Brok nannte Salvini einen klassischen nationalistischen Populisten, der Europa benutze, um deutlich zu machen, wie groß er für Italien auftritt. "Völlig unabhängig davon, dass er Italien damit erheblich schaden wird", sagte Brok.
Wenn der Parteichef der Lega den EU-Stabilitätspakt nicht einhalten werde, hätte das enorme Auswirkungen auf das Land. "Wir müssen sehen, dass es jetzt schon nach diesen Ankündigungen an der Börse gekracht hat und die Rendite italienischer Staatsanleihen erheblich nachgelassen hat. Das würde noch stärker werden. Italien würde schneller einer Pleite entgegenschliddern", sagte Brok.
Auffällig sei, dass es in den letzten 70 Jahren niemals im August eine Regierungskrise gegeben hätte. "Salvini bricht mit allen Traditionen", so Brok.
Das Interview in voller Länge:
Christoph Heinemann: Matteo Salvini strebt Neuwahlen an. Salvini ist italienischer Innenminister und Parteichef der Lega. Sein Chef ist nicht begeistert. Guiseppe Conte sagt zwar, werde er das Parlament zu einer Vertrauensabstimmung einberufen, der Ministerpräsident zeigt sich allerdings auch verärgert, weil Salvini die Tätigkeiten der Regierung so abrupt unterbreche. Es sei nicht Sache des Innenministers, über den Zeitpunkt einer politischen Krise zu entscheiden. Der Hintergrund des Streits: Bei einer Abstimmung im Senat war am Mittwoch ein Antrag der Koalitionspartei Fünf-Sterne-Bewegung abgelehnt worden, mit der ein Projekt für einen Hochgeschwindigkeitszug gestoppt werden sollte. Die Fünf-Sterne-Bewegung hat die Verbindung zwischen Turin und Lyon als zu kostspielig und unnötig abgelehnt. Am Telefon ist jetzt der ehemalige CDU-Europaparlamentarier Elmar Brok. Guten Tag!
Elmar Brok: Guten Tag, Herr Heinemann!
Heinemann: Herr Brok, Sie haben in Ihrer Zeit dem Europäischen Parlament eine zweistellige Anzahl von italienischen Ministerpräsidenten kommen und gehen sehen. Wie würde sich die italienische Politik unter einem Regierungschef Salvini ändern?
Brok: Nun, das wäre endgültig der Bruch mit der italienischen Tradition, ein besonders proeuropäisches Land zu sein. Das ist ein klassischer nationalistischer Populist, der mit Europa nichts am Hut hat, der lieber Europa benutzt, um deutlich zu machen, wie groß er für Italien auftritt, völlig unabhängig davon, dass er damit Italien selbst erheblich schadet, und darin liegt eine große Gefahr.
Heinemann: Wäre das auch ein italienischer Bruch mit der Europäischen Union?
Brok: Ich glaube nicht, dass es so weit geht, weil ich glaube, dass die Auswirkungen wären doch sehr viel katastrophaler als Boris Johnson das erleben wird. Die große Mehrheit der Italiener will auch in der Europäischen Union bleiben, 70, 80 Prozent der Bevölkerung, sodass ich da nicht die unmittelbare Sorge habe, aber er wird provozieren, er wird versuchen zu blockieren, wird das Leben schwermachen, wenn er eine Mehrheit bekommen sollte, die so dominant sein könnte, wie das jetzt die Meinungungsumfragen zum Ausdruck bringen.
"Die Europäische Union muss da tough bleiben"
Heinemann: Provozieren sagen Sie, was würde denn passieren, wenn Salvini den Stabilitätspakt demonstrativ nicht einhielte?
Brok: Ich glaube, da wird er von den Märkten bestraft. Die Europäische Union muss da tough bleiben, deswegen ist es ja auch so, dass der Haushalt vorgelegt sein muss, über den Ihr Korrespondent vorhin gesprochen hat, –
Heinemann: Im März.
