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Mölbis
Im ehemals "dreckigsten Dorf der DDR"

"Blühende Landschaften" hatte Helmut Kohl den Ostdeutschen vor 25 Jahren versprochen. Das hat bekanntermaßen nicht ganz so geklappt wie eigentlich geplant. So ist die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland beispielsweise immer noch extrem hoch. Doch zumindest beim Umweltschutz hat sich eine ganze Menge getan. Besonders gut sehen kann man das im kleinen Örtchen Mölbis, südlich von Leipzig.

Von Iris Riedel |
    "Nachts werde ich munter, denke, was ist denn das? Es kratzt ja im Hals, das geht ja gar nicht. Fenster aufgemacht, ist Nebel draußen. Ja, es war Nebel, Industrienebel. Rauch, Qualm, Dampf von Espenhain, von den Schloten. Man wusste nicht, wie man Luft holen sollte."
    1986 ließ sich Pfarrer Karl-Heinz Dallmann freiwillig auf die seit Jahren vakante Pfarrstelle in Mölbis versetzen. So schlimm wird es schon nicht sein, sagte er sich damals und wurde bereits in der ersten Nacht eines Besseren belehrt.
    "Und am Auto sehe ich Chromteile. Ist das Rost? Über Nacht. Roststellen angesetzt."
    28 Jahre später wohnt Karl-Heinz Dallmann immer noch in Mölbis. Soeben hat er ein modernes Passivhaus gebaut, einen blauen Wohnwürfel mit adrettem Terrassengarten. Dahinter erhebt sich die Halde Trages. Auf der anderen Seite, keine 800 Meter Luftlinie, befand sich eines der größten Kraftwerke der DDR, das Braunkohleveredlungswerk Espenhain, wo Braunkohle zu Benzin verschwelt wurde.
    "In den 60er-Jahren hat man das gesamte Werk nur auf Verschleiß gefahren, weil man das umstellen wollte auf Erdöl. Und dann kam '73 die Erdölkrise. Jedenfalls hat man das Werk wieder angefahren und noch mehr produziert als früher. Also in dem Werk ist zum Teil mit 200 und über 200 Prozent gefahren wurden."
    Täglich verließen 20 Tonnen Schwefeldioxid, 4 Tonnen Schwefelwasserstoff und 1,5 Tonnen Ammoniak ungefiltert die Essen von Espenhain. Mölbis bekam davon am meisten ab, weil es in der Hauptwindrichtung lag. Atemwegserkrankungen und Hautekzeme traten 15 Mal häufiger auf als andernorts in der Republik. Die Verhältnisse riefen die Umweltbewegung auf den Plan. Seit 1984 fanden jährlich Umweltgottesdienste in den betroffenen Gemeinden statt, auch in Mölbis.
    "Die waren hier auf dem Hof."
    Karl-Heinz Dallmann zeigt auf den Pfarrgarten gegenüber der Dorfkirche.
    "Da hatten wir eine Bühne hier hinter diesen Büschen. 1987 waren ungefähr 1000 Leute da."
    Gegen die handfesten wirtschaftlichen Interessen der DDR hatten die Dörfer keine Chance, aber sie konnten Zeichen setzen. Besonders wirkungsvoll war die Aktion "Eine Mark für Espenhain" des Christlichen Seminars Rötha.
    "Der Sinn war ja eine Unterschriftensammlung gegen den Staat. Das war von vornherein schon einmal Hochverrat. Wenn wir aber sagen, wir spenden eine Mark für Espenhain und quittieren unsere Spende jeweils, haben wir eine Unterschriftsammlung gehabt und sogar noch Geld dazu. Und da sind in kürzester Zeit 40.000 Ostmark zusammengekommen. Und damit war das Problem Mölbis mit einem Mal DDR-weit bekannt."
    Das Dorf hat sich komplett gewandelt
    Seit der Wende hat das Dorf eine erstaunliche Entwicklung vollzogen. Von giftiger Chemie zerfressene Häuser sieht man hier keine mehr. Alle sind frisch renoviert, die Vorgärten herausgeputzt.
    "In Mölbis war ein Haus bewohnt, leer, leer, bewohnt, bewohnt, Ruine, leer, bewohnt, Ruine."
    Das Dorf profitiert von seiner Lage im Speckgürtel von Leipzig. Die Einwohnerzahl hat sich von 324 zur Wende auf knapp 600 beinahe verdoppelt. Dietmar Haym war von 1984 bis 2001 Bürgermeister von Mölbis. Unter seiner Regie wurde eine Dorfentwicklungsgesellschaft gegründet, die enorme Summen an Fördergeldern einwarb.
    "Und dann sind die Leute sukzessive überzeugt worden, in dem Ort zu bleiben und neue Dinge zu schaffen. Das ging dann sehr, sehr schnell. Es wurden Pläne geschmiedet, wie Mölbis sich entwickeln kann."
    Die Infrastruktur wurde komplett erneuert, Einfamilienhäuser im Ortskern gebaut. Es gibt eine KiTa, einen Dorfgasthof und einen Tante-Emma-Laden. Doch jede Entwicklung hat Gewinner und Verlierer. Auf der Dorfstraße treffe ich Karl-Heinz K. Er gehört zu den Letzteren.
    "23 Jahre habe ich dort draußen gebuckelt, als Kokser. Also, es hätte noch ein paar Jahre laufen können, aber gut der Dreck. Die Vergünstigungen, das kriegst du nicht wieder. Wir hatten Prämie gekriegt hier, als das ging ja Leistung und dann mit einem Schlag Ruhe."
    6000 Arbeiter standen nach der Schließung des Werks auf der Straße. Von "blühenden Landschaften" könne man in Mölbis tatsächlich sprechen, sagt Bürgermeister Dietmar Haym, aber im Menschlichen sei nicht alles so aufgegangen.
    "Die Umweltbedingungen, die in Mölbis besonders schlimm waren, die wurden toleriert teilweise durch die guten Verdienstmöglichkeiten. Aber man kann das miteinander Äpfel mit Birnen vergleichen, das ist schwierig, das ist so eine moralische Kiste."