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Mögliches EU-Defizitverfahren
"Italien ist nicht wirklich wettbewerbsfähig"

Es sei richtig, dass die EU das Defizitverfahren gegen Italien vorerst nicht weiter verfolge, sagte die FDP-Politikerin Katja Suding im Dlf. Die beschlossenen Obergrenzen für die Verschuldung würden eingehalten. Italien stehe aber weiter vor großen Problemen und werde um substanzielle Reformen nicht herumkommen.

Katja Suding im Gespräch mit Silvia Engels |
Die Partei- und Fraktionsvorsitzende der Hamburger FDP, Katja Suding.
Die Partei- und Fraktionsvorsitzende der Hamburger FDP, Katja Suding. (picture alliance / dpa / Daniel Reinhardt)
Die von Italien vorgenommenen Maßnahmen reichten, um für dieses Jahr die Vorgaben der EU einzuhalten, sagte Katja Suding, Vize-FDP-Fraktionsvorsitzende und stellvertretende Vorsitzende der deutsch-italienischen Parlamentariergruppe, im Dlf. Wie das in den nächsten Jahren sein werde, müsse man sich dann angucken.
Ein Problem sei aber auch, dass die Regeln, wann ein Defizitverfahren gegen ein Land eingeleitet werde, nicht transparent genug seien. Sinnvoll wären automatische Sanktionen, wenn die Regeln der EU nicht eingehalten würden. Es müsse unbedingt vermieden werden, dass die anderen EU-Staaten haften, wenn Italien durch seine Politik zahlungsunfähig werden sollte.

