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Mögliches Islamgesetz
"Union ist nach rechts nicht abgedichtet"

Der Grünen-Politiker Omid Nouripour hat ein von Unionspolitikern vorgeschlagenes Islamgesetz als eine Verkehrung der gegenwärtigen Gesetzgebung kritisiert. "Die Union ist nach rechts zur AfD offenbar nicht ganz abgedichtet", sagte Nouripour im Deutschlandfunk.

Omid Nouripour im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Die Union sei von der Rolle und schlage Kapriolen, sagte Nouripour mit Blick auf den Vorstoß von CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn. "Ich warne davor, das auf Kosten von Minderheiten zu machen."
    Die Gleichstellung der Religionen stehe im Grundgesetz, sagte Nouripour. Er wisse außerdem nicht, was in einem Islamgesetz stehen solle, im Grundgesetz sei alles bereits geregelt. Spahn hatte ein Islamgesetz vorgeschlagen, aber selbst in der eigenen Partei Widerspruch erfahren. Der frühere Generalsekretär der CDU, Ruprecht Polenz, bezeichnete die Forderung als populistische Schnapsidee.
    Berechtigt nannte Nouripour aber die Frage nach der Finanzierung von Moscheevereinen aus dem Ausland. Dazu gebe es bislang keine Alternativen, da der Islam nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt werde, der von seinen Anhängern so etwas wie eine Moscheesteuer erheben könne.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Christiane Kaess: Es ist eine Forderung, die der CDU-Politiker Jens Spahn aufstellte. Jetzt schließen sich mehrere Parteikollegen an, unter anderem Parteivize Julia Klöckner und der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung der Union Carsten Linnemann. Sie verlangen ein sogenanntes Islamgesetz im Wahlprogramm der Union aus CDU und CSU. Damit solle der rechtliche Status von muslimischen Vereinen geklärt werden und die Finanzierung von Moscheen aus dem Ausland verboten werden. Festlegen soll so ein Gesetz auch den Anspruch auf muslimische Seelsorge in Gefängnissen oder Krankenhäusern und das Recht auf islamische Bestattungen. Widerstand kommt nicht nur aus der SPD, sondern auch aus den eigenen Reihen. Der ehemalige CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz sprach von einer populistischen Schnapsidee. Unterdessen geht die Diskussion über Koalitionsmöglichkeiten nach der Bundestagswahl weiter. Die Ergebnisse der Saarland-Wahl und der dort ausgebliebene Schulz-Effekt haben eine davor weniger beachtete Konstellation ins Spiel gebracht: eine Ampelkoalition aus SPD, FDP und den Grünen.
    – Über all dies sprechen möchte ich mit Omid Nouripour. Er ist Bundestagsabgeordneter der Grünen und jetzt am Telefon. Guten Morgen!
    Omid Nouripour: Schönen guten Morgen!
    Kaess: Herr Nouripour, wenn man der aktuellen Ausgabe des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" glaubt, dann meinen die Sozialdemokraten, die Grünen machten alles mit, um zu regieren. Ist Ihre Partei tatsächlich so machtbesessen?
    Nouripour: Ich fürchte, genau dieser Grundfehler in den 70er-Jahren hat dazu geführt, dass die Grünen nicht nur gegründet wurden, sondern auch später stärker geworden sind. Und wir sind nicht Rot-Grüne, wir sind nicht Schwarz-Grüne, wir sind Bündnis 90/Die Grünen. Wir haben einen eigenen Kopf, einen eigenen Kurs und vor allem ein eigenes Programm. Und wir wollen in jeder denkbaren Konstellation dieses Programm umsetzen. Und ich kann den Sozialdemokraten nur sagen: Wenn ihr wieder in den Habitus von Schröderscher Basta-Politik und Koch und Kellner verfallt, dann entfernen wir uns emotional eher voneinander.
    Kaess: Wäre die Machtperspektive nicht die einzige Möglichkeit, aus diesem Umfragetief wieder rauszukommen?
