oder ich kann über so einen Filter noch eine Resonanz reinbringen. Das ist dann wie so ein Pfeifen fast, wenn es sehr extrem ist."
    Andi Hörmann: "Das ist ja schier unerschöpflich, weil es immer wieder neue Nuancen gibt."
    Robert Langer: "Richtig. Gerade die Nuancen machen es aus. Das sind oft minimale Regler-Bewegungen, wo dann plötzlich irgend ein Oberton-Anteil, irgend eine Resonanz dann so hervorsticht, und damit spielt man dann.
    Atmo: Synthesizer von "Tangible Waves" - II
    Musik: Thomas Tallis "Spem in alium"
    Robert Langer: "Ich höre auch zum Beispiel gerne Renaissance-Musik, so mittelalterliche Chormusik finde ich fantastisch. Da sind für mich auch zum Teil in dieser Vielstimmigkeit Elemente drin, die ich wiederum auch von der Elektronik kenne. Gerade was im Mittelalter so geschrieben wurde, so 15. Jahrhundert. Thomas Tallis zum Beispiel finde ich fantastisch. Diese Schichtungen von Chören, von Stimmungen, die ist wunderbar. Spem in alium zum Beispiel, ein fantastisches Stück, auch von einer unglaublichen Weite."
    Musik: Thomas Tallis "Spem in alium"
    Transzendenz über modulare Klangsynthese
    Robert Langer: "Es ist auch spannend zu sehen, dass es so eine bestimmte Art von Aussage auch vor 500 Jahren schon gab, nur halt mit anderen Mitteln. Dass es vielleicht… Wie würde ich es ausdrücken? Dass es so einen Raum gibt, jenseits der scheinbar üblichen Realität, den man auch erleben kann, indem die Augen zu sind und übers Ohr ein bestimmter Klang im ganzen Ich was auslöst, was einen in diesen Raum bringt."
    Musik: Thomas Tallis "Spem in alium"
    Musik: Die Ströme "Es Wird Zeit"
    Das Ohr als Tür zum Bewusstsein: Transzendenz über modulare Klangsynthese. Das Münchner Duo "Die Ströme" hat sich seit 2015 ganz dem modularen Synthesizer verschrieben. Dabei haben Tobi Weber und Mario Schönhofer jahrelang E-Bass und Percussion bei der wilden, bayerischen Blasmusik-Combo LaBrassBanda gespielt.
    Mario Schönhofer: "Na ja, als wir anfingen bei LaBrassBanda, haben wir auf der ersten Tournee tatsächlich auch ein Modular-System dabei gehabt, weil wir verschiedene, neue Sachen ausprobieren wollten. Und das generelle Konzept von LaBrassBanda ist nicht so komplett unterschiedlich zu Techno-Musik, wie man ursprünglich wegen der Instrumentierung vielleicht glauben könnte. Es sind sehr technoide Elemente bei LaBrassBanda dabei."
    Musik: LaBrassBanda "Autobahn"
    Tobi Weber: "Es ist jetzt keine klassische, bayerische Blasmusik oder traditionelle Musik. Wir haben auch Techno-Stücke gespielt, aber eben mit akustischen Instrumenten. Der große Unterschied war eher: Weg von akustischen Instrumenten, hin zu elektronischen Instrumenten."
    Musik: Die Ströme "Es wird Zeit"
    Und jetzt stehen zwei mannshohe Modular-Synthesizer mit Komponenten der Firma Doepfer in ihrem Proberaum. Dieter Doepfer hat in den 1990er Jahren mit seiner Open-Source-Philosophie im Entwickeln der modularen Synthesizer einen weltweiten Standard zum Bauen und Verbauen der Klangerzeuger-Komponenten geschaffen - sozusagen die Norm für die Module des Synthesizers, das "Eurorack"-Format. "Die Ströme" arbeiten eng mit Doepfer zusammen und haben auch selbst schon Module mit ihm entwickelt.
