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Moldaus dritter Weg (3/4)
Gagausische Minderheit in Sorge

160.000 Gagausen leben in Moldau - ein Turkvolk, das traditionell auf Moskau setzt. Bestrebungen in Moldau, sich wieder mit Rumänien zu vereinigen und damit der EU anzugehören, lehnen die Gagausen ab - aus Furcht vor Unterdrückung. Nicht nur pro-russische Kräfte versuchen, diese Sorge für sich zu nutzen.

Von Andrea Rehmsmeier |
    Kinder laufen durch einen Park in Comrat, der Hauptstadt der autonomen Region Gagausien in der Republik Moldau
    Die Kathedrale im Stadtpark von Comrat, Hauptstadt Gagausiens: Anfang der 90er-Jahre haben die Gagausen eine weitgehende Autonomie von der Republik Moldau erstritten (AFP/ Daniel Mihailescu)
    "Auf Sendung", signalisiert eine rote Lampe. In der Sprecherkabine ist es eng. Doch übergroß und kunterbunt prangt an der Wand hinter der Moderatorin der Schriftzug: "GRT FM – Gagausisches Radio und Fernsehen".
    Der Musikredakteur spielt einen Schlager ein. Die Moderatorin zieht sich den Kopfhörer vom Kopf und richtet ihre tiefschwarze Pagenfrisur. In Gagausien ist Galina Maryzeva eine bekannte und beliebte Radiostimme und Chefredakteurin der Hörfunkprogramme. Wie fast alle GRT-Redakteure spricht sie drei Sprachen.
    Dieser Beitrag gehört zu der Reportagereihe "Der dritte Weg - Die Bürger der Republik Moldau kämpfen um Selbstbestimmung" in der Sendung "Gesichter Europas".
    Denn so winzig das autonome Verwaltungsgebiet ist: Bewohnt ist es von einem Völkergemisch aus Gagausen, Moldauern, Russen, Ukrainern und Bulgaren. Und so ist Sendezeit minutiös geregelt: 70 Prozent Gagausisch, 20 Prozent Moldauisch, 10 Prozent Russisch. Galina moderiert am liebsten in ihrer Muttersprache:
    "Ich kann mit Sicherheit sagen, dass bei uns die gagausische Sprache lebt. Denn unsere Hörer rufen uns in ihrer Muttersprache an und erzählen ihre Geschichten und Probleme. Das ist etwas sehr Kostbares."
    Radiomoderatorin Galina Maryzeva am Mikrofon
    In Gagausien ist Galina Maryzeva eine bekannte und beliebte Radiostimme (Deutschlandradio/ Kerstin Weigand)
    "Unsere Traditionen sind nicht in Vergessenheit geraten"
    Mit einer schwungvollen Bewegung winkt Galina Maryzeva, ihr zu einer Führung durch das Funkhaus zu folgen. Am Mischpult im Sendestudio sitzt Musikredakteur Dmitrij. Die reichen musikalischen Traditionen der Gagausen zu bewahren, das ist seine Mission. Dmitrij glaubt: Wenn sich eine kleine Minderheit in einem Land behaupten muss, in dem Mächte wie Europa, Russland und die Türkei um Einfluss ringen, dann spielt die Nationalkultur eine zentrale Rolle:
    "Unsere Traditionen sind nicht in Vergessenheit geraten. Unsere jungen Leute – diejenigen zumindest, die noch nicht weggezogen sind -, singen ihre Lieder heute am liebsten auf Gagausisch. Das ist das, was wir brauchen, damit unsere Autonomie weiterlebt.
    Teppichgedämpfte Flure führen zu Fernsehstudios, Schnitträumen, Technikzentrale und Büros. Den Großteil der technischen Ausstattung hat die Türkei gesponsert, berichtet Galina, aus Russland und der EU kommen deutlich kleinere Summen. Am Ende des Ganges steht eine Tür offen.
    "Hier finden die Sitzungen des Rundfunkrats statt. Seit einigen Jahren sind wir ja kein staatlicher Sender mehr, sondern öffentlich-rechtlich. Der Rundfunkrat ist unser Kontrollorgan. Er entscheidet über die Finanzierung und andere Fragen."
    Politischer Machtkampf wird zum Problem für die Pressefreiheit
    Galina lächelt verlegen, ihre Hand streicht das Haar zurück. In den vergangenen Monaten hat der Rundfunkrat selbst einigen Stoff für eine Berichterstattung geliefert – und nicht alles davon war schmeichelhaft.
    "Ständig diese Skandale rund um den GRT – mir scheint, die ganze Welt weiß inzwischen davon. Darunter leidet natürlich unser Ruf."
    Das Internet hat öffentlich gemacht, was sich bei GRT hinter den Kulissen zugetragen hat: Ein Machtkampf zwischen der gagausischen Regierungschefin und dem Parlament ist zu einem Problem der Pressefreiheit geworden. Es begann im Dezember 2017: Das Parlament, die sogenannte "Volksversammlung", hatte in einer umstrittenen Abstimmung den alten Rundfunkrat abgesetzt. Die Abgeordneten wollten auf diese Weise eine loyale Berichterstattung erzwingen, mutmaßten die Internet-Kommentatoren.
    Irina Vlah, Regierungschefin der autonomen Region Gagausien in der Republik Moldau, mit einem Blumenstrauß in der Hand
    Irina Vlah, Regierungschefin der autonomen Region Gagausien in der Republik Moldau (Imago)
    Die alte Frage nach der Abspaltung Gagausiens
    Das Wahljahr 2019 schickt seine Schatten voraus. In der Republik Moldau stehen im Februar Parlamentswahlen an. In Gagausien kommen die Wahlen für das Amt des "Baschkan", des Regierungschefs, hinzu. Galina Maryzeva knipst auf ihrem Kugelschreiber herum. Worum wird es im Wahlkampf gehen? Immer noch um die alte Frage, ob sich Gagausien abspalten und Russland anschließen soll, wenn sich die Republik Moldau an Rumänien angliedert?
    "Die Bewohner Gagausiens sind so oder so pro-russisch – das ist seit Jahrhunderten so, seit der Zar ihnen das Recht zugesprochen hat, in dieser Gegend zu leben. Allerdings bedeutet das nicht, dass wir Gagausen, nur weil wir gegen eine Wiedervereinigung mit Rumänien sind, generell etwas gegen die Europäische Union haben. Unsere Politiker aber, die spielen stark mit diesem Feindbild. Vor den Parlamentswahlen im Februar werden sie todsicher wieder die Angst vor der EU und der NATO schüren, damit die Leute sich Sorgen machen, ob dieser oder jener Kandidat sie nach Europa oder wer weiß wohin entführen will."
    Ja, der politische Druck hat zugenommen, bestätigt Galina. Was bedeutet das alles für die Zukunft von Demokratie und Pressefreiheit in Gagausien? Und was bedeutet es für die Zukunft der GRT-Redakteure?
    "In die Zukunft schauen wir nicht mehr. Wir versuchen einfach, unsere Arbeit gut und hochwertig zu machen. Ich bin unserem Team von Herzen dankbar, dass es so viel leistet – nicht wegen des Geldes, sondern aus Leidenschaft. Natürlich würden wir gerne so arbeiten können, wie wir es für richtig halten. Schließlich sind wir öffentlich-rechtlich, wir leben von den Abgaben unserer Bürger! Wenn wir unsere Leidenschaft verlieren, dann wäre das ... eine Katastrophe."