Dorin Chirtoaca mag es unkonventionell. Er empfängt nicht in seinem Büro an diesem Morgen, sondern zeigt erst einmal sein "Backoffice", sein Hinterzimmer, wie er es nennt: Ein schmaler, düsterer Raum, eine Regalwand vollgestopft mit Büchern, Ordnern und Kleinkram. Hier schläft er auch auf einer Ausziehcouch, wenn es mal wieder spät wird, und es wird oft spät bei ihm: Chirtoaca ist Bürgermeister von Chisinau, der Hauptstadt der Republik Moldau.
Trotz seiner 36 Jahre ist der schlaksige Brillenträger fast schon ein alter Hase. Er ist bereits seit 2007 im Amt und tritt eher unprätentiös auf: in schlichtem Sakko, Jeans und abgetragenen Schuhen.
Gefrühstückt hat er auch noch nicht und greift in eine große Tüte mit Süßigkeiten, um sich dann ohne große Umwege die Politik und ihre Akteure in seiner Heimat vorzuknöpfen:
"Die Situation war schlecht vor den Wahlen im November 2014, und jetzt ist sie noch schlechter. Die Korruption ist schlimmer denn je, und wir haben im Prinzip dieselben Akteure an der Macht wie vor zehn Jahren: eine pseudo-prowestliche Minderheitenregierung, die von den Kommunisten toleriert wird. Und all das ist gefährlich für das Land, weil am Ende die prorussischen Parteien hieraus als Sieger hervorgehen könnten."
Der Dissidenten-Onkel als Vorbild
Chirtoaca ist auch Vizechef der prorumänischen Liberalen Partei im Land, und der politische Kampf gegen alles, was eine größere Nähe zu Russland und zur ehemaligen Sowjetunion bedeuten könnte, ist so etwas wie sein Lebensthema. Er erzählt von seinen Großeltern, die unter Stalin nach Sibirien deportiert wurden, und von seinem Onkel, dem Dissidenten Gheorghe Ghimpu, der wegen seiner Kritik am Sowjet-System in den 70er Jahren lange im Gefängnis saß:
"Im April vor 25 Jahren war es mein Onkel, der die moldauische Flagge über dem Parlamentsgebäude hisste. Das war ein historischer Moment. Ich war damals zwölf Jahre alt. Ich stand auf dem Platz vor dem Parlament, und ich erinnere mich noch sehr gut, wie die Leute meinen Onkel danach auf Händen über den Platz trugen. Für mich war klar, dass ich fortführen wollte, was meine Familie begonnen hatte in den Jahrzehnten davor. Und genau das tue ich, wobei ich nie die Absicht hatte, Bürgermeister zu werden, Macht zu haben. Das Amt ist für mich nur ein Werkzeug, um diesen Kampf fortzusetzen: den Kampf für Freiheit, gegen Kommunismus, gegen russische Besatzung."
Mit 28 Jahren wurde Chirtoaca Bürgermeister, seit acht Jahren ist er im Amt und er würde gerne noch vier Jahre weitermachen. Doch jetzt könnte es eng werden für ihn: An diesem Sonntag sind Bürgermeisterwahlen in Chisinau. Es gibt 17 Kandidaten, und vor allem die sozialistische Bewerberin, Zinaida Greceanii, hat gute Chancen, Chirtoaca abzulösen. Auf Greceaniis Wahlplakaten reicht Moldau Wladimir Putin die Hand. Ein Wahlsieg der Kreml-nahen Sozialisten wäre ein Albtraum für Dorin Chirtoaca. Für die Zukunft der Republik Moldau sieht er zwei mögliche politische Szenarien:
"Entweder werden wir eine Situation wie 2001 haben, als die Kommunisten an die Macht kamen, was schlecht war für unser Land. Dieses Mal würde es aber noch schlimmer werden: Wir würden eine Provinz der Russischen Föderation werden, oder zumindest eine Art Vasall, etwa so wie Armenien heute. Oder die Leute stehen auf für demokratische Werte. Auch das haben wir ja schon erlebt hier. Die Geschichte der vergangenen 25 Jahre jedenfalls zeigt, dass zehn bis 30 Prozent der Moldauer, wenn es kritisch wird, klar sagen: Wir wollen nicht zurück zur Sowjetunion, wir wollen nach Europa!"