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Möglicher Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten
"Erdogan muss sich an Regeln hier halten"

Wenn der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zum G20-Gipfel nach Hamburg reist, dann müsse verhindert werden, dass er "die öffentliche Ruhe und Ordnung" stört, sagte CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann im Dlf. Auftritte vor Landsleuten in Deutschland müssten deshalb unterbunden werden, denn "wir wissen ja, wie der Mann auftritt".

Karl-Georg Wellmann im Gespräch mit Dirk Müller |
    Der CDU-Politiker Karl-Georg Wellmann
    "Wir wollen nicht diesen innertürkischen Wahlkampf bei uns haben", sagte Karl-Georg Wellmann (CDU) im Dlf. (imago stock&people)
    Dirk Müller: Wir hören Präsident Erdogan vielleicht noch einmal zu; wir haben es eben im Deutschlandfunk bereits gespielt. Der türkische Präsident im März dieses Jahres:
    O-Ton Recep Tayyip Erdogan: "In Deutschland, ihr habt keine Ahnung von Demokratie. Eure Praktiken sind nicht anders als die Nazi-Praktiken der Vergangenheit."
    Müller: Der türkische Staatspräsident vor vier Monaten – unser Thema mit dem CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann. Guten Tag.
    Karl-Georg Wellmann: Guten Tag aus Berlin.
    Müller: Wir haben das beide gerade noch einmal gehört. Warum darf Erdogan überhaupt einreisen?
    Wellmann: Na ja, einreisen – er ist der Staatschef, der demokratisch gewählte Staatschef eines NATO-Partners. Wir haben schon Anlass, uns um gute Beziehungen zur Türkei zu bemühen. Aber das, was er hier tut, ist aus mehrfacher Hinsicht eine Provokation. Es ist eine Provokation, weil er für ein von ihm herbeigeführtes undemokratisches Regime und System werben will. Zum anderen ist die Sicherheitslage zum G20-Gipfel in Hamburg ohnehin in höchstem Maße angespannt, und hier noch Öl ins Feuer zu gießen und seine Landsleute aufzuwiegeln in der Weise, wie Sie es eben vorgeführt haben, ist ganz und gar unmöglich und ist schlichtweg unerwünscht aus unserer Sicht.
    Müller: Dann wäre es besser, wenn er Zuhause bleibt?
    Wellmann: Nein! Es wäre besser, wenn er am G20-Gipfel teilnimmt, wenn er das denn möchte, so wie alle anderen, aber sich an die Regeln hier hält und nicht noch aufwiegelt und seine Landsleute einlädt und die ohnehin schwierige Sicherheitslage noch mehr verschärft.
    Müller: Aber was sind das für Regeln? Sind die festgelegt? Von welchen Regeln sprechen Sie?
    Wellmann: Die Regeln sind festgelegt im Versammlungsrecht, im deutschen Versammlungsrecht, und im Übrigen kann die Bundesregierung natürlich jederzeit verhindern, auch mit rechtlichen Maßnahmen, dass ein auswärtiger Politiker im Land bei uns Wahlkampf macht. Wir wollen nicht diesen innertürkischen Wahlkampf bei uns haben. Wir haben klare Regeln bei uns. Bei uns gilt das Grundgesetz. Bei uns ist die Todesstrafe abgeschafft, von Anfang an nach dem Krieg, und wir wollen nicht, dass jemand Werbung für so ein System hier macht. Und die vielen Türken oder türkischstämmigen Menschen, die hier leben, friedlich und ruhig leben und hier zum Bruttosozialprodukt beitragen, aufwiegelt in seinem Sinne. Das wollen wir nicht.
    Müller: Das wissen Sie schon im Vorfeld, dass er das tun will?
    Wellmann: Wir haben ja die Erfahrung. Wir wissen ja, wie der Mann auftritt. Sie haben es ja eben vorgeführt.
    Müller: Das war aber in der Türkei.
    Wellmann: Das macht ja nichts. Aber er setzt unser demokratisches System gleich mit der Nazi-Diktatur. Das ist ganz und gar unerträglich. Das ist aus unserer Sicht, nach unserem Rechtsverständnis Volksverhetzung. Und auch, wie er in Dortmund aufgetreten ist vor seinen Anhängern. Er wirbt für ein System, was Andersdenkende, Journalisten und andere ins Gefängnis steckt, ohne Gerichtsverfahren. Das mag er in seinem Lande machen, aber nicht bei uns.
