Osteuropa
Moldau, Transnistrien und die Angst vor Russland

Die Republik Moldau ist mit dem russischen Angriffskrieg in der benachbarten Ukraine in den Fokus von Öffentlichkeit und Politik gerückt. Jüngste Entwicklungen befeuern die Sorge, dass Moskau die Kontrolle in dem Land übernehmen will. Ein Überblick.

30.03.2024
    Ein älterer Mann mit der Flagge Moldaus, im Hintergrund steht ein Polizist.
    Moldau hatte auch schon vor dem Krieg in der angrenzenden Ukraine mit vielen Problemen zu kämpfen (picture alliance / Valery Sharifulin)
    Seit dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine im Februar 2022 gibt es Befürchtungen, dass auch die angrenzende Republik Moldau zum Ziel der Machtansprüche des Kremls werden könnte. Die Entwicklung in der von Chisinau abtrünnigen Region Transnistrien befeuert die Spannungen. Dort hat am 28. Februar 2024 der Kongress der Volksdeputierten Russland um Schutz gebeten.

    Inhalt

    Kleiner Steckbrief: die Republik Moldau

    Die Republik Moldau liegt eingeklemmt zwischen Rumänien und der Ukraine. Mit rund 2,6 Millionen Einwohnern zählt der Binnenstaat im Südosten Europas zu den kleinsten Ländern des Kontinents. Einwohnerzahl und Fläche entsprechen in etwa dem Bundesland Brandenburg.
    Historisch gehörte Moldau im 19. Jahrhundert überwiegend zum Russischen Kaiserreich, nach dem Ersten Weltkrieg dann zu Rumänien. Ab 1940 war sie als Sozialistische Sowjetrepublik Teil der Sowjetunion, bevor sie nach dem Zusammenbruch der UdSSR 1991 ihre Unabhängigkeit als parlamentarische Republik erlangte.
    Seitdem sind das Land, seine Politik und die Bevölkerung hin- und hergerissen zwischen Russland und dem Westen. Die moldauische Regierung schätzte 2022 den Anteil der prorussischen Bevölkerung auf 30 bis 40 Prozent. Als Alltagssprache ist Russisch immer noch weit verbreitet. Es gibt auch russischsprachige Medien. Zudem sind russische Soldaten in der von Moldau abtrünnigen Region Transnistrien stationiert.

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    Amtssprache ist Rumänisch, das die Mehrheit der Bevölkerung (rund 82 Prozent) spricht. Größte Minderheiten sind Ukrainer, Russen und Gagausen. Bei den Gagausen handelt es sich um eine turksprachige Bevölkerungsgruppe, die überwiegend im Süden des Landes im als autonom anerkannten Gebiet Gagausien lebt und generell als pro-russisch gilt.
    Moldaus Regierungen bewegten sich seit der Eigenstaatlichkeit zwischen West-Orientierung und Wiederannäherung an Russland – ganz ähnlich, wie das in der Ukraine der Fall war. Die politische Folge dieses Konflikts in Moldau sind Instabilität und ein angespanntes innenpolitisches Klima.
    Derzeit allerdings ist die Republik Moldau so pro-westlich eingestellt wie nie zuvor: Präsidentin Maia Sandu, die von ihrer Partei „Partidul Acțiune și Solidaritate“ („Aktions- und Solidaritätspartei“) gestellte Regierung und die Mehrheit im Parlament zählen zum Lager der pro-westlichen Reformer.
    Anfang März 2022 stellte die Regierung einen Antrag auf Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Im Juni ernannten die EU-Staaten Moldau gemeinsam mit der Ukraine offiziell zu Beitrittskandidaten.

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    Sandus Wahl 2020 wurde auch durch den katastrophalen Bankenskandal von 2015 begünstigt: Damals verschwanden in Moldau kurz vor der Abwahl der pro-russischen Regierung rund 900 Millionen Euro bei dubiosen Kreditgeschäften. Bis heute leidet das Land unter dem Verlust.
    Neben Korruption behindert auch der schwelende Konflikt um die seit 1992 abtrünnige Region Transnistrien die politische und wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Die einstmals wohlhabende Sowjetrepublik gilt als eines der ärmsten Länder Europas. Das durchschnittliche Monatsgehalt liegt bei 360 Euro, etwa zwölf Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze.

    Welche Auswirkungen hat der Krieg in der Ukraine auf Moldau?

