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Möglicher EU-Einsatz in Afrika
Schockenhoff: Staaten müssen sich besser abstimmen

Der stellvertretende Unionsfraktionschef Andreas Schockenhoff hält einen Einsatz der Bundeswehr in der Zentralafrikanischen Republik für sinnvoll. Im DLF-Interview plädierte der CDU-Politiker aber gleichzeitig für eine bessere, grundsätzliche Abstimmung der EU-Länder im Vorfeld solcher Einsätze.

Andreas Schockenhoff im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Kaess: Herr Schockenhoff, ist Deutschland dabei, seine militärische Zurückhaltung in Afrika aufzugeben?
    Schockenhoff: Nein! Aber wir müssen in Afrika im Rahmen der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union Schwerpunkte setzen. Wir müssen nicht nur überlegen, wie wir enger zusammenarbeiten können, sondern wir müssen uns auch fragen, in welchen geografischen Regionen denn die Sicherheit Europas gefährdet ist.
    Und im Moment haben wir in Afrika im Sahel-Gürtel eine ganze Reihe von scheiternden und gescheiterten Staaten - wir haben das gerade im Vorbericht gehört -, in denen es praktisch keinerlei staatliche Souveränität, kein Gewaltmonopol mehr gibt, und die Mischung von fundamentalistischem Terror, von Drogen- und Menschenhandel, von organisierter Kriminalität, ist eben eine unmittelbare Bedrohung für die Europäische Union, die sich auf Flucht, Vertreibung auswirkt, die aber vor allem auch einen Rückzug bietet für Phänomene wie Internet-Kriminalität, wie Terror-Vorbereitung.
    Das betrifft unsere Sicherheit unmittelbar und deshalb muss sich die Europäische Union nicht erst in einem heißen Krisenfall, sondern grundsätzlich überlegen, wofür und in welchen Regionen müssen wir auch sicherheitspolitisch enger zusammenarbeiten.
    Frühere politische Absprache nötig
    Kaess: Sie sprechen jetzt auch über ein stärkeres Engagement Deutschlands. Ist das eine Wende in der deutschen Verteidigungspolitik?
    Schockenhoff: Nein, das ist keine Wende. Wir reden seit Langem über eine engere Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die neben einer Politik zur Stärkung des Euro, also neben einer stärkeren wirtschafts- und finanzpolitischen Koordinierung der wesentliche Schritt zu einer weiteren europäischen politischen Integration ist. Aber das ist eben nicht abstrakt, sondern das zeigt sich sehr konkret. Wir können nicht erst, wenn in Mali oder jetzt in der Zentralafrikanischen Republik sozusagen ein Notstand ausbricht, uns diese Frage stellen, sondern wir müssen uns auch fragen, wenn wir enger zusammenarbeiten wollen, arbeitsteilig, wenn wir uns gegenseitig auch in unseren sicherheitspolitischen Instrumenten abhängig machen, dann brauchen wir auch eine politische Einigung darüber, wofür und wogegen wir uns wappnen, und vor allem, für welche Einsätze in welchen Regionen wir uns ausrüsten und vorbereiten müssen.
    Kaess: Sie haben jetzt über die Unsicherheiten und Gefahren in dieser Region in Afrika gesprochen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat am Wochenende gesagt, Frankreich habe Mali davor gerettet, von islamistischen Fundamentalisten überrannt zu werden, und Frankreich selber hat ja auch immer wieder argumentiert, es verteidige in Afrika auch Europas Sicherheit. Ist es Ihrer Meinung nach tatsächlich so, dass Frankreich tatsächlich für Europa in die Bresche gesprungen ist, und gibt Deutschland jetzt französischem Druck nach?
    "Es geht um die Reihenfolge"
    Schockenhoff: Es ist sicher so, dass es sich nicht um ein postkoloniales Abenteuer oder um eine Aufgabe handelt, die sich aus der Vergangenheit ergibt, sondern Westafrika ist heute das Haupteinfallstor für Drogen aus Lateinamerika. Dort sind viele Internet-Seiten beheimatet, auf denen auch in Deutschland, in Europa Internet-Kriminalität bis hin zur Kindesmisshandlung betrieben wird. Deswegen ist das eine Region, die für uns sicherheitsrelevant ist. Es geht um die Reihenfolge. Wir können nicht sagen, die Franzosen sind bereit, jetzt einmal die Feuerwehr zu spielen, und wenn dann die Franzosen sagen, wir brauchen Hilfe, dann stellt sich für uns die Frage, ob wir ihnen beispringen, sondern wir müssen vorher grundsätzlich in der Europäischen Union Einigung haben, wo wir Gefahren sehen, wo wir auch zur Gefahrenabwehr enger zusammenarbeiten wollen. Das heißt, wir können nicht erst in einem Einsatzfall, nachdem die Franzosen zuerst reingegangen sind, dann hinterher fragen, wollen wir sie dabei unterstützen oder nicht, …
    Kaess: Sie plädieren für ein früheres Engagement?