    Müller: Aber dennoch bewirten wir ihn und wir bezahlen seinen Aufenthalt, wenn er in Hamburg als Gast kommt. Finden Sie das in Ordnung?
    Wellmann: Das ist natürlich in Ordnung, wenn wir eine internationale Konferenz haben. Wir haben ja auch die Staatschefs anderer Länder bei uns, in denen andere demokratische Standards gelten als bei uns, zu unserem Leidwesen, aber wir können das ja nicht ändern. Wenn wir immer nur Staatsgäste hier hätten, die unsere demokratischen Standards einhielten, dann wäre es ziemlich einsam um uns. Wir haben ja ein Interesse daran, das mit diesen Leuten zu besprechen, internationale Vereinbarungen zu treffen. Es wird bilaterale Besprechungen auch zwischen der Kanzlerin und dem russischen Staatspräsidenten geben. Das ist in deutschem Interesse, natürlich!
    "Erdogan behandeln wie jeden anderen Staatsgast auch"
    Müller: Damit haben Sie kein Problem? Kein Widerspruch? Ein bisschen Bauchschmerzen zumindest dabei? – Sie haben ihn gerade analysiert als untragbar, als Politiker zumindest, so wie er agiert. Aber dennoch wird er in Hamburg dementsprechend begrüßt und nach den protokollarischen Bedingungen auch hofiert.
    Wellmann: Hofiert würde ich nicht sagen. Er wird behandelt wie jeder andere Staatsgast bei uns. Wir haben ja eingeladen zu dieser Konferenz. Wir haben auch ihn eingeladen zur G20-Konferenz. Die Türkei ist ein wichtiges Industrieland, auch für uns wichtig, umgekehrt noch mehr. Die Türkei exportiert mehr als 50 Prozent ihrer Ausfuhren in den europäischen Bereich.
    Wir müssen in der Außenpolitik sehr stark trennen. Wenn wir nur noch mit Vertretern von Ländern reden, die dieselben demokratischen Standards haben, dann wird es sehr einsam. Dann können wir keine Außenpolitik mehr machen. Dann können wir diese Leute auch nicht beeinflussen, nicht mit ihnen reden. Das finde ich völlig in Ordnung.
    Müller: Das hat aber bisher, Herr Wellmann, bei Erdogan und der Entwicklung in der Türkei ja auch nichts gebracht.
    Wellmann: Das gilt ja für viele. Ich meine, der chinesische Staatspräsident, da sitzen auch Journalisten im Gefängnis, ohne Gerichtsverfahren.
    Müller: Da wird sowieso mit zweierlei Maß gemessen.
    Wellmann: Ja. Dagegen spreche ich mich ja aus. Aber wir müssen Beziehungen haben, wir müssen mit denen reden. Deutschland hat ja Gewicht in Europa und in der Welt. Deutschland ist Exportweltmeister. Alle haben Interesse, unsere deutschen Waren zu kaufen. Also müssen wir das auch ansprechen, aber eben ansprechen und nicht ausgrenzen.
    Müller: Okay. Das heißt, er kommt hier hin, Präsident Erdogan, über den reden wir. Er ist offiziell eingeladen als Gast, das heißt Teilnehmer des G20-Gipfels in Hamburg. Wenn Erdogan jetzt auf einer getrennten Veranstaltung wo auch immer in Deutschland im Anschluss oder im Vorfeld eine Rede halten will zu seinen Anhängern, zu den türkischen Bürgern, wie er das ja sagt, auch zu den deutsch-türkischen Mitbürgern, dann wird die Bundesregierung, wenn ich Sie richtig verstanden habe, das jetzt verbieten?
    Wellmann: Sie wird ihm klar machen, dass das unerwünscht ist, und sie wird prüfen, welche rechtlichen Maßnahmen nach deutschem Versammlungsrecht möglich sind.
    Müller: Haben Sie aber schon oft gemacht, diese Prüfung. Das müsste man im Grunde doch jetzt schon wissen in Berlin.
    Wellmann: Ja! Ich habe ja keine Erkenntnisse darüber, wo er auftreten will, bis auf die Äußerung, bis auf die Anfrage der türkischen Regierung, dass er in Hamburg ausgerechnet sprechen will, und das können wir schon aus versammlungsrechtlichen Gründen verbieten, weil es die Sicherheitslage gar nicht zulässt, dass er dort redet.
    Müller: Ist das ein faires Argument?
