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Mögliche Offensive auf Idlib
"Es geht darum, gemeinsam mit den Russen zu verhandeln"

Der Abgeordnete der türkischen Regierungspartei AKP, Mustafa Yeneroglu, appelliert an die westlichen Staaten, den Druck auf Russland zu erhöhen. Eine politische Lösung des Konflikts im Rahmen der UNO müsse das Ziel sein, sagte er im Dlf. Dafür werde der syrische Staatschef Assad abtreten müssen.

Mustafa Yeneroglu im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Wladimir Putin und Baschar al-Assad geben sich die Hand und lächeln in die Kamera
    Wladimir Putin (links) und Baschar al-Assad (rechts) - enge Partner (picture alliance / Mikhael Klimentyev / Sputnik / dpa)
    Christiane Kaess: Sprechen möchte ich jetzt mit Mustafa Yeneroglu. Er ist Mitglied im Vorstand der türkischen Regierungspartei AKP und er ist Abgeordneter im türkischen Parlament. Guten Morgen!
    Mustafa Yeneroglu: Einen schönen guten Morgen!
    Kaess: Herr Yeneroglu, dieses Gipfeltreffen zwischen der Türkei, Russland und dem Iran vor gut einer Woche, das hat kein Ergebnis gebracht. Was soll das Treffen zwischen Erdogan und Putin heute bringen?
    Yeneroglu: Ja! Aus Sicht der Türkei ist es so, dass letztendlich sämtliche Möglichkeiten, die noch vorhanden sind, genutzt werden sollen, um die russische Regierung davon abzubringen, das syrische Regime bei dem Angriff auf die drei Millionen Zivilisten in Idlib zu unterstützen. Denn ohne die Bombardements der Russen wären die Truppenbewegungen nicht möglich.
    Es geht erst mal darum, dass gemeinsam mit den Russen verhandelt werden soll, um eine größere humanitäre Katastrophe zu verhindern. Da gibt es konkrete Pläne der Türkei, um auch eine Sicherheitsgarantie für russische Stützpunkte zu liefern, um die es ja vorgebrachter Weise gehen soll.
    Kaess: Herr Yeneroglu, lassen Sie uns gleich über die Pläne noch ausführlicher sprechen. Ich möchte von Ihnen noch gerne eine Einschätzung haben zu dem, was der russische Außenminister Lawrow in Berlin gesagt hat. Er hat nämlich gesagt, es ist gar keine Großoffensive auf Idlib geplant. Glauben Sie ihm?
    Yeneroglu: Ich meine, die Fakten widerlegen es. Es ist so, dass es bis jetzt Bombardements gegeben hat. Bei den Bombardements sind schon viele Menschen gestorben. Über 10.000 haben sich schon auf die Flucht begeben. Idlib ist eine Provinz, die an der Grenze zur Türkei liegt. Deswegen ist es natürlich so, dass die Menschen, weil Idlib auch die letzte Deeskalationszone ist, sich Richtung der Türkei bewegen. Da muss man davon ausgehen, dass an die eine Million Menschen sich Richtung Türkei begeben werden, und das wird weitere große Katastrophen mit sich bringen.
    "Vertreibung und Fluchtbewegungen verhindern"
    Kaess: Dann kommen wir zurück auf die Pläne, die Sie angesprochen haben. Die Türkei versucht ja zu vermitteln. Sehen Sie denn Anzeichen, dass die Rebellen bereit sein könnten, sich zu ergeben beziehungsweise abzuziehen?
    Yeneroglu: Es müsste ein Mechanismus in Gang gesetzt werden. Es sollte jetzt allen Parteien darum gehen, gemeinsam zunächst einmal die Bombardements einzustellen, die Truppenbewegungen zu stoppen. Dann muss es darum gehen, dass eine weitere Verhinderung von Vertreibungen und Fluchtbewegungen gerade auch durch die iranischen paramilitärischen Einheiten und auch das syrische Regime mit ihren Bodentruppen verhindert wird. Dann muss man an einer politischen Lösung arbeiten, im Rahmen derer eigentlich auch Assad abtreten muss. Deshalb schlägt die Türkei vor, zunächst einmal eine Sicherheitsgarantie für russische Stützpunkte zu geben, denn das war ja zunächst einmal das Argument für Russland, die Truppenbewegungen mit Flugbombardements zu unterstützen. Und dann soll es darum gehen, dass im Rahmen dieser Verhandlungen eine noch stärkere und gemeinsame Kontrolle des Areals erörtert wird. Da schlägt die Türkei vor, dass ein Mechanismus ergriffen wird, der letztendlich zur Entwaffnung von Gruppen wie HTC und anderen kleineren Gruppen führen soll, und damit müssen wir mit an einer politischen Lösung arbeiten. Nur so kann das funktionieren.