    Nouripour: Ich glaube, ehrlich gesagt, dass gerade viel zu viel über Farben geredet wird, viel zu viel über die Frage, wer mit wem, und viel zu wenig über die Frage, wofür. Die Parteien haben ja nicht einmal ihre Programme alle aufgestellt und deshalb ist es sinnvoll, wenn man jetzt konzeptionell arbeitet. Und ich glaube nicht, dass die Leute da draußen politische Farbenlehre übertragen gesehen haben wollen auf die Parteienlandschaft, sondern die wollen Lösungen sehen, und das ist zentral.
    Kaess: Und dennoch brauchen sie für diese Lösungen, die Sie anbieten, einen Koalitionspartner. Haben die Grünen denn zu lange schwarz-grüne Signale ausgesendet und rächt sich das jetzt, wo Martin Schulz als SPD-Kanzlerkandidat aufgetaucht ist?
    "Es gibt Hindernisse inhaltlicher Art mit allen"
    Nouripour: Wir haben Differenzen zu allen Parteien. Sonst wären wir ja keine eigene Partei. Natürlich haben wir eine größere Nähe inhaltlich zur Sozialdemokratie. Aber bei der Frage Kohleausstieg haben wir natürlich immense Unterschiede auch zu ihnen. Und deshalb gibt es Hindernisse inhaltlicher Art mit allen. Die zentrale Frage ist, wer ist bereit, sich zu bewegen, wer ist bereit, mit uns unsere Punkte auch umzusetzen. Natürlich werden auch wir Kompromisse machen müssen. Aber die zentrale Frage für uns ist, wer ist bereit, mit uns Klimaschutz zu betreiben, wer ist bereit, mit uns eine Energiepolitik umzusetzen, die sinnvoll ist, wer ist bereit, mit uns Rüstungsexporte zu reduzieren und so weiter und so fort. Und die zentrale Frage im Übrigen ist immer wieder, wer ist bereit, mit uns daran zu arbeiten, dass wir das auch alles europäisch hinbekommen, weil die Europäische Union gerade in diesen Tagen sich herausstellt als das wichtigste Feld der Auseinandersetzung mit Populismus und mit totalitären Tendenzen.
    Kaess: Wer ist bereit, das mit Ihnen umzusetzen? Dazu werden Sie sich wahrscheinlich schon einige Gedanken gemacht haben. Wir haben jetzt aus den anderen Parteien immer wieder einzelne Stimmen zumindest gehört, wie sie zu verschiedenen möglichen Regierungsbündnissen stehen. Warum schweigen die Grünen?
    Nouripour: Weil wie gesagt bei uns die inhaltliche Frage voransteht, weil für uns relevant ist, ...
    Kaess: Aber Sie müssen dem Wähler doch erklären, wie Sie es umsetzen wollen.
    Nouripour: Ja, sicher! Aber lassen Sie mich noch mal ein paar Beispiele sagen. Die Europapolitik, das ist ein riesen Hindernis in der Kooperation mit der Linkspartei. Die Linkspartei stellt weiterhin die Europäische Union als ein Monstrum des Kapitalismus und der Kriegstreiberei dar, was einfach völlig verkehrt ist. Lafontaine sagt, dass die Frage von offenem Grenzverkehr ein neoliberales Ding wäre. Tut mir leid, ich komme damit nicht klar. Wenn das die Position ist, mit der Die Linke dann mit uns koalieren will, dann wird es nicht gehen. Wenn die Sozialdemokratie weiterhin bis in alle Ewigkeit an Kohle festhalten will, dann wird es mit uns nicht gehen. Wenn die FDP nicht bereit ist, zu verstehen, dass die Regulierung der Finanzmärkte zentrale ist, damit wir nicht noch mal einen Crash bekommen wie 2008, wird es nicht gehen. – Ich kann jetzt sehr lange darüber sprechen, was alles nicht geht. Am Ende des Tages ist das Wichtigste für uns, dass wir so stark sind, dass es keine Regierungskonstellation gibt ohne uns und dass die anderen das verstehen, dass sie sich auf uns werden zubewegen müssen. Im Saarland hat man es gesehen, gibt es keine starken Grünen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es eine Große Koalition gibt – und die will wirklich, wirklich niemand mehr –, sehr groß. Und das ist entscheidend!