Hier lesen Sie das gesamte Interview:
Silvia Engels: Wenn es in den letzten Tagen um Italien und die Europäische Union ging, dann stand meist der Umgang von Innenminister Salvini mit Rettungsschiffen von Flüchtlingsorganisationen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Ein anderes Thema zwischen Rom und Brüssel geriet da in den Hintergrund: Die Tatsache nämlich, dass die EU-Kommission vorerst auf die Einleitung eines Defizitverfahrens gegen Italien verzichtet. Heute ist das noch einmal Thema bei den EU-Finanzministern.
Stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-Italienischen Parlamentariergruppe ist die Vize-Fraktionschefin der FDP im Bundestag, Katja Suding. Sie ist nun am Telefon. Guten Morgen, Frau Suding.
Katja Suding: Guten Morgen, Frau Engels.
Engels: Ist die italienische Regierung aus Ihrer Sicht nun doch sparwillig genug, dass kein Defizitverfahren mehr nötig ist?
Suding: Na ja. Man hat sich ja im letzten Jahr darauf geeinigt, wie hoch die Neuverschuldung in diesem Jahr sein darf, und Italien hat nach Nachbesserungen im Haushalt fürs laufende Jahr tatsächlich diese Grenze eingehalten, so dass man erst mal aus sachlicher Sicht sagen kann, es ist richtig, dass das Defizitverfahren gegen Italien vorerst nicht weiter verfolgt wird.
Engels: Dann schauen wir uns einmal die Zahlen an. Ursprünglich hatten die EU und Italien für dieses Jahr eine maximale Defizitquote von 2,04 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausgemacht. Die italienische Regierung will aber nach wie vor die teure Einführung eines Grundeinkommens und die Absenkung des Renteneintrittsalters umsetzen. Sie hat nur zugesagt, dass Ausgaben, die dafür noch nicht abgeflossen seien, eingefroren werden. Reicht das denn, um die Defizitquote zu halten, oder ist das jetzt ein Zufallsprodukt?
Suding: Das reicht für dieses Jahr nach Vorlage der Zahlen, um die Defizitgrenze einzuhalten. Aber das heißt natürlich nicht und Sie haben es auch angedeutet, dass wir in Zukunft nicht wieder über ein Defizitverfahren sprechen, weil wir ja auch sehen – und die Äußerungen von Salvini bekräftigen das ja auch -, dass er nicht davon abrückt, das Rentenprogramm durchzusetzen und ein Bürgereinkommen durchzusetzen, und das wäre sicherlich nicht mit den Obergrenzen zu vereinbaren. Von daher müssen wir uns angucken, was in den nächsten Jahren passiert. Aber für dieses Jahr erst einmal werden die Grenzen eingehalten.
Das Problem ist aber nach wie vor natürlich, dass Italien ein Land ist, was nicht wirklich wettbewerbsfähig ist, was große Probleme hat, was auch im Vergleich zu den Ausgaben für Altschulden, für Zinsen, die anfallen, sehr, sehr viel Geld ausgibt, wenn man sie in Zusammenhang setzt mit den Ausgaben für Bildung. Da wird weniger für Bildung ausgegeben. Italien hat große Probleme, muss strukturelle Reformen machen, um wirklich wettbewerbsfähig zu sein, um auch von den hohen Schulden, die insgesamt angefallen sind – Italien hat ja einen Schuldenstand von über 130 Prozent –, herunterzukommen.
"Wir brauchen automatische Sanktionen"
Engels: Das strukturelle Defizit - das ist ja der Einwand vieler Kritiker – lässt sich so nicht bekämpfen, und Innenminister Salvini will die eigentlich für nächstes Jahr beschlossene Mehrwertsteuer-Erhöhung aussetzen. Glauben Sie da den italienischen Sparankündigungen?
Suding: Ich vermag das nicht zu sagen. Es muss aber ganz klar sein seitens der EU-Kommission, dass wir klare Regeln haben, die nicht gebrochen werden dürfen. Was mich an dem jetzigen System stört sind zwei Dinge. Das ist zum einen sehr intransparent. Es ist kaum für jemanden, selbst jemand, der sich wirklich mit der Materie auskennt, nachzuvollziehen, wann ein Verfahren ausgesetzt wird und wann nicht. Die Regeln sind sehr, sehr komplex. Deswegen ja auch die Gerüchte darüber, dass das Aussetzen des Defizitverfahrens im Zusammenhang stehen könnte mit der Zustimmung Italiens zur Nominierung von Ministerin von der Leyen als Kommissionspräsidentin. Das kommt ja genau daher, weil wir kaum erkennen können, wie die Regeln wirklich sind. Die müssen transparenter sein. Und dann brauchen wir automatische Sanktionen, die dann greifen. Wenn Regeln nicht eingehalten werden, dann muss unabhängig vom Wahlkalender, unabhängig von politischen Erwägungen ganz klar ein Defizitverfahren in Gang gesetzt werden – ganz automatisch.
Engels: Sie haben es angedeutet. Aufgrund des zeitlichen Zusammentreffens der Benennung von Ursula von der Leyen als Kandidatin für den EU-Kommissionsvorsitz kamen diese Spekulationen, ob man Italien beim Defizitverfahren entgegenkam. Für wie glaubwürdig halten Sie das, dass es doch einen Zusammenhang gibt?
Suding: Ich glaube nicht, dass es da einen Zusammenhang gibt. Ich denke nicht, dass da so agiert wird. Aber es ist der Verdacht da und das liegt an der Intransparenz, und deswegen müssen wir da unbedingt ran. Und noch etwas, woran wir unbedingt ran müssen – und das ist auch das grundsätzliche Problem -, dass die Italiener ihre schlechte Wirtschaftspolitik machen können, in dem Wissen, dass sie dafür am Ende doch nicht haften müssen. Die italienischen Banken halten sehr, sehr viele Staatsanleihen und sollte Italien sich noch weiter verschulden, sollte es zahlungsunfähig sein, dann reicht das Eigenkapital der italienischen Banken nicht, um die Staatsanleihen, die dann ausfallen würden, zu retten. Und wenn dann die drittgrößte Volkswirtschaft in der EU ein Problem hat mit ihren Banken, dann wird das auch das Finanzsystem der anderen EU-Länder gefährden, und dann werden wir wieder eine Situation haben, dass die anderen, insbesondere die EZB einspringen muss, und das müssen wir unbedingt vermeiden. Deswegen brauchen wir Haftungsregeln, damit Italien von sich aus Anreize hat, marktwirtschaftliche Reformen auch wirklich durchzuführen.
"Wir brauchen die Haftungsregelung"
Engels: Haftungsregeln, mehr Transparenz – das sind Forderungen von Ihnen. Aber wir stehen ja bei Rom und den Gesprächen dort immer vor einem Zickzack-Kurs. Schon vor einem halben Jahr hatte die Kommission Italien ja mit einem Defizitverfahren gedroht. Auch da lenkte die Regierung in Rom kurz vorher ein, um die Ausgabewünsche dann ein paar Monate später wieder herauszuholen. Wird sich das denn nächste Zeit wiederholen, einfach weil es auch im Interesse der italienischen Regierung liegt, hier nicht ganz berechenbar zu sein?
Suding: Die Italiener schlagen sicherlich Kapital daraus, insbesondere Salvini mit seiner eurokritischen Haltung, dass er sich hinstellt und sagt, die EU-Kommission traut sich am Ende doch nicht, die Regeln durchzusetzen. Dann verändert er klammheimlich ein bisschen was an seinem laufenden Haushalt, hält die beschlossenen Obergrenzen ein, die besprochenen Obergrenzen, und kommt dann in die Situation, dass das Verfahren tatsächlich abgesagt wird. Das wirkt natürlich auf die Bevölkerung sicherlich in der Form, als dass sich Salvini da auf ganzer Linie durchgesetzt hätte. Das ist natürlich ein misslicher Umstand und deswegen sage ich ganz klar, wir brauchen da mehr Transparenz und wir brauchen die Haftungsregelung, damit Italien nicht immer nur minimale Kurskorrekturen vornimmt, auf Druck der EU-Kommission, sondern dass da tatsächlich substanziell etwas passiert, dass es da marktwirtschaftliche Reformen gibt, damit die Italiener von ihrem hohen Schuldenstand wegkommen.
Engels: Salvini – das haben Sie angesprochen – definiert sich auch sehr stark damit, dass er im Rückhalt auf die Wählerschaft, die er anspricht, auch Grenzen antestet, Grenzen überschreitet. Erleben wir hier mittelfristig, dass Italien durch seine Größe am Ende immer wieder am längeren Hebel sitzt, weil natürlich hier auch die Macht besteht, das Euro-Finanzsystem ganz kräftig ins Wanken zu bringen?
Suding: Ja, natürlich wissen die Italiener, dass allein durch ihre Größe die Möglichkeit besteht oder die große Wahrscheinlichkeit, wenn es da ein Problem gibt mit dem Finanzsystem, wenn das Land zahlungsunfähig wird, dass die anderen Partner einspringen. Und das ist ja genau das Problem und deswegen brauchen wir da Haftungsregeln, die ganz klar dafür sorgen, dass die Italiener, wenn sie ihre Haushaltspolitik so machen wollen, ihre Wirtschaftspolitik, dass sie dann aber auch für die Risiken und mögliche Verluste selber haften. Ich glaube, dann würde man sehr anders mit der eigenen Politik umgehen. Dann würden auch die Italiener ganz anders auf ihre Regierung schauen, wenn sie genau wüssten, dass sie selber für Fehler, die gemacht werden, haften.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.