Mario Dobovisek: Der Kompromiss im festgefahrenen Streit zwischen CDU und CSU, er steht. Am Telefon begrüße ich Mike Mohring. Er ist Landesvorsitzender der CDU in Thüringen und Mitglied im Bundesvorstand seiner Partei. Guten Morgen, Herr Mohring.
Mike Mohring: Schönen guten Morgen.
Dobovisek: Transitzentren – Dreh- und Angelpunkt im Kompromiss der Union. Glauben Sie an diesen Kompromiss?
Mohring: Ja, und ich bin sehr zufrieden, dass es eine Einigung gibt zwischen CDU und CSU. Nach diesen Wochen der Unsicherheit und auch der Eskalation ist es gut, dass es dann so schnell und so konsequent ein Ergebnis gegeben hat.
Dobovisek: Schnell ist ja relativ, Herr Mohring.
Mohring: Schnell zumindest, dass an dem Tag, nachdem sich die acht Verhandler auf jeder Seite getroffen haben, dann noch am selben Abend ein Ergebnis verkünden konnten. Das war nicht unbedingt abzusehen, auch nicht unbedingt mit dem Ergebnis, und deswegen bin ich überrascht, aber zufrieden.
"Ich hatte dafür geworben, der CSU entgegenzukommen"
Dobovisek: Was überrascht Sie?
Mohring: Überraschen tut mich die Debatte, die wir ja am Tag vorher geführt haben im Bundesvorstand. Ich hatte ja dafür geworben, der CSU auch entgegenzukommen verbal mit Blick auf die Frage der Zurückweisungen, und das ist ja nun auch genau im Text geschrieben.
Dobovisek: Genau. Um das einzuordnen, Herr Mohring: Sie waren der einzige mit zählender Stimme, der sich der Stimme enthalten hat und damit die Kanzlerin ausdrücklich nicht unterstützt hat.
Mohring: Doch. In der Sache war ich mit ihr sehr einig. Wir haben ja auch danach noch einmal zusammen gesprochen. Aber ich wollte schon von Anfang an eigentlich ein Signal setzen, dass die CSU sieht, man kann die Fähigkeit für Kompromisse aufrecht erhalten, und auch wenn wir auf einem festen Fundament unseren Beschluss formuliert haben mit einer klaren Haltung, muss man ja doch, wenn man in Gespräche geht, wissen, dass man darüber hinaus auch den Kompromiss machen muss. Und genau das ist ja auch passiert. 24 Stunden später ist es ja so formuliert, wie ich mir das auch vorgestellt habe, dass man auch Zurückweisungen vornimmt, wenn die Vereinbarungen dazu mit Nachbarstaaten geschlossen sind.
Dobovisek: Die Kanzlerin könnte das aber auch so sehen, dass Sie ihr in den Rücken gefallen sind, und vielleicht genießen Sie ja inzwischen "ihr vollstes Vertrauen".
Mohring: Ich bin mit der Kanzlerin sehr einig in der Frage, und die Ergebnisse, die Sie ja gestern mit Horst Seehofer verhandelt hat, sind ja das, was ich mir gewünscht habe, dass die beiden einen Vorschlag machen, damit der Unionsstreit gelöst ist. Das ist passiert und deswegen bin ich auch sehr zufrieden, und ich glaube, die Mitglieder unserer Basis auch.
"Da ist auch ein Stück Wolfgang Schäuble zu sehen"
Dobovisek: Jetzt haben Sie die ganze Zeit auch über Brücken gesprochen, die in Richtung CSU geschlagen werden sollten. Jetzt reicht die Brücke so weit, dass die Kompromisse – so wird das heute kommentiert, wir haben das auch gerade in der Presseschau gehört – eindeutig die Handschrift der CSU und nicht der CDU tragen. Hat sich die Kanzlerin da zu weit ins Terrain der CSU begeben?
Mohring: Ich würde, wenn ich mir unsere eigenen Gespräche anschaue, sagen, da ist auch ein Stück Wolfgang Schäuble mit zu sehen. Der hat ja im Bundesvorstand vorgeschlagen, wenn nicht mit einem Mal die Vereinbarungen für alle Länder, die notwendigerweise für bilaterale und trilaterale Vereinbarungen zu finden sind, möglich sind, dann nimmt man die, wo das schneller geht. Und ich lese aus dem Kompromiss von CDU und CSU heraus, dass man ja ausdrücklich jetzt zunächst auf die Verwaltungsvereinbarung unter anderem mit Österreich setzt. Das zeigt mir, dass dieses schrittweise Vorgehen auch die Fähigkeit zum Kompromiss erst ermöglicht hat.