    Kaess: Aber in allem, was Sie jetzt schildern, Herr Yeneroglu, da spielen ja die Rebellen eine ganz wichtige Rolle, und mit denen kann die Türkei verhandeln. Deswegen noch mal meine Frage: Sehen Sie da irgendwelche Anzeichen zu Kooperationen? Das würde für die Aufständischen ja auch ein Verlust bedeuten.
    Yeneroglu: Es ist letztendlich so: Solange die Parteien - beziehungsweise jetzt die Russen - Assad dabei unterstützen, dass er die vollkommene Kontrolle des Areals erreichen will, wird das natürlich schwerlich möglich sein. Aber man muss letztendlich im Moment, um Menschenleben zu schützen, jede einzelne Möglichkeit erwägen, so schwierig das sich anhört. Aber noch schlimmer ist natürlich für alle die größere Katastrophe, denn die Argumentation, dass man letztendlich Terroristen bekämpft, kann ja schon vor dem Hintergrund nicht stimmen, dass weniger als ein Prozent der Einwohner in der Provinz Idlib überhaupt Kämpfer sind. Und dass letztendlich Assad sämtliche Dissidenten und auch die ganze Bevölkerung im Ergebnis als Terroristen abgestempelt hat, das wissen ja alle Seiten. Deswegen müssen wir gemeinsam an einer politischen Lösung arbeiten.
    "Idlib ist die letzte Deeskalationszone"
    Kaess: Herr Yeneroglu, nur um es noch mal klarzumachen: Ihre Position ist, Sie sagen, die russische Seite muss sich bewegen und mit ihr dann die syrische in diesen Verhandlungen.
    Yeneroglu: Weil ohne die russische Seite die syrische Seite sich nicht bewegen kann. Die syrische Seite ist aus unserer Sicht kein tatsächlicher Akteur. Ohne die Russen würde die syrische Seite keine Schritte machen können. Außerdem wissen wir, dass die bisherigen Zusagen des syrischen Regimes, Dissidenten eine Amnestie zu gewähren und so weiter, im Falle Aleppos 2016 und im Falle Ghoutas im Frühjahr 2018 eigentlich nur als Vorwand dienten, um letztendlich zehntausende von Menschen verschwinden zu lassen.
    Kaess: Ist das auch der Grund, warum die Türkei es bisher nicht geschafft hat, dass die Dschihadisten in Idlib ihre Waffen abgeben?
    Yeneroglu: Wissen Sie, Dschihadisten, das ist nur ein Bruchteil derjenigen, die in Idlib Teile der Opposition darstellen.
    Kaess: Aber die spielen ja eine sehr wichtige Rolle, vor allem aus der Sicht des syrischen Regimes.
    Yeneroglu: Selbstverständlich! Deswegen schlägt die Türkei ja vor, dass man gemeinsam einen Mechanismus entwickelt, um die sogenannten radikalen Gruppierungen, die Dschihadisten, oder sonst, wie sie auch genannt werden, auch terroristische Gruppierungen zu entwaffnen, aber dann auch gemeinsam mit den westlichen Staaten einen Mechanismus einzuleiten, damit die ausländischen Kämpfer in ihre Länder zurückkehren können beziehungsweise aufgenommen werden.
    Kaess: Das haben wir verstanden. Aber ich stelle die Frage noch mal anders herum: Sehen Sie irgendwelche Bewegung auf Seiten der Aufständischen oder sogar der Dschihadisten?
    Yeneroglu: Ich sage ja: Idlib ist die letzte Deeskalationszonen. Es gibt keine weitere Möglichkeit, in eine andere Provinz zu gehen. Deswegen ist es für die die einzige Möglichkeit, überhaupt am Leben zu bleiben.
    Kaess: Bereut man es denn eigentlich mittlerweile in Ankara, dass man in diesem Krieg Partei geworden ist und die syrische Opposition unterstützt hat?