    Kaess: Dann haben wir jetzt verstanden, Herr Nouripour, dass es sehr, sehr schwierig wird, so wie Sie das beschreiben. Die Saarland-Wahl, die hat ja gezeigt, dass ein Linksbündnis eher abschreckend wirkt. Sollten die Grünen nicht zumindest das klar absagen?
    "CDU hat sich vergaloppiert"
    Nouripour: Nein, weil auch da es darum geht, wer sich in der Linkspartei durchsetzt. Wenn Sie sich den Bartsch anschauen, der Bartsch hört sich ganz anders an als Frau Wagenknecht. Ich bin nicht sicher, wie am Ende die Auseinandersetzung innerhalb der Linkspartei zu Europa entschieden wird. Und das werden wir abwarten müssen. Deshalb ist es das Wichtigste für uns, dass wir im Wahlkampf natürlich unsere Stärken herausstellen. Ich schließe nicht aus, dass es am Ende sinnvoll ist, wenige Wochen vor der Wahl zu sagen, dass wir eine sehr klare Präferenz haben oder was alles nicht geht, weil es zum Beispiel sein kann – Sie haben ja vorhin das Thema Islamgesetz genannt -, es ist durchaus denkbar, dass die CDU sich so dermaßen darauf kapriziert, dass im Wahlkampf klar wird, es geht da nicht mehr, weil die haben sich vergaloppiert im gesamten Wahlkampf und haben sich den Populisten angeschlossen. Wir werden es sehen!
    Kaess: Zum Islamgesetz kommen wir gleich noch. Sagen Sie uns gerade noch, wie Sie zur vieldiskutierten Ampel stehen.
    Nouripour: Ich finde, die demokratischen Parteien – und das heißt, die AfD nicht, weil die keine demokratische Partei ist – müssen alle miteinander koalieren können. Für meine Partei bedeutet das aber natürlich, dass wir unser Programm auch umsetzen können. Das heißt, es ist eine Ampel nicht ausgeschlossen, aber das ist gerade nicht die zentrale Frage. Die ist genauso wenig ausgeschlossen wie Rot-Rot-Grün oder Schwarz-Grün.
    Kaess: Und da scheint ja Ihr Problem zu liegen, dass die grünen Themen im Moment nicht so ankommen, wie Sie sich das wahrscheinlich wünschen würden. Die Union hat jetzt dieses Thema angerissen, das sofort Wellen schlägt: ein sogenanntes Islamgesetz. Ist das eine gute Idee?
    Nouripour: Ich halte das für ... Wie haben Sie es gerade gesagt? Der Polenz hat gesagt, das ist eine Schnapsidee? Das ist eine schöne Formulierung. Das ist wirklich eine völlige Verkehrung der bisherigen Gesetzgebung und auch der notwendigen Gleichstellung der Religionen, wie sie im Grundgesetz steht. Und das ist jetzt ein weiterer Beleg dafür, dass die Union ziemlich von der Rolle ist und zurzeit ziemliche Kapriolen schlägt in der Rhetorik der Auseinandersetzung mit den Muslimen und mit dem Islam.
    Kaess: Sie sind ja selbst Muslime, Herr Nouripour. Wie nehmen Sie diesen Vorschlag denn persönlich wahr?
    "Wird es dann auch ein Hinduismusgesetz geben?"
