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Möllemann-Affäre verdeckt Strategiedebatte

Dieses ist der größte Wahlerfolg der Freien Demokraten, den wir seit der deutschen Einheit verzeichnen konnten. Wir danken den Wählerinnen und Wählern. Es gibt drei gesamtdeutsche Parteien, und die FDP ist davon eine auf gleicher Augenhöhe.

Frank Capellan und Carsten Burtke |
    Selten hat er so gestrahlt wie nach dieser Wahl: Politik macht wirklich Spaß – ihm ist es anzusehen, und der Spaß fängt jetzt erst so richtig an – bald wird der 41jährige am Ziel seiner Träume sein... "Bundesaußenminister Guido Westerwelle".

    Wir wollten die Grünen als dritte Kraft ablösen, und das haben wir geschafft, liebe Freunde .

    Partylaune auch bei ihm. Er hat aus der Partei der Besserverdienenden eine Volkspartei gemacht. Jetzt feiern die Liberalen ihren oft belächelten Luftikus aus Nordrhein-Westfalen – mit der Zauberzahl 18 hat er zu den Sternen gegriffen, jetzt will er zurück auf die Kabinettsbank... "Justizminister Jürgen W. Möllemann".

    Es hätte so schön sein können – die Hoffnung stirbt zuletzt, am Abend des 22. September ist es soweit:

    Herzlich willkommen bei der liberalen Opposition

    Wie anders hatte sich der Chef der Spaßpartei das doch vorgestellt.

    Wir hatten nicht nur mehr erwartet, sondern wir sind auch unter unseren Möglichkeiten geblieben.

    Schon als er noch gutgelaunt im gelben Guidomobil übers Land zieht, und hinter ihm plötzlich die Sintflut über Deutschland hereinbricht, sieht Westerwelle dunkle Wolken am liberalen Himmel aufziehen. Dann – auf der Zielgeraden – der finale Kracher: Der Fallschirmspringer vom Rhein verhagelt ihm die Partie:

    Da ist ja ein Flugblatt verteilt worden, ohne dass irgendein Gremium dieses beschlossen hätte. Ich glaube, das ist eine Art und Weise, die so gegen das Vertrauen in einem Gremium geht, dass man dann eben nicht vertrauensvoll weiter zusammenarbeiten kann. Ich muss mich darauf verlassen können, dass mir nicht jemand wenige Tage vor der Wahl ein solches Ei ins Nest legt.

    Der Tag nach der Wahl – Parteichef Westerwelle schickt seinen Stellvertreter Möllemann in die Wüste. Dessen anti-israelisches Faltblatt Flyer markiert das Ende eines liberalen Führungsduos. Schonungslos bricht Westerwelle mit Möllemann, jetzt - Wochen, bevor die Liberalen immer tiefer in einem Spendensumpf versinken - ist auch für die politischen Fehler der FDP ein Sündenbock gefunden. Wirklich gemocht haben sich die beiden nie – aber getrieben von Ehrgeiz und Größenwahn prächtig ergänzt. Die Rollenverteilung funktioniert schon, als Wolfgang Gerhardt noch Parteichef ist: Der wird von Möllemann gehetzt, bis er waidwund ist und von Westerwelle abgeschossen wird. Danach die Aufgabenteilung: Westerwelle verbreitet Fröhlichkeit – Möllemann bricht Tabus. Ende April nimmt er den Deutsch-Syrer Jamal Karsli in die Düsseldorfer Landtagsfraktion auf, obwohl dieser Israel im Kampf gegen die Palästinenser "Nazi-Methoden" vorwirft. Die Ehrenvorsitzenden Otto Graf Lambsdorff und Hans-Dietrich Genscher protestieren besorgt - doch Westerwelle hält drei Wochen lang still. Erst nach scharfer Kritik des Zentralrats der Juden demonstriert er Entschlossenheit, drängt die Freunde in NRW, Jamal Karsli die Parteimitgliedschaft zu verweigern:

    Vor einer Woche wollte Herr Karsli gegen meinen Willen FDP-Mitglied durch den Recklinghausener Kreisverband werden. Eine Woche später ist Herr Karsli nicht mehr Mitglied der Freien Demokraten. Andere reden – ich handele.