    Wellmann: Das ist ein in jeder Hinsicht faires Argument, weil das Spiel geht nach unseren Regeln, nach deutschen Gesetzen, wie jemand sich hier aufzuführen hat oder nicht aufzuführen hat. Und wenn man seine Sprüche hört, die Sie ja vorhin im Originalton gebracht haben, dann wäre das nach unserem Recht sogar eine Straftat. Deutschland mit dem Nazi-Regime zu vergleichen, ist der Tatbestand der Volksverhetzung, und das können wir nicht dulden.
    Müller: Hat er ja getan. Aber das spielt keine Rolle, weil es in einem anderen Land war.
    Wellmann: Das macht ja nichts. Aber das zeigt, von welchem Zuschnitt dieser Mann ist. Der hat ja jeden Maßstab verloren, das demokratische Deutschland mit der Nazi-Zeit zu vergleichen, oder die Bundeskanzlerin mit Adolf Hitler. Das ist ja so absurd, dass man darüber gar nicht diskutieren muss.
    Müller: Eben! Aber die Kanzlerin wird ihm die Hand schütteln. Wir werden es wieder sehen. Und alle werden sich wundern, warum tut sie das.
    Wellmann: Ja, aber nicht alle werden sich wundern. Sie wird auch anderen, sie wird auch Herrn Putin und dem Chinesen die Hand schütteln und noch anderen. Aber sie wird dann unter vier Augen schon ihre Meinung sagen, so wie wir sie kennen.
    Müller: Jetzt muss ich noch mal fragen. Sie sagen, Hamburg; dann wäre das Argument mit großer Wahrscheinlichkeit gut argumentiert, legitim argumentiert, wir haben Sicherheitsprobleme. Jetzt sagt Erdogan, ich bin aber von der türkischen Gemeinde in Köln eingeladen worden. Dann haben Sie ja wieder ein Problem!
    Wellmann: Dann bin ich dafür, dass die zuständigen Behörden – das ist ja dann nicht die Bundesregierung. Wenn er in Nordrhein-Westfalen oder wo auch immer eine Veranstaltung machen will, dann müssen die dort zuständigen Behörden, möglicherweise der jeweilige Bürgermeister der Stadt prüfen, welche rechtliche Handhabe er hat.
    "Regeln, wann wir eine Veranstaltung zulassen"
    Müller: Der arme Kerl! Das hatten wir doch schon mal vor ein paar Monaten, dass Politiker, die gar keine große internationale Erfahrung haben, plötzlich sich mit dieser komplexen Konstellation auseinandersetzen müssen.
    Wellmann: Sie können sich ja abstimmen auch mit ihrer jeweiligen Landesregierung. Dafür haben wir ja in Deutschland Regeln, wann man eine Veranstaltung zulassen oder eben nicht zulassen kann, und ich vertraue den deutschen Behörden, dass sie das dann schon richtig machen werden.
    Müller: Das heißt, für Sie ist das ganz klare Sache, eine externe Rede – wollen wir es mal so bezeichnen – in Deutschland ist ausgeschlossen?
    Wellmann: Eine externe Rede ist grundsätzlich nicht ausgeschlossen, weil wir Meinungsfreiheit haben. Aber eine Rede, die Straftatbestände erfüllt, die geeignet ist, die öffentliche Ruhe und Ordnung zu stören, die geeignet ist, bestimmte ethnische Gruppen bei uns aufzuwiegeln, die kann man verbieten und die sollte man verbieten.
    Müller: Herr Wellmann, aber Sie kriegen doch nicht vorher den Redetext.
    Wellmann: Nein, aber Sie versuchen, mich jetzt hier in eine Enge zu treiben, und das wird nicht gelingen.
    Müller: Nein, überhaupt nicht!
    Wellmann: Ich bin ja ein Abgeordneter und ich bin nicht Mitglied der Regierung oder der Exekutive.
    Müller: Das ist klar.
    Wellmann: Ich kann nur meine Meinung äußern und sagen, wir müssen alle Schritte gehen, um zu verhindern, dass so etwas passiert, und da es bei dem türkischen Staatspräsidenten nicht das erste Mal passiert ist, sondern wir ja durchgängig seit Monaten und Jahren wissen, wie er denkt und wie er spricht – das können Sie ja täglich in der Zeitung lesen -, ist das ja nichts, was uns überraschen würde.
    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann. Danke, dass Sie für uns so schnell Zeit gefunden haben.
    Wellmann: Danke Ihnen! – Tschüss!
    Müller: Schönen Tag noch.
    Wellmann: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.