    Nouripour: Na ja, ich weiß nicht, was eigentlich so alles darin stehen soll, was vor allem dann in einem sogenannten Hinduismusgesetz nicht stehen soll. Wird es ein solches Gesetz dann auch geben? Ich verstehe es nicht. Ich bin sehr dankbar, dass Volker Kauder dieses Gesetz ablehnt, und zwar auch wirklich mit den richtigen Argumenten. Es gibt nämlich die Gleichstellung der Religion und im Grundgesetz steht ja eigentlich alles schon drin. Aber es gibt andere Gesetze von Volker Kauder, die sehr klar machen, wie die Union zurzeit nicht genau weiß, wie sie mit dem Islam umgehen soll. Zum Beispiel den Satz, Muslime gehören zu Deutschland, der Islam aber nicht. Was heißt das für mich? Soll ich meine Religion an der Garderobe abgeben und nur im Urlaub auf den Malediven, wo ich niemals hinkommen würde, aber was ein islamischer Staat ist, dann ausleben? Das ist alles ein bisschen schrägt. Die Union ist nach rechts anscheinend nicht abgedichtet Richtung der AfD und überlegt, wie sie das machen soll. Und ich kann nur davor warnen, das auf Kosten von Minderheiten zu machen.
    Kaess: Schauen wir doch mal auf einen ganz konkreten Punkt. Was ist denn dagegen zu sagen, dass der rechtliche Status von muslimischen Vereinen geklärt werden muss und auch die Finanzierung, um einer möglichen Radikalisierung entgegenzuwirken?
    Nouripour: Wir haben hier zum Beispiel das Vereinsrecht. Aber die Finanzierungsfrage ist natürlich vollkommen richtig. Ich bin sehr, sehr dafür, dass die Vereine, die Moscheevereine nicht mehr aus dem Ausland finanziert werden. Das ist aber eine uralte Debatte und die erkrankt daran, dass es keine alternative Möglichkeiten bisher für die gibt. Wir haben sehr lange miteinander gesprochen, ob es nicht die Möglichkeit gibt, dass sie als Religionsgemeinschaften anerkannt werden, damit sie auch tatsächlich so was wie eine Moscheesteuer erheben können.
    Kaess: Also hat die Union aber hier einen Punkt, wenn Sie sagt, diese Finanzierung muss rechtlich geklärt werden.
    Nouripour: Die haben natürlich Punkte, die geklärt werden müssen. Das ist ja nicht die Frage. Die Frage ist, gießen wir das in ein allgemeines Gesetz über eine ganze Religion oder nicht, und da macht es keinen Sinn. Aber es gibt ja bereits Gruppierungen wie zum Beispiel die Aleviten, die es geschafft haben, eine solche Steuer zu erheben. Damit erübrigt sich auch dann die Finanzierung aus dem Ausland. Das ist doch super! Wir sollten eher darüber reden, wie wir Lösungen hinbekommen, und nicht, wie wir erst mal damit reingehen zu erklären, was alles verboten wird.
    Kaess: Es scheint, der Union ja weniger jetzt um den Islam an sich zu gehen, sondern einfach darum, muslimische Vereine und Moscheen transparenter zu machen.
    Nouripour: Es ist ja richtig, dass wir auch da ein größeres Problem haben. Es gibt viel zu viele Moscheen, in denen das Falsche oder wirklich Hass gepredigt wird. Es sind nicht so viele wie man tut, aber jede einzelne ist eine zu viel. Aber eine Forderung zum Beispiel, die da sagt, na ja, die sollen nur noch deutsch predigen dürfen, ist erstens aus meiner Sicht rechtlich nicht durchsetzbar. Zweitens ist das auch keine Gleichstellung der Religionen. Wir haben hier christliche Kirchen, die jeden Sonntag auf Kroatisch predigen, und das ist völlig in Ordnung. Wir haben im Übrigen dann auch ein falsches Signal gesetzt, wenn wir das machen. Wir haben zum Beispiel in China deutsche christliche Gemeinden, in denen deutsch gepredigt wird, und das ist auch richtig so. Nur wenn wir ein solches Beispiel setzen, dass dann möglicherweise dazu Staatszersetzendes kommt grundsätzlich, dann laden wir die chinesische KP ein, zu sagen, dann dürft ihr das nicht mehr machen, die wollen das sowieso nicht gerne sehen. Da kann ich nur sagen, Lösungen ja, Probleme gibt es, aber diese ganz großen Keulen, die bringen uns überhaupt nicht weiter.
    Kaess: ... sagt Omid Nouripour, Bundestagsabgeordneter der Grünen. Danke für das Interview.
    Nouripour: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.