    Doch auch sein Düsseldorfer Gegenspieler handelt: Jürgen Möllemann sucht die Auseinandersetzung mit Michel Friedman. Höhepunkt der Angriffe: Möllemann wirft dem Vizepräsident des Zentralrates der Juden vor, mit seiner – so wörtlich – "intoleranten, gehässigen Art" den Antisemitismus in Deutschland zu schüren. Friedman verlangt von Westerwelle Konsequenzen, was Möllemann macht, sei nicht mehr haltbar:

    Erstens mit der Mitgliedschaft in der Fraktion und zweitens mit der Bemerkung, die er gemacht hat, dass die Juden selbst verantwortlich dafür sind, dass man sie nicht mag. Und es ist ganz entscheidend für uns, der Zentralrat, gewesen, dass dies von der Spitze der Partei, in der Breite der Partei getragen wurde.

    Auch aus den eigenen Reihen wird Westerwelle jetzt unter Druck gesetzt. Die Wächter liberaler Werte melden sich warnend zu wort. Gerhard Baum:

    Wenn man Herrn Möllemann jetzt nicht stoppt, dann macht er das bis zum Bundestagswahlkampf. Das heißt, seine Politik ist offenbar eine Politik ständiger Provokationen, auf Kosten anderer, mit Ressentiments. Es muss jetzt gesagt werden: "Möllemann – Schluss!"

    Doch noch lässt Westerwelle Möllemann gewähren. Und der legt weiter nach, verschärft die Kritik an Israel:

    Ich werde mir das Recht dazu auch von Herrn Friedman nicht bestreiten lassen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

    Antiisraelisch sei er, betont Möllemann, aber als antisemitisch werden seine Äußerungen empfunden. Der NRW-Landeschef spielt mit antijüdischen Vorurteilen, fischt am rechten Rand nach Wählerstimmen, so der Vorwurf. Westerwelle nimmt ihn in Schutz:

    Ich glaube, es ist notwendig, dass wir auch in Deutschland eine Diskussion über die Frage führen: `Darf die israelische Regierung kritisiert werden?´ - Ich meine, sie darf kritisiert werden. `Darf derjenige, der das tut, zum Antisemiten abgestempelt werden?´ - Ich meine, das darf nicht sein!

    Wieder hat der FDP-Vorsitzende seinen Kettenhund aus Düsseldorf von der Leine gelassen. Wieder lässt er ihn gewähren, doch die Kritik wird lauter, weil Möllemann nicht loslässt. Westerwelle bleibt der Getriebene. Israel-Reise und klärende Gespräche mit dem Zentralrat der Juden – der Parteichef müht sich um Schadensbegrenzung – auf Verlangen anderer. Vorgänger Wolfgang Gerhardt:

    Ich halte das Nachkarten von Jürgen Möllemann für unerträglich. Das ist nicht Stil eines Liberalen, das muss man ganz klar öffentlich sagen. Das Präsidium, Guido Westerwelle, ich selbst, alle anderen, haben die Brücke jetzt gebaut zum Zentralrat der Juden. Die wollen wir uns durch ein Nachkarten nicht wieder zerstören lassen. Wir werden diese unerträgliche Diskussion und Situation beenden.

    Möllemann hat den Bogen überspannt, in der FDP wächst die Wut, dass es Westerwelle überhaupt so weit kommen ließ. Der Ehrenvorsitzende Graf Lambsdorff:

    Das ist ein Zustand, den ich mir niemals in meinen schlimmsten Alpträumen hätte träumen lassen, nämlich, dass vor der Parteizentrale der FDP die jüdische Gemeinde wegen Antisemitismus-Vorwürfen gegen die FDP demonstriert, vor dem Thomas-Dehler-Haus, trägt den Namen Thomas Dehlers, der mit einer Jüdin verheiratet war und seine Frau mit großem Anstand durch die Nazi-Zeit gebracht hat. Das ist für mich einer der schlimmsten Tage, die ich in der FDP erlebt habe.