    Seit Beginn des Kriegs im Nachbarland Ukraine haben laut dem UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) mehr als eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer die moldauische Grenze überquert. Das entspricht fast 40 Prozent der Gesamtbevölkerung Moldaus. Die meisten Flüchtlinge sind inzwischen in ihre Heimat zurückgekehrt oder weiter gereist in die EU. Im Land geblieben sind rund 121.000 Flüchtlinge.
    Mit Blick auf die Schutzsuchenden sprach die moldauische Regierung bereits 2022 von der "größten Herausforderung seit drei Jahrzehnten". Zumal der Krieg in der Ukraine auch spürbare wirtschaftliche Folgen für das völlig verarmte Land hat. Die Inflation stieg zwischenzeitlich auf etwa 35 Prozent und lag im Jahr 2023 noch immer bei rund 13 Prozent. Vor allem der Preis für Gas explodierte.
    Verantwortlich dafür ist unter anderem die Abhängigkeit von russischem Gas, die bei Kriegsausbruch 100 Prozent betrug. Als Russlands Staatskonzern Gazprom im Herbst 2022 die Gaszufuhr drosselte und wegen des Krieges auch kein Strom mehr aus der Ukraine floss, gingen in Moldau teilweise die Lichter aus. Vor einem solchen Szenario hatte die Regierung in Chisinau bereits im April 2022 gewarnt.
    Im Jahr 2023 kam es wegen der gestiegenen Energiepreise immer wieder zu regierungskritischen Demonstrationen. Laut Recherchen moldauischer Journalisten handelte es sich dabei offenbar um von pro-russischen Akteuren inszenierte Proteste.

    Wird Moldau von Russland bedroht?

    Die Bitte aus der abtrünnigen moldauischen Region Transnistrien an Russland, sie vor wachsendem Druck aus Moldau zu schützen, weckt böse Erinnerungen. Im Februar 2022 hatten pro-russische Separatisten im Osten der Ukraine eine ähnliche Bitte ausgesprochen. Damals nutzte Moskau dies als Anlass für seinen groß angelegten Angriff auf die Ukraine.
    Ein Sonderkongress der "Vertreter aller Ebenen" Transnistriens beschloss am 28. Februar 2024 eine Resolution, in der an den Russischen Föderationsrat (Oberhaus) und die Duma (Parlament) appelliert wird, "Maßnahmen einzuleiten, um Transnistrien angesichts des zunehmenden Drucks durch Moldau zu verteidigen". Moldau habe einen "Wirtschaftskrieg" gegen Transnistrien gestartet und blockiere lebenswichtige Importe.
    Als ein weiterer Punkt für das Schutzgesuch wurden russische Staatsbürger angeführt, die in Transnistrien leben. Moldaus Regierung in Chisinau wies die Resolution aus Tiraspol als "Propaganda" zurück. In einer ersten Reaktion aus Moskau hieß es dagegen, man werde die Bitte prüfen. Der Schutz der Bevölkerung in der Region Priorität habe Priorität. Die russische Militärdoktrin erlaubt Einsätze außerhalb des eigenen Staatsgebiets, um russische Staatsbürger zu schützen.
    Der frühere deutsche Botschafter in Russland, Rüdiger von Fritsch, äußerste sich mit Blick auf die Entwicklung besorgt. Neben Transnistrien gebe es noch die georgischen Regionen Abchasien, Südossetien, die allesamt zum Spielmaterial Putins gehörten, sagte von Fritsch im Deutschlandfunk.
    Der Leiter des Büros der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung für Moldau und Rumänien, Raimar Wagner, wertet die Resolution als harmloser ausgefallen, als man hätte erwarten können. „Denn es wurde nicht Putin gebeten, in Transnistrien einzugreifen, sondern die russische Staatsduma", begründete Wagner im Deutschlandfunk seine Einschätzung. Thinktanks in der Republik Moldau sprächen von einem Bluff und einem Sturm im Wasserglas.
    Es bleibe jedoch eine große Unsicherheit, so Wagner: „Wir können nie den Putin-Faktor ausschließen." Deutschlandfunk-Osteuropaexpertin Gesine Dornblüth hält es für möglich, dass Russland sich Transnistrien nicht einverleibe, sondern in einem Zwischenschritt zunächst als unabhängig anerkenne. Es gebe bereits Spekulationen, dass dies sehr schnell passieren könnte.