    Schockenhoff: Nein! Ich plädiere dafür, dass wir uns politisch fragen, wo brauchen wir überhaupt europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Wir brauchen sie sicher nicht in Asien, wir brauchen sie auch nicht in anderen Regionen der Welt. Aber wenn wir sagen, wir müssen enger zusammenarbeiten, dann müssen wir doch zuerst die Bedrohungen analysieren. Dann müssen wir auch erst fragen, welche Mittel brauchen wir dafür, in welchen Regionen müssen wir Gefahren abwehren, sodass wir, wenn die konkrete Entscheidung ansteht, auch ein Szenario haben, auf das wir vorher uns vorbereitet haben, auf das wir uns eingestellt haben, wo wir auch politisch in der Analyse uns einig sind. Es geht nicht darum, sich früher zu engagieren, aber es geht darum, die Feuerwehr zu planen nicht erst, nachdem der Brand ausgebrochen ist.
    "Zur Stabilität gehören ökonomische Interessen"
    Kaess: Herr Schockenhoff, Sie haben jetzt davon gesprochen, dass das kein postkoloniales Abenteuer von Frankreich in Afrika sei. Dennoch gibt es ja Kritik, dass Frankreich in Afrika auch wirtschaftliche Interessen verfolge. Läuft Deutschland Gefahr, hier in einen deshalb umstrittenen Einsatz hineingezogen zu werden?
    Schockenhoff: Schauen Sie sich mal die Zentralafrikanische Republik an und schauen Sie sich Mali an, und dann sagen Sie mir, um welche wirtschaftlichen Interessen es da geht.
    Kaess: In Mali geht es zum Beispiel um die Stabilisierung der Region, da geht es vor allem um den Niger, wo die wichtigsten Uran-Minen eines französischen Atomkonzerns liegen.
    Schockenhoff: Ja. Und in der Zentralafrikanischen Republik? – Ich will Ihnen hier damit sagen: Man kann doch nicht deshalb es verweigern, gegen Kriminalität, gegen Terrorismus vorzugehen, weil man sagt, aber da gibt es auch Wirtschaftsinteressen. Zur Stabilität gehören natürlich ökonomische Interessen, und dass gerade wir Deutschen, die wie kein anderes Land volkswirtschaftlich vom Export leben, ein wirtschaftliches Interesse an Stabilität haben - - Wir haben übrigens auch ein wirtschaftliches Interesse an Stabilität im Inland und wir wollen auch, dass diese Phänomene nicht nach Europa und nicht nach Deutschland kommen. Deswegen ist diese Unterscheidung, es geht entweder um Sicherheit oder um wirtschaftliche Interessen, doch falsch. Natürlich gehört zur Stabilität eben auch Welthandel, Freihandel. Unser ganzes Lebensmodell, die soziale Marktwirtschaft, eine exportgetriebene Wirtschaft, leben von sicheren Zugängen zu Rohstoffen, von sicheren Handelswegen und davon, dass nicht aus instabilen Ländern, gescheiterten Staaten die Unsicherheit zu uns nach Europa überschwappt.
    "Es geht nicht um direkte Kampfeinsätze"
    Kaess: Wir haben jetzt nicht mehr viel Zeit, aber ich möchte noch gucken auf die Risiken für die Soldaten der Bundeswehr, die sich unter Umständen jetzt aus diesen neuen Einsätzen oder erweiterten Einsätzen ergeben. In der Zentralafrikanischen Republik soll die Bundeswehr jetzt auch Transporte direkt ins Land übernehmen, heißt es, das heißt, auch an den Flughafen in der Hauptstadt Bangui, und in Mali, heißt es jetzt, sollten sie auch zur Absicherung eingesetzt werden. Welche neuen Gefahren sehen Sie auf die Bundeswehr zukommen?
    Schockenhoff: Der Ansatz ist richtig, die afrikanischen Nachbarstaaten zu befähigen, diese Aufgabe selbst zu übernehmen. Wenn wir dafür mit Transport, mit medizinischer Evakuierung, mit Luftbetankung helfen können, ist das der richtige Weg. Es geht nicht um direkte Kampfeinsätze.
    Kaess: Und was sind die neuen Risiken?
    Schockenhoff: Die neuen Risiken sind überschaubar. Truppentransport in die Nachbarstaaten oder in die Zentralafrikanische Republik unterscheidet sich unwesentlich, denn auch die Nachbarstaaten sind nicht ein Hort von Stabilität. Wir müssen davon ausgehen, dass der ganze Sahel-Gürtel sehr instabil ist und deswegen ein frühzeitiges Eingreifen, das dort Stabilisierung ermöglicht, verhindert, dass sich der Flächenbrand ausdehnt und Europa näher rückt.
    Kaess: …, sagt Andreas Schockenhoff. Er ist Vorsitzender der deutsch-französischen Parlamentariergruppe und stellvertretender Unions-Fraktionsvorsitzender. Danke für diese Einschätzungen heute Morgen.
    Schockenhoff: Bitte schön, Frau Kaess!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.