    Für Guido Westerwelle selbst kommen noch schlimmere Tage. Später wird er sagen, einer der schlimmsten sei der gewesen, als er vom antiisraelischen Flugblatt Möllemanns erfuhr: Es ist der 16. September – der Montag vor der Wahl. Das Ei liegt im Nest. Aber wusste er wirklich nicht früher Bescheid? Mehr als eine Woche zuvor versucht Michael Riedl, Kommunalpolitiker aus Neuss, ihn zu warnen, berichtet von einer unsäglichen Flugblatt-Aktion Möllemanns, die ihm zu Ohren gekommen ist:

    Ich hatte nur ein einziges Ziel, den Flyer zu stoppen, den Flyer zu verhindern, weil ich als Mensch entrüstet war und weil ich gesehen habe, dass dieses neue Aufwärmen der Debatte der Partei heftigen Schaden zufügen wird.

    Doch Riedls warnendes FAX bleibt im Vorzimmer hängen, beteuert Westerwelle später. Zwei Mitarbeiterinnen werden wegen dieses "Bürofehlers" versetzt. Doch Fragen drängen sich auf – wollte Westerwelle gar nicht so genau wissen, was Möllemann im Schilde führte, hat er ihn vielleicht sogar gewähren lassen, in der Hoffnung, im Falle eines Wahlerfolges würden sich ohnehin alle unbequemen Fragen erledigen? War das nicht immer wieder die Devise des Guido Westerwelle?

    Entweder er hat es gewußt oder er hat den Laden nicht im Griff. Das ist ein massiver Bürofehler, der nicht vorkommen darf und den man auch den Mitarbeitern allein nicht anhängen darf, sondern auch dem Chef. Das ist immer so. Dafür ist er Chef!

    Muss also der Chef Verantwortung übernehmen, wie es Schatzmeister Günter Rexrodt heute andeutet? – Westerwelle weist dieses Verantwortung von sich:

    Es handelt sich hierbei nicht um eine Affäre der FDP oder von einigen aus der FDP, sondern es handelt sich hierbei um eine Affäre eines Mannes.

    Möllemann ist der Mann, den alle Schuld trifft. Jetzt löst sich Westerwelle endgültig vom Enfant terrible, mit dem er solange zusammen gespielt hat. Jetzt rückt der Parteichef selbst vom Allerheiligsten ab: der Strategie 18. - Anfangs noch "Projekt 18" genannt, hat sie ausgerechnet in Jürgen W. Möllemann ihren geistigen Vater. Und das kam so: Der damalige Vize seiner Partei tritt zum Landtagswahl-Kampf in Nordrhein-Westfalen – im Mai 2000 - mit dem ehrgeizigen und von vielen belächelten Ziel an, für die Liberalen mindestens acht Prozent der Stimmen zu holen: obwohl die Umfragen anderes verheißen, obwohl die FDP bei den Wahlen zuvor eine Pleite nach der anderen erlebt hatte. Nicht so in NRW: Hier kommt Möllemann mit seinen liberalen Parteifreunden auf ein für alle überraschendes Ergebnis:

    Wir wollten acht Prozent erreichen, und das scheint vielleicht sogar nicht nur gelungen, sondern – und das wäre mehr als wir geträumt haben – vielleicht sogar überboten.

    Am Ende sind es gar 9, 8 Prozent und der Wiedereinzug ins Parlament. Möllemann hat seinen ersten Triumph.

    Diese Stunde des Erfolgs ist wohl auch die Geburtsstunde des neuen Konzepts. Warum soll das, was in Nordrhein-Westfalen so erfolgreich war, auf Bundesebene falsch sein, fragt sich Möllemann offenbar und präsentiert den Delegierten auf dem Bundesparteitag in Nürnberg – nur einen Monat später - sein Projekt 18. Nicht mehr die 5-Prozent-Hürde, auch nicht die Marke von 10 Prozent: nein, 18 Prozent der Wählerstimmen sollten die Liberalen künftig anstreben. Und letztlich neben SPD und CDU/CSU die dritte Volkspartei in Deutschland werden:

    Wir sind nicht Klientelpartei, wir suchen unserer Wähler in allen Schichten des Volkes, nach Einstellungen, und da ist uns der Arbeiter genauso willkommen wie der Professor. Das ist eben nicht diese Sektschwenker-Gesellschaft, die manche am liebsten bei uns nur sehen möchten.