    Yeneroglu: Man hat in diesem Krieg nicht die syrische Opposition, sondern das syrische Volk unterstützt. Damals ist es so gewesen, dass zunächst einmal im Jahre 2011, dann 2012/2013 das syrische Regime sämtliche oppositionelle Gruppierungen bekämpft hat, hunderttausende Menschen zur Flucht vertrieben hat, die natürlich in erster Linie auf die Türkei sich zubewegt haben, so dass es aus Sicht der Türkei überhaupt keine andere Möglichkeit gegeben hat, sich mit der Thematik zu befassen, und letztendlich Assad immer wieder Vorschläge zu machen, die dann von ihm abgelehnt wurden – aus dem Grunde, dass die Türkei letztendlich demokratische Kräfte in Syrien versucht hat zu unterstützen.
    "Türkische Truppen in den Sicherheitszonen"
    Kaess: Wird die Türkei die Grenze öffnen, wenn noch mehr Flüchtlinge aus Syrien dort ankommen?
    Yeneroglu: Die Türkei schlägt vor, innerhalb Syriens eine Sicherheitszone zu schaffen, in der einige hunderttausend Flüchtlinge unterkommen können. Das kann natürlich auch nur mit Hilfe der Russen, aber auch in erster Linie mit Hilfe der westlichen Staaten geschehen.
    Kaess: Also keine Grenzöffnung? Wer soll die Menschen dort schützen?
    Yeneroglu: Die Türkei! Ich sage ja: Die Türkei schlägt vor, dass türkische Truppen in den Sicherheitszonen, die jetzt teilweise auch von der türkischen Armee und ihren Verbündeten kontrolliert werden, dass dort solche Sicherheitszonen eingerichtet werden und die Menschen da Zuflucht finden können.
    Kaess: Warum keine Grenzöffnung und warum lassen Sie schon jetzt niemanden mehr rein?
    Yeneroglu: Es ist so, dass nach wie vor Menschen, Familien mit Kindern von weiteren syrischen Flüchtlingen schon in der Türkei Zuflucht finden können. Darüber hinaus ist es aber so, dass die Türkei schon über drei Millionen Flüchtende aufgenommen hat und eine weitere Kapazität leider nicht vorhanden ist, aber es auch keine Lösung darstellt. Letztendlich müssen wir die Lösung in Syrien suchen und in Syrien eine Lösung zu suchen, kann nur funktionieren, indem alle Parteien, aber auch die westlichen Staaten den Druck auf die russische Seite, auf die Iraner erhöhen und deutlich machen, dass außerhalb der politischen Lösung eine andere Möglichkeit nicht zur Verfügung steht.
    "Es kommt dann auf die Russen und die Türkei an"
    Kaess: Aber kann es eine Lösung sein, auf syrischer Seite riesige Flüchtlings-Camps einzurichten, auf einem Territorium, wo die Menschen unter Umständen dann überhaupt nicht sicher wären?
    Yeneroglu: Nee, nee! Es gibt ja schon welche. Es ist ja nicht so, bis jetzt hat das ja funktioniert.
    Kaess: Aber wir reden ja davon, wenn es jetzt in Idlib noch weiter eskalieren sollte.
    Yeneroglu: Wenn es in Idlib weiter eskalieren sollte, dann kommt es auf die Russen und auf die Türkei an. Wenn die Russen mitmachen, wird das möglich sein, weil das syrische Regime selbst nicht die Kraft hat, die Menschen dann mit Bodentruppen anzugreifen, solange die Russen sie dabei nicht unterstützen.
    Kaess: Herr Yeneroglu, sagen Sie uns noch zum Schluss: Welche Erwartungen in diesem Konflikt um Idlib jetzt haben Sie an die anderen europäischen Länder?
    Yeneroglu: Dass der Druck auf Russland erhöht wird, dass Vorschläge erarbeitet werden, wie zum Beispiel das vorgebrachte Argument, es gibt ausländische Kämpfer, wie das gelöst werden soll, dass die westlichen Staaten unter anderem auch bereit sind, ihre Staatsbürger wieder zurückzunehmen, und dass sie gemeinsam an einer politischen Lösung im Rahmen der UNO arbeiten und letztendlich Assad abtritt. Da können diese Lösungsansätze nur dann funktionieren, wenn alle gemeinsam nicht nur Druck auf diese drei Parteien Russland, Iran und Syrien machen, sondern auch auf die Unterstützer.
    Kaess: Sagt Mustafa Yeneroglu. Er ist Mitglied im Vorstand der türkischen Regierungspartei AKP und Abgeordneter im türkischen Parlament. Danke für Ihre Zeit heute Morgen.
    Yeneroglu: Ich bedanke mich. – Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.