    Mario Schönhofer: "Was wir jetzt hier machen, ist einfach mal die grundsätzliche Version wie wir anfangen. Wir haben jetzt hier einen Sequenzer zum Beispiel, einen 16-Step-Sequenzer, mit dem wir viele Sachen live erzeugen. Wir können jetzt zum Beispiel mal einstellen, dass der Sequenzer acht Töne spielt in Reihe, dass er Töne des c-Moll-Akkords spielt…"
    Atmo: Modularer Synthesizer
    Mario Schönhofer: "Wir können jetzt hier am Sequenzer verschiedene Sachen erzeugen, verschiedene Tonhöhen… Wir können jetzt hier zum Beispiel Töne raus nehmen… Man kann die Sequenz auch erweitern auf 16 Töne zum Beispiel… Ich schalte das mal kurz aus. Die zweite Spur könnte man legen auf den Filter, das heißt: Dass ein dumpfer oder brillanter Ton kommt…
    Atmo: Modularer Synthesizer
    Mario Schönhofer: "Man müsst jetzt hier den Regler immer auf und zu machen. Und diesen Regler kann man über eine analoge Spannung automatisieren…"
    Atmo: Modularer Synthesizer
    Mario Schönhofer: "Und so kann man live jeden Parameter automatisieren mit den Sequenzern. Und man kann die Sequenzer untereinander noch sich beeinflussen lassen, was natürlich live zu sehr spannenden Ergebnissen führt, die manchmal vorhersehbar, manchmal unvorhersehbar sind."
    Andi Hörmann: "Das ist doch auch der ewige Reiz, diese Interaktion Mensch-Maschine."
    Tobi Weber: "Total. Du hast eine Klangvorstellung, du weißt, das Instrument, die Maschine kann das bringen. Aber gleichzeitig beeinflusst dich das Instrument wieder. Oder manchmal gibt es auch diesen "happy accident", wo irgendwas passiert, das man nicht erwartet hat und dann findet man es vielleicht ganz toll und macht da weiter. Ja genau, dieses Zwischenspiel zwischen Mensch und Maschine."
    Andi Hörmann: "Und was würde jetzt am besten passen? Wünscht euch ein Lied von euch selber!"
    Mario Schönhofer: "Eine neue Nummer, die es nur auf YouTube gibt, die die meisten Leute von uns kennen, die haben wir live sehr oft gespielt, heißt Panta Rhei. Die gibt es im Internet zu sehen, in verschiedenen Live-Streams."
    Audio: Die Ströme "Panta Rhei"
    Mario Schönhofer: "Panta Rhei ist quasi eine ewige Veränderung. Der Ausspruch stammt von einem griechischen Philosophen. Ich weiß nicht auf welchen Drogen er war. Er ist mal irgendwann ins Wasser gestiegen und hat gemerkt, es ist nie das selbe Wasser, das an einen vorbeiläuft. Panta Rhei steht im Prinzip für permanente Veränderung…"
    Andi Hörmann: "…und für den modularen Synthesizer, und für die Ströme."
    Stecker in die Buchse, Plug & Play, bunte Kabel - von einem Modul zum anderen. An Knöpfchen drehen, die LED-Lämpchen blinken. Der modulare Synthesizer hat etwas Anachronistisches in unserer durch und durch digitalisierten Zeit. Seit den 1960er Jahren hören wir ihn in der Popmusik. Er war nie weg - und wird es auch nie sein. Ein organisches Instrument, das sich rhizomartig durch die Musikgeschichte bewegt - und auch in der ganz persönlichen Plattensammlung Spuren hinterlässt.
    Musik: Kraftwerk "Die Mensch Maschine"
    Mario Schönhofer: "Also das erste, woran ich mich wirklich so ganz klar erinnern kann, da müsste ich so fünf oder sechs Jahre alt gewesen sein, das war von Kraftwerk "Mensch-Maschine" im Plattenregal von meinem Vater. Und Jean Michel Jarre "Oxygene". Das war für mich Musik, so wie ich sie noch nicht gehört habe. Und auch der Klang dieser Platten, das war für mich so besonders, dass ich gedacht habe: Was ist das für ein Instrument? Später dann so mit zehn, elf oder so habe ich mir gedacht: Mit einem Synthesizer kann ich mir jeden Klang, den ich mir im Kopf vorstelle irgendwie erzeugen."
    Musik: Jean Michel Jarre "Oxygene Pt. 2"
    Die elektronische Klangsynthese mit dem modularen Synthesizer steht für Experimentierfreude, für freies Musizieren, für die Anarchie im Analogen und für die Emanzipation des Sounds gegenüber der strukturierten Notation - und die unendliche Weite im Klang.