    Und um dieses zu erreichen, soll es nach dem Willen Möllemanns künftig im Wahlkampf auch keine Koalitionsaussage mehr geben. Doch damit nicht genug: Möllemann fordert für seine Partei einen eigenen Kanzlerkandidaten.

    Der Erfolg für Möllemann hält sich in Grenzen. Nur Wolfgang Kubicki, Fraktionsvorsitzender in Schleswig-Holstein – zudem enger Freund und Weggefährte -, einzig Kubicki unterstützt den Vorschlag. Die anderen Spitzen der Partei – auch der Generalsekretär und spätere Parteichef Westerwelle - reagieren zurückhaltend oder ablehnend. Alle aus dem einen Grund: Weil der Parteivize sich selbst schon als Kanzlerkandidat sieht. Und so gelten die mahnenden Worte von Parteichef Wolfgang Gerhardt ihm vor allen Dingen:

    Wir können nur erfolgreich sein, wenn wir uns mehr mit dem politischen Gegner auseinandersetzen als dass wir uns mit uns selbst beschäftigen. Das möchte ich hier doch eindeutig sagen.

    Doch Möllemann wäre nicht Möllemann, würde er nach der ersten Niederlage schon klein beigeben. Nach dem Motto "Steter Tropfen höhlt den Stein", bringt er in den folgenden Wochen und Monaten bei jeder sich bietenden Gelegenheit "sein großes Projekt" ins Gespräch. Als es schließlich zu einem Wechsel an der FDP-Spitze kommt, ist auch er wieder im Aufwind: Auf Druck der Partei – an dem Möllemann nicht unmaßgeblich beteiligt ist – muss Wolfgang Gerhardt sein Amt an Guido Westerwelle auf dem Parteitag in Düsseldorf im Mai 2001 abgeben. Was obendrein die Chancen für das Projekt 18 erhöht. Doch auch in Düsseldorf wird darüber wieder heftig gestritten.

    Wer 18 Prozent zu einer Mission macht, in der jeder, der sagt "15 ist auch gut", zu einem Ketzer verdammt wird, da sagen ich Ihnen, wir sind nicht in einer Partei, sondern in einer Sekte, und das will ich nicht sein!

    Die hessische Parteivorsitzende Ruth Wagner ist letztlich aber auf diesem Parteitag schon in der Minderheit.

    Wie viele andere, so springt auch der neue Parteichef Westerwelle auf den Möllemann-Zug auf und ist nun für die 18 Prozent als Wahlziel. Völlig überraschend kommt dieser Sinneswandel nicht. Schließlich hatte Westerwelle bereits 1998 – in seinem Buch Neuland – das Wählerpotenzial der FDP auf bis zu 25 Prozent geschätzt.

    Also: 18 Prozent, eine Partei für alle und keine Koalitionsaussage – mit all dem kann sich Westerwelle nun anfreunden. Mit dem Kanzlerkandidaten noch nicht. Aus Furcht davor, dass Möllemann ihm dabei den Rang ablaufen könnte, gibt sich Westerwelle deshalb kämpferisch:

    Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt´s einen, der die Sache regelt, und das bin ich!

    Ein Jahr später – also im Mai dieses Jahres – ist dann alles wieder ganz anders. Nach einem ständigen Auf und Ab im Verhältnis zwischen Möllemann und Westerwelle – vor allem natürlich durch den Fall Karsli – ist auf dem Parteitag in Mannheim scheinbar alles in Butter. Die beiden Kontrahenten demonstrieren Einigkeit und wollen sich im Wahlkampf gegenseitig unterstützen. Nun lässt sich Guido Westerwelle doch zum Kanzlerkandidaten wählen. All die Stimmen, die zuvor noch vor einem solchen Schritt gewarnt hatten, sind jetzt verstummt: wenn man mal von Hildegard Hamm-Brücher oder Otto Graf Lambsdorff absieht. Und so konnte der FDP-Ehrenvorsitzende Hans-Dietrich Genscher den begeisterten Delegierten verkünden:

