Die Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien über die Beziehungen nach dem Brexit liefen von Anbeginn zäh. Das geplante Binnenmarktgesetz, dem das britische Unterhaus Anfang September zustimmte, würde jedoch aus Sicht von Experten gegen internationales Recht verstoßen. Das britische Oberhaus hat zwar gegen das Gesetz gestimmt und umstrittene Passagen gestrichen. Doch das britische Unterhaus verabschiedete am 7. Dezember das Binnenmarktgesetz, votierte gegen die Änderungen und stellte die Passagen wieder her, die Teile des EU-Austrittsvertrags außer Kraft setzen könnten. Wirtschaftsstaatssekretär Paul Scully sagte im Unterhaus, die Regierung sei zuversichtlich, eine Einigung mit Brüssel zu erzielen. Die Klauseln sollten bis dahin aber "in ihrer bestehenden Form" als Auffanglösung beibehalten werden.
Mit dem Binnenmarktgesetz soll der Handel innerhalb des Vereinigten Königreichs künftig geregelt werden - und zwar über die Köpfe der Regionalregierungen und -parlamente hinweg und gegen die Abmachungen des Nordirland-Protokolls im Brexit-Vertrag. Das Gesetz schafft Kontrollen für Waren aus Nordirland ab, die in den Rest Großbritanniens geliefert werden. Das Binnenmarktgesetz ermächtigt die Regierung in London zudem, nach eigenem Ermessen Staatshilfen an britische Unternehmen zu zahlen, ohne die EU zu konsultieren, und die Regeln im Warenverkehr zu ändern. Großbritanniens Premier Boris Johnson will damit Arbeitsplätze schützen und Wachstum ermöglichen.
Im Nordirland-Protokoll des Brexit-Abkommens ist festgelegt, dass es keine harte Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland geben darf. Nordirland - so sieht es das entsprechende Protokoll zum Brexit-Vertrag bisher vor - bleibt in einer Zollunion mit der EU. So sollen Kontrollen an der Grenze zwischen EU-Mitglied Irland und Nordirland vermieden werden.
Für den Fall, dass sich die EU und Großbritannien nicht auf einen Freihandelsvertrag einigen, muss aber der Warenverkehr von Nordirland ins restliche Großbritannien durch Ausfuhrpapiere kontrolliert werden. In umgekehrter Richtung wären bis auf wenige Ausnahmen Zoll- und Verbleiberklärungen nötig. In der Irischen See zwischen Nordirland und der britischen Hauptinsel könnte und müsste laut EU-Vertrag für einige Waren und Produkte eine Zollgrenze entstehen. Das soll Schmuggel unterbinden. Denn Großbritannien könnte sonst Güter von Drittstaaten geringer verzollen, diese könnten dann über Nordirland und Irland in die EU gelangen.
Genau diese Bestimmung wird durch das neue Binnenmarktgesetz ausgehebelt. Die britische Regierung will damit einen einheitlichen Binnenmarkt für alle vier Nationen des Vereinigten Königreiches etablieren. In der Konsequenz müsste dann aber doch eine harte Zollgrenze zwischen Nordirland und Irland verlaufen.
Die
Diskussion mit der EU dreht sich nun auch um die Staatsbeihilfen
für britische Unternehmen. Johnson muss sein Land aus einem ökonomischen Tief holen. Dabei will er alles anders machen als seine konservativen Vorgänger. Er will nicht weniger, sondern mehr Staat. Der Staat soll ganz gezielt mit Staatsmitteln subventionieren können. Unter anderem möchte Johnson die Stahlindustrie in Wales, die Autoindustrie im Norden und Technologiekonzerne fördern, möglicherweise auch mit Steuererleichterungen. Bis dato konnte die EU das verbieten, weil dies Dumping wäre.
Staatsbeihilfen können auch die Aussetzung von Verbraucherschutzs- und Umweltstandards beinhalten - auch das würde britische Produkte preiswerter machen. Mit dem Binnenmarktgesetz würde London im Falle eines No-Deals darauf bestehen, dass die EU keine Staatsbeihilfen mehr verbieten kann mit dem Hinweis, dass ein Unternehmen auch in Nordirland operiert.
Völkerrechtlich sei die Sache klar, sagte Europarechtler Franz Mayer im Deutschlandfunk: Verträge seien einzuhalten, denn sie seien das Fundament der internationalen Rechtsordnung. Argumente aus dem innerstaatlichen Recht, warum man seine Pflicht nicht einhalten könne oder wolle, seien im Völkerrecht irrelevant. Es erscheine als "krasse Fehlkalkulation" und besorgniserregende Entwicklung, dass sich die britische Regierung so offen gegen internationale Rechtsbindung stelle.
Das Austrittsabkommen sehe für den Fall, dass es Schwierigkeiten gibt bei der Interpretation von Verpflichtungen, ein Streitbeilegungssystem vor. Es sei dem Vertragsverletzungsverfahren des Europarechts nachgebaut und habe "durchaus Zähne", so Mayer - bis hin zu Zwangsgeld. Der nicht strittige Teil des Abkommens bleibe in Kraft.
(Quelle: Burkhard Birke, Sandra Pfister, Online-Redaktion)