Brok: – im Oktober, und wir müssen sehen, dass jetzt schon nach diesen Ankündigungen an der Börse es gekracht hat und die Rendite italienischer Staatsanleihen schon erheblich nachgelassen haben mit der entsprechenden Wirkung. Das würde noch sehr viel stärker werden. Das heißt, Italien würde ganz schnell einer Pleite entgegenschlittern, und er könnte dann gar nichts von seinem Programm verwirklichen, da dann die Märkte Italien dann einen Strich da durchmachen würden. Zusätzlich müsste die Europäische Union hart bleiben in der Frage. Das ist keine angenehme Situation für die Europäische Union, aber dauerhaft eine Katastrophe für Italien.
Heinemann: Italiens Pleite wäre dann die nächste Eurokrise.
Brok: Das ist dann möglich, dass dies der Fall ist, aber ich glaube, dass die Europäische Union heute anders vorbereitet ist auf diese Dinge, weil man doch vieles an Gesetzgebung betrieben hat, die hier mehr Auffangmöglichkeiten zur Verfügung stellt, damit man nicht in solche Krisen automatisch hineinrutscht, obwohl natürlich Italien wegen der Größe des Landes natürlich ein besonderer Faktor ist, aber ich hoffe, dass Salvini auch versteht, dass wenn er so was organisieren würde, er sich auch politisch selbst damit umbringen würde. Ich hoffe, dass da ein Stückchen Vernunft noch vorhanden ist.
Heinemann: Die Staatsanleihen sind unter Druck, die Bankenaktien ebenso. Erwarten Sie einen unruhigen Sommer an den europäischen Börsen?
Brok: Das kann passieren, wenn das so weitergeht. Insbesondere ist es ja auch völlig ungewöhnlich. In 70 Jahren war es Tradition in Italien, dass niemals im August eine Regierungskrise gemacht wird. Deswegen sieht man das, dass Salvini alle Konventionen bricht, und deswegen weiß man nicht, wie weit er es in so einer Frage treiben wird.
Heinemann: Ihr Gedächtnis geht weit zurück, genau. Warum ist Salvini so erfolgreich?
Brok: Da ist die Migrationsfrage, die er ausnutzt in einer übelsten nationalistisch-populistischen Art und Weise. Das hat damit zu tun, dass leider Gottes Matteo Renzi die Chance nicht genutzt hat, auch durch Maß der Überheblichkeit, dass die Sozialdemokraten, also die Partito Democratico, nicht in vernünftiger Weise ihre Chancen genutzt hat, und erst langsam wieder hochgepäppelt werden muss – die sind jetzt bei 20 Prozent –, und dass wir sehen müssen, dass leider Gottes Silvio Berlusconi, der dann noch Steigbügelhalter spielen würde, das verhindert hat, dass es wirklich eine rechtsdemokratische Bewegung gibt.
Brok: Renzi hat Salvini stark gemacht
Heinemann: Entschuldigung, welche Chancen hätte Renzi nicht genutzt?
Brok: Der Renzi hat damals eine Verfassung versucht zu machen, die alles übertrieben hat. Er hat damit Bündnispartner vergrellt und hat dadurch ein Misstrauensvotum zustande gebracht, das dann zu Neuwahlen geführt hat und Salvini dann stark gemacht hat, und vor allen Dingen damals noch die Cinque Stelle stark gemacht hat. Salvini hat wirklich die Dinge übertrieben und dadurch einen großen Fehler gemacht.
Heinemann: Vielleicht liegen aber die Ursachen auch woanders. Welchen Anteil trägt denn die europäische Flüchtlingspolitik an Salvinis Erfolg?
Brok: Ja, das habe ich ja gesagt, dass er die voll und ganz ausnutzt.
Heinemann: Sie haben das jetzt in Bezug auf Italien gesagt, aber was ist zum Beispiel mit Angela Merkels Flüchtlingspolitik?
Brok: Angela Merkels Flüchtlingspolitik darf man jetzt nicht …, den 4. September 2015 sollte man nicht für alle Schwierigkeiten dieser Welt verantwortlich machen.
Heinemann: Nicht für alle, aber vielleicht für den Erfolg von Matteo Salvini.