    Die Freie Demokratische Partei will die Bundestagswahlen am 22. September 2002 mit Dr. Guido Westerwelle als Kanzlerkandidaten zum Erfolg führen (tosender Beifall)

    Guido Westerwelle nimmt das Votum dankbar und mit unverkennbarer Freude an und erklärt seinen Sinneswandel so: "Was vor einem Jahr falsch war, kann in diesem Jahr richtig sein!":

    Ich habe mich entschieden. Ich bitte um Ihren Auftrag, als Kanzlerkandidat der Freien Demokratischen Partei in die Bundestagswahl für Sie zu gehen.

    Für Westerwelle ein Sieg auf ganzer Linie. In diesem Hochgefühl nimmt der neue erste Mann die Idee von Möllemann nicht nur dankbar auf und lässt sich küren. Er macht das ganze Projekt jetzt vielmehr zu seiner eigenen "Strategie 18". Was in den nächsten Wochen folgt, ist ein liberaler Spaß-Wahlkampf ohne Beispiel. Zwar streiten die Spitzen der FDP das stets ab, doch letztlich trägt der Parteichef selbst zu diesem Image bei:

    Liebe Liberale, liebe Andersgläubige! Da haben wir am letzten Sonntag abend ein Duell von zweien gesehen, die außer mir auch Bundeskanzler werden wollen, muss ja mal gesagt werden!

    Guido Westerwelle, der in seinem schreiend gelben Guido-Mobil durchs Land tourt. Der sich ins TV-Duell von Schröder und Stoiber einklagen will. Der mit Radio Westerwelle im Internet auf Stimmenfang geht. Und immer und überall die 18. Auf jedem Plakat, auf jedem Foto, auf jedem T-Shirt, ja selbst unter den Schuhsohlen des Kanzlerkandidaten Westerwelle. Auch bei der Finanzierung des Wahlkampfes darf die 18 nicht fehlen: Um eine neue Spendenkultur zu etablieren, um sich abzugrenzen von schwarzen Koffern und rotem Filz, wurde ein sogenannter Bürgerfonds 18/2002 beschlossen. Dazu Günther Rexrodt kurz vor der Wahl, als er noch nicht ahnte, was auf ihn zukommen würde:

    Die 18 steht für den Prozentsatz, den wir uns wünschen und natürlich auch den Betrag in Millionen. Wir waren uns dabei im klaren (lacht), dass das ein überaus ehrgeiziges Ziel ist. Erste Präferenz hat bei einer solchen Aktion völlige Transparenz. Ansonsten kommt da der Verdacht auf "Da wird igendwas gekunkelt!"

    Der Verdacht ist längst zur Gewissheit geworden: im Hause Möllemann wurde gekunkelt. Mit Blick auf die Finanzen geriet der NRW-Landeschef völlig ausser Kontrolle.

    Parteispenden ist etwas Ehrenhaftes. Der Spender hat natürlich den Anspruch, dass seine Spenden richtig verwandt werden, dass sie richtig verbucht werden, dass Transparenz ist.

    Rexrodt, Mitte September, beinahe prophetisch. Weil falsch verbucht wurde, plagen die Liberalen nun auch finanzielle Sorgen. 840.000 Euro für den Flyer, die zerstückelt, anonym und in bar ins Rechenwerk der Partei flossen – dazu weitere 113.000 Euro auf dem NRW-Landeskonto, deren Herkunft sich nur teilweise erschließt – da sind schon jetzt Strafen und Rückzahlungen für die Bundespartei in Höhe von drei Millionen Euro absehbar. Statt erhoffter 18 Millonen Mark kamen über den Bürgerfonds zudem nur 2,3 Millionen Euro in die Kasse. Fünf Millionen Euro wurden in den Wahlkampf gesteckt, Rexrodt Kalkulierte dabei ganz mit einem guten Abschneiden der FDP:

    In dieser Kalkulation ist auch ein Stück staatlicher Parteienfinanzierung drin, die sich orientiert am Wahlergebnis. Und wenn wir 18 Prozent kriegen, dann geht´s uns viel besser – auch finanziell.

