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Moldawien
Transnistrien und seine Hauptstadt Tiraspol

Die bitterarme Region Transnistrien hat sich 1992 von der Republik Moldau losgesagt, kein Staat erkennt die Autonomie an. Ein Besuch zeigt: Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein, denn über allem schwebt der Geist der Sowjetunion - zum Beispiel in Form von zahlreichen Lenin-Statuen.

Von Jörn Klare |
    "Es gibt immer noch sehr viele Märchen und Mythen über Transnistrien. Dass Transnistrien ein Schurkenstaat ist, ein Absurdistan ist und so weiter und so fort."
    Ein junger Mann, 28 Jahre alt, schlank und kurzhaarig. Freundlich ist er auch, dazu cool und lässig. Vor allem aber hat er einen Auftrag:
    "Ich als transnistrischer Patriot Andrej Nikolaiiwitsch Smolenskij möchte ein objektives, unvoreingenommenes, aufrichtiges Bild über meine Heimat vermitteln, damit die Leute in Deutschland wirklich verstehen, dass Transnistrien kein ‚schwarzes Loch‘ ist."
    Transnistrien ist 200 Kilometer lang, zum Teil aber nur zwei Kilometer breit und liegt zwischen der Republik Moldau und der Ukraine. Ganz offiziell nennt sich der Landstrich Pridnestrowien, oder Pridnestrowische Moldauischen Republik - kurz PMR. Gut 500.000 Menschen leben hier.
    "Jetzt befinden wir uns im Zentrum Tiraspols."
    Andrej steht an der Hauptstraße, der Hauptstadt seines Heimatlandes. Deutsch hat er an der hiesigen Universität gelernt. Gern kümmert er sich um die bisher noch wenigen Besucher Transnistriens. Die Hauptstadt Tiraspol wurde 1792 von dem russischen Feldherrn Alexander Suworow gegründet, dem man dafür aus Dankbarkeit auf so gut wie jeder transnistrischen Banknote und als übergroßem Reiterdenkmal am großen, absolut paradefähigen Suworow-Platz inmitten der Stadt begegnet.
    Namen der Sowjetzeit bleiben erhalten
    Die meisten Gebäude sind drei, vier oder fünf Stockwerke hoch. Quadratische, funktionale Sowjetarchitektur. Andrej führt mit dem federnden Gang eines Turners über die breiten Bürgersteige mit ihren großen Laubbäumen.
    "Wir gehen jetzt die Straße des 25. Oktobers entlang."
    Am 25. Oktober 1917 übernahmen die Bolschewiken die Macht in St. Petersburg.
    "Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden die Straßen in Tiraspol und in ganz Pridnestrowien nicht unbenannt. Unser Außenministerium sagte diesbezüglich: Wir führen keine Kriege gegen die Geschichte. Deswegen respektieren wir unsere Geschichte und nennen die Straßen nicht um."
    Schnell wird klar: Die Stadt mit ihren etwa 150.000 Einwohnern wuchert nicht gerade mit irgendwelchen Sehenswürdigkeiten, wirkt dafür aber ausgesprochen freundlich, aufgeräumt und sicher. Als Ausgleich zu den fehlenden Schauwerten lässt sich in Tiraspol aber ganz wunderbar nachspüren, was Andrej den "alten Geist der Sowjetunion" nennt. Damit meint er allerdings nicht KGB und Gulag, sondern das alltägliche Leben der Sowjetbürger. Was nach Nostalgie klingt, ist in Tiraspol gelebte Normalität mit einer allerdings guten und damit doch eher unsowjetischen Versorgungslage.
    An so gut wie jeder Ecke grüßt eine Leninstatue oder -büste und vor dem Rathaus huldigt auch heute noch die Tafel der Ehrenbürger der ehemaligen Direktorin des städtischen Apothekervereins als "verdiente Arbeiterin des Sozialismus".
    "Wir sehen hier viele moderne Geschäfte, Computerzentren, High-Technolegist, viele Fotoateliers, viele schöne Mädchen, viele Friseursalons. Meine Frau arbeitet auch in einem Friseursalon. Also für diejenigen, die das hören: Wenn Sie eine transnistrische Frisur bekommen möchten - bitte herzlich willkommen nach Transnistrien, nach Pridnestrowien. Meine Frau wird das mit einer einzigartigen Professionalität machen."
    Wenn Andrejs Lächeln zum Grinsen wird, was recht oft passiert, ist es schwer zu deuten. Ganz offensichtlich beherrscht er eine breite Ironie-Palette.
    "Hier sehen wir zwei Botschaften von Südossetien und von Abchasien. Das sind die wehenden Flaggen von diesen zwei stolzen Republiken."
    Am Eingang eines etwas heruntergekommen zweistöckigen Hauses hängen über einer kleinen Tür zwei Flaggen.
    "Wir haben die Gemeinschaft für Demokratie und Menschenrechte mit diesen zwei Republiken 2006 gegründet. Als diese Republiken noch unanerkannt waren, hatten wir diese Gemeinschaft."
    Die Anerkennung fehlt bis heute
    Die offizielle "Gemeinschaft der nicht anerkannten Staaten" gibt es wirklich, sagt Andrej. Auch wenn Transnistrien sehr real ist und eigentlich alles hat, was ein richtiges Land braucht, fehlt: Anerkennung. Etwas, das Südossetien und Abchasien mittlerweile zumindest vom "großen Bruder" Russland bekommen haben.
    "Aber nachdem Russland sie anerkannt hat, sind diese Botschaften immer noch in Tiraspol geblieben."
    