    Immer wieder Spannungen

    Bereits Anfang Februar 2023 hatte Russlands Außenminister Sergej Lawrow Moldau in einem Interview unverblümt ins Visier genommen. Mitte des gleichen Monats folgte der Rücktritt der kompletten Regierung unter der pro-westlichen Premierministerin Natalia Gavrilita und die Wahl des neuen, ebenfalls pro-europäischen Premierministers Dorin Recean durch das Parlament.
    Mitte März 2023 schließlich enttarnte die moldauische Polizei laut eigenen Angaben ein von Russland gesteuertes Netzwerk, dessen Ziel die Destabilisierung des Staates gewesen sei. In dieses Bild fügt sich auch ein geheimes russisches Strategiepapier, das ein internationales Investigativ-Netzwerk ebenfalls Mitte März 2023 öffentlich machte. Unabhängige Beobachter halten es für echt.
    Das fünfseitige Dokument fasst zusammen, was Russland in den kommenden zehn Jahren vorhat mit und in der Republik Moldau. Demnach will der Kreml den Westkurs des in die EU strebenden Landes stoppen und seinen Einfluss im Land ausbauen. Das Strategiepapier soll detaillierte Etappen aufzeigen, wie Moskau seinen ehemaligen Satellitenstaat wieder an seine Seite ziehen will.
    Zwei Personen heben in Delacau, Moldau, einen Kuebel auf ihr Pferdefuhrwerk mit ausgemergeltem Pferd und Fohlen am Strassenrand.
    Armut in Moldau: In vielen Regionen wird mit Pferden anstelle von Transportern oder Traktoren gearbeitet (picture alliance / C. Kaiser)
    Laut den Recherchen sollen in vielen Bereichen des Landes der russische Inlandsgeheimdienst FSB und andere Nachrichtendienste Moskaus aktiv sein. Unter anderem soll der FSB die Oppositionspartei Shor steuern, die im vergangenen Jahr Proteste gegen hohe Gas- und Strompreise maßgeblich initiierte. Dazu passen investigative Recherchen moldauischer Journalisten, dass Protestierende für ihre Teilnahme an Demonstrationen Geld erhielten. Bis zu 100 Euro pro Person und Tag sollen gezahlt worden sein.

    Die Region Transnistrien: Wo liegt sie und welche speziellen Probleme gibt es dort?

    Die abtrünnige Region Transnistrien liegt im Osten des Landes an der Grenze zwischen Moldau und der Ukraine. Die Region hat eine eigene Hauptstadt, Währung und Regierung.
    Geografische Einordnung Transnistrien
    Eine von Spannungen durchzogene Region (dpa / Grafik: A. Brühl)
    Transnistrien spaltete sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zwischen 1990 und 1992 in einem blutigen Bürgerkrieg mit fast 1.000 Toten von der Republik Moldau ab und rief einen eigenen Staat aus – mit Hammer und Sichel im Staatsemblem und einer Lenin-Statue vor dem Parlament in Tiraspol. Hintergrund für die Abspaltung war unter anderem eine in Moldau entstandene Nationalbewegung, die eine Vereinigung des Landes mit Rumänien anstrebte. Heute leben etwa 375.000 Menschen in der Region.
    Transnistrien wird von keinem Mitgliedsstaat der Vereinten Nationen als unabhängig anerkannt. Es selbst hat jedoch diplomatische Beziehungen zu den ebenfalls nicht als Staaten anerkannten Regionen Abchasien und Südossetien in Georgien. Russland unterhält zu allen diesen Regionen gesonderte Beziehungen und hat starken Einfluss auf diese.
    Das Gebiet, in dem etwa 375.00 Menschen leben, steht unter dem Einfluss Moskaus. Noch immer sind 1.500 bis 2.000 russische Soldaten in Transnistrien stationiert - nominell als Friedenstruppe. Die Republik Moldau drängt darauf, dass diese Einheiten abgezogen werden.
    Auch wirtschaftlich ist Transnistrien von Moskau abhängig. So erhält Transnistrien kostenlose Erdgaslieferungen von Russland. Das Gas wird im Kraftwerk Cuciurgan verstromt, das dem russischen Staatsbetrieb Inter RAO UES gehört. Hauptabnehmer der Energie ist die Republik Moldau.

    Astrid Theil, Sabine Adler, rzr