    Doch nach den mageren 7,4 Prozent bei der Bundestagswahl geht´s nun auch finanziell schlechter. Zwar hat Rexrodt vorsichtshalber nicht mit dem Traumergebnis von 18 Prozent gerechnet, immerhin aber mit einem Zweitstimmenanteil von etwa zehn Prozent. Fazit: 820.000 Euro an staatlicher Parteienfinanzierung fehlen im liberalen Portenmonnaie. Von Verstößen gegen das Parteiengesetz ganz abgesehen, haben die Volkspartei-Träumereien Möllemanns und Westerwelles die FDP auch in ein finanzielles Desaster gestürzt.

    Ein Scherbenhaufen bietet sich aber auch in politischer Hinsicht. Denn von den großen Plänen, die die Liberalen noch im Sommer hatten, ist nach der Wahlpleite am 22. September nicht allzu viel geblieben. Den Schuldigen für die Niederlage hat die FDP in Jürgen Möllemann und dessen Kampagne bereits gefunden. Guido Westerwelle räumt zwar ein, dass sich auch einige Werbeaktionen negativ ausgewirkt haben könnten. Dass das aber das Wahlergebnis entscheidend beeinflusst haben könnte, das lässt er nicht gelten.

    Soweit der Blick zurück. Aber wie nun weiter: Auf dem Tisch liegt dafür bereits ein neues Strategiepapier – Aufbruch 2006 ist das überschrieben. In dem verabschiedet sich die FDP fast gänzlich von ihrer "Strategie 18". Auch wenn Westerwelle erneut das Wort von einer Bürgerpartei bemüht:

    Die Freien Demokraten wollen wachsen, sie werden wachsen, und sie wollen und werden wachsen, weil liberale Politik in Deutschland gebraucht wird. Wir sind die Partei für eine echte Bürgergesellschaft, und deswegen bleibt es auch dabei, dass wir uns als eigenständige, unabhängige Alternative zu allen anderen Parteien in Deutschland verstehen.

    Von einem eigenen Kanzlerkandidaten aber ist keine Rede mehr. Zur Koalitionsaussage heißt es, eine solche soll vielleicht vor der nächsten Wahl doch wieder getroffen werden. Gleiches gilt für das Wahlziel. Und die angestrebten 18 Prozent?

    Die 18 war für den 22. September. Der 22. September ist rum , und damit ist auch die Zahl 18 rum. So einfach ist das!

    Das meint der stellvertretende Parteichef Walther Döring. Das meinen jetzt auch alle andern in der Parteispitze. Und im neuen Strategie-Papier ist dazu lapidar zu lesen: Die Zahl 18 war nie Inhalt der Strategie, sondern ein Instrument. So plötzlich, wie die Idee mit den 18 Prozent geboren wurde, so plötzlich wird sie also auch beerdigt.

    Parteivorstand und Fraktion haben das Papier am vergangenen Freitag mit großer Mehrheit abgesegnet. Und damit auch Westerwelle den Rücken gestärkt.

    Dass man in so aufgeregten, schwierigen Zeiten seine Partei und seine Fraktion so hundertprozentig hinter sich weiß, darauf kann man aufbauen.

    Unterstützung kann Westerwelle jetzt auch gut brauchen, denn nach den Wirrungen und Enthüllungen der letzten Tage wagt keiner zu sagen, wie lange er die Partei noch führt. Schon kursieren die ersten Gerüchte über den möglichen Nachfolger. Wird Günter Rexrodt das machen oder Parteivize Rainer Brüderle. Oder wird es erneut Wolfgang Gerhardt? Der weiß aus eigener Erfahrung, was es heißt von allen Seiten unter Beschuss zu geraten. Vielleicht will er gerade deshalb mit Westerwelle weiter machen:

    Wir haben mit Guido Westerwelle einen Generationenwechsel gewollt und auf auch auf ihn gesetzt, und dabei bleibt es jetzt auch. Es ist wichtig, wenn man sich orientiert und klar Kontur zeigt, dass man auch dann ein Stück Beständigkeit auch in schwierigen Zeiten zeigt und nicht überall herumirrlichtert.