Dobovisek: Aber wie sollen denn Zurückweisungen funktionieren, wenn die europäischen Partner wie Italien und Österreich ganz offenkundig zumindest im Moment nicht mitmachen wollen?
Mohring: Ich denke schon, dass nicht Spitzenleute in Berlin zusammengesessen sind, ohne auch die Vorgespräche geführt zu haben, dass der Kompromiss am Ende…
Dobovisek: Was macht Sie da so sicher, Herr Mohring?
Mohring: Die Fähigkeit der Leute, mit anderen Nachbarstaaten auch Vereinbarungen schließen zu können. Sonst würden wir ja nicht an der Spitze diese Leute stehen haben. Ich vertraue grundsätzlich in die Fähigkeit zur Einigung. Das habe ich die ganzen letzten Tage gemacht und auch in vielen Interviews gesagt, und darauf setze ich jetzt auch, dass wir nicht einen Kompromiss in einer Nacht schließen und am nächsten Tag er sich auflöst, weil die Partner dazu fehlen. Deswegen, glaube ich, wird die SPD auch dabei sein, dass wir gemeinsam als Bundesregierung einen Vorschlag machen, und ich bin auch überzeugt, dass Österreich uns helfen wird, dass wir insgesamt die Flüchtlingspolitik in Europa ordnen und steuern wollen. Das ist ja das Ziel von Sebastian Kurz. Das ist das Ziel der deutschen Bundesregierung. Und ich glaube, deswegen können wir das auch gemeinsam lösen.
"Das ist der Geist des Gipfelbeschlusses"
Dobovisek: Nun hat ja Angela Merkel auch in dieser Nacht wieder den europäischen Geist beschworen. Wir haben den O-Ton vorhin gehört. Aber was ist das für eine gesamteuropäische Lösung, wenn am Ende nur einzelne bilaterale Abkommen die Zurückweisungen regeln werden? Denn Fakt ist: Viele, sehr viele europäische Staaten werden nicht mitmachen.
Mohring: Das ist der Geist des Gipfelbeschlusses, und da will ich gerne mal drauf zurückkommen. Viele Ergebnisse sind ja auch dort erst auf Druck der CSU entstanden und durch den Verhandlungserfolg von Angela Merkel dann auch dokumentiert. Das Besondere des Gipfelergebnisses war ja, dass 28 Mitgliedsstaaten auf eine Ordnung der Flüchtlingskrise in Europa sich verständigt haben, und Teil des Kompromisses war ja, dass man auch unterhalb der europäischen Ebene durch Vereinbarungen die Ordnung beschließen kann – mit denen, die das wollen, und mit denen, die dazu sich in der Lage sehen. Genau auf dieser Grundlage dieser europäischen Einigung ist gestern auch der Koalitionskompromiss zustande gekommen – zunächst zwischen CDU und CSU und in der Andeutung auch mit der SPD. Deswegen ordnet sich das sehr gut ein in alle europäischen Maßnahmen, die auf dem Gipfel beschlossen wurden.
Dobovisek: Trotzdem werden am Ende höchst wahrscheinlich nur einzelne Verträge stehen.
Mohring: Davon kann man ausgehen, dass nicht mit allen Mitgliedsstaaten diese Verträge geschlossen werden, aber das war auch, glaube ich, weder bei der CSU und sowieso nicht bei der CDU die Erwartung. Aber dass Verträge geschlossen werden müssen, damit Zurückweisungen auch möglich sind, damit der Prozess gesteuert und geordnet werden kann, das war ja immer die Zielrichtung, die wir gemeinsam angestrebt haben. Und unterm Strich ist es auch die Erwartung der Bürgerinnen und Bürger – das sage ich immer wieder – an einen handlungsfähigen Staat, der die Dinge im Griff hat. Ich glaube, mit dieser Einigung haben wir dieses Signal deutlich gesetzt, und deswegen bin ich auch in der Sache sehr zufrieden.
"Die Lehre kann nur sein, nicht noch mal so eine Eskalation"
Dobovisek: Wenn wir jetzt gemeinsam zurückblicken auf diese Konfrontation, die jüngste zwischen CSU und CDU, welche Fehler hat da die Kanzlerin gemacht, ihre Parteichefin Angela Merkel?
Mohring: Ich habe das ja im Bundesvorstand gesagt, dass ich mir von allen, und das heißt CDU- und CSU-Spitzen erwartet hätte, dass wir die Dinge, die wir erfolgreich in den letzten Wochen umgesetzt haben, auch so kommuniziert hätten. Ich will gerne mal daran erinnern: Wir haben monatelang über die Frage des Familiennachzugs der subsidiär Schutzbedürftigen gestritten. Vor knapp zwei Wochen haben wir das im Deutschen Bundestag beschlossen, im Rahmen des Koalitionskompromisses mit den tausend Nachzüglern für Familiennachzügler pro Monat auf Wunsch der SPD. Das ist in der öffentlichen Wahrnehmung völlig untergegangen. Erst streiten wir uns, wir lösen es sehr gut, und nachdem es gelöst ist, findet gar keine Wahrnehmung statt. Ähnliches war auch bei der Frage der Zurückweisung von den Asylbewerbern, deren Verfahren abgeschlossen ist, die abgeschoben wurden und die Wiedereinreisestopp bekommen haben.
Dobovisek: Herr Mohring, welche Lehren ziehen Sie aus diesem viel zitierten Schauspiel, dem bayerischen, dem Debakel, das Sie und die Schwesterpartei jetzt gemeinsam erlebt haben?
Mohring: Die Lehre daraus kann nur sein, nicht noch mal so eine Eskalation, und die Dinge, die man erfolgreich in der Bundesregierung umsetzt, auch so kommunizieren, dass klar wird, da ist Handlungsfähigkeit da, da wird nach vorne geschaut, da wird der Koalitionsvertrag abgearbeitet. Und man darf sich nicht in kleine Nickeligkeiten verstreiten, ohne die großen Dinge im Blick zu haben. Ich hoffe, dass diese Lehren daraus gezogen werden.
Dobovisek: Werden Wunden bleiben?
Mohring: Nicht nach dem Ergebnis gestern Abend.
Dobovisek: Sicher?
Mohring: Da bin ich ziemlich sicher. Ich glaube, das was man aus der CSU hört, die sind sehr zufrieden mit ihrer konsequenten Haltung. Und dass die CDU die Fähigkeit hatte, da einen Schritt zuzugehen, das war notwendig, aber sehr begrüßenswert.
"Am Ende steht eine Einigung in der Koalition an"
Dobovisek: Mein letzter Schwenk an diesem Morgen mit Ihnen, Herr Mohring, hin zur SPD. Wie wollen Sie den Dritten im Bunde, den anderen Koalitionspartner von dem Kompromiss überzeugen?
Mohring: Ich teile ja ausdrücklich Andrea Nahles Einschätzung: Jetzt sind wir endlich wieder auf der Sachebene und wir sind endlich in der Koalition im Gespräch. Das war ja das dringend Notwendige, dass nicht die CDU und CSU sich aufhalten, sondern auf Augenhöhe mit der SPD die Gespräche suchen. Und dass die SPD gestern Nacht signalisiert hat, sie hat Fragen, finde ich vollkommen nachvollziehbar. Die hätte ich wahrscheinlich an SPD-Stelle auch.
Dobovisek: Aber es ist ja nicht gerade auf Augenhöhe, wenn die SPD auf der Zuschauertribüne sitzt und erst ganz, ganz am Ende mit einbezogen wird.
Mohring: Es ist ja so, wie Julia Klöckner auch gesagt hat im Vorbericht. Die SPD kann ja gerne Vorschläge dazu einbringen, die dazu beitragen, dass wir noch besser Flüchtlingsmigration ordnen und steuern können, und dann muss man das heute Abend in der Koalition besprechen. Ich prognostiziere, am Ende steht eine Einigung in der Koalition an.
Dobovisek: Mike Mohring ist im Bundesvorstand der CDU und Landesvorsitzender seiner Partei in Thüringen. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Mohring: Danke! – Schönen Tag!
Dobovisek: Ebenso! – Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.