Brok: Also dies ist doch nicht eine Frage, die mit Angela Merkel was zu tun hat. Das ist eine objektive Flüchtlingsfrage aus Italien, aus Syrien gewesen, im Irak wegen des Krieges und jetzt zunehmend Afrika. Das ist die Frage, wie Europa jetzt zusammenkommt, etwas leistet. Wir müssen aber gleichzeitig sehen, dass andere Länder pro Bevölkerung mehr Menschen aufgenommen haben als Italien, aber Italien stellt das in anderer Weise dar, weil natürlich diese Flüchtlingsboote, das immer die Öffentlichkeit mit sich bringt, wie jetzt diese Flüchtlingsboote dann Salvini ein Argument geben für seinen Populismus.
Heinemann: Wurde das Land lange Zeit mit dem Problem auch alleingelassen?
Brok: Ja, aber diese Probleme sind so gewesen, dass diese Menschen ja durchgeleitet worden sind in einem großen Teil von Italien. Pro Kopf hat Deutschland oder Schweden und andere Länder mehr aufgenommen als Italien. Auch das darf nicht vergessen werden. Italien hat sehr viel Geld von der Europäischen Union dafür gekriegt. Es klingt immer so alleingelassen. Es wird jetzt auch aufgenommen von anderen Ländern, mittel- und osteuropäische Staaten, die Staaten, die vorher in kommunistischer Diktatur waren und keine Menschen aufnehmen. Das ist ein Problem der Europäischen Union, aber nicht eines Großteils der Staaten der Europäischen Union, sondern dieser Staat.
"Ich habe großes Vertrauen in den italienischen Staatspräsidenten"
Heinemann: Warum kann nach Ihrer Einschätzung die linkspopulistische Fünf-Sterne-Bewegung bei Wählerinnen und Wählern nicht so punkten wie Salvinis Lega?
Brok: Vielleicht weil sie hier Beißschwierigkeiten gehabt haben mit diesen populistischen Themen, mit der Migrationsfrage, dass sie nicht so radikal antieuropäisch argumentieren und Salvini einfach aus reinen PR-Gesichtspunkten eine fantastische Arbeit gemacht hat, sich in den Vordergrund zu stellen. Di Maio ist ihm nicht gewachsen, und das ist dann deutlich geworden in dieser Geschichte. Aber Sie müssen sehen, in Umfragen 36 Prozent Salvini, 20 Prozent die Sozialdemokraten, 18 Prozent die Stelle, Berlusconi etwa acht oder zehn Prozent. Da könnte es noch interessante Wendungen geben, um hier die Dinge doch in einer vernünftigen Weise voranzubringen. Ich habe großes Vertrauen in den italienischen Staatspräsidenten. Ich stimme nicht ganz überein mit Ihrem Korrespondenten, dass er gesagt hat, jetzt aufgrund des Drucks, den Haushalt zu verabschieden, vielleicht schnell bereit ist, Wahlen herbeizuführen. Da bin ich mir nicht ganz so sicher, so viel ich vom Staatspräsidenten weiß.
Heinemann: Was soll er machen, wenn die Regierung, die amtierende Regierung im Senat und im Abgeordnetenhaus keine Mehrheit bekommen sollte?
Brok: Nun muss erst einmal eine Parlamentssitzung stattfinden, dann kann ein Misstrauensvotum stattfinden, dann kann der Präsident, der in diesen Fragen eine sehr viel stärkere Stellung hat als der deutsche Bundespräsident, dann jemand anders noch mal beauftragen, eine Regierungsbildung durchzuführen, eine neue Mehrheit zu schaffen. Das sind alles Möglichkeiten eines aktiven Eingreifens bis zu einem bestimmten Punkt, die der italienische Präsident im Rahmen der italienischen Verfassung machen kann.
Heinemann: Ist, Herr Brok, Italien in absehbarer Zeit in der Lage, eine Persönlichkeit für die EU-Kommission zu benennen?
Brok: Sie werden in der Lage sein, aber ich bin mir nicht sicher, ob diese Person – zwei Namen sind da jetzt im Gespräch – in Wirklichkeit dann auch im Europäischen Parlament eine Zusage bekommt. Das wird für Frau von der Leyen noch eine schwierige Situation sein, die Kommission durch das Parlament zu bringen, und dies kann natürlich auch aufgrund von Drohungen von Salvini dazu führen, dass vielleicht die Kommission etwas später ins Amt kommt als vorgesehen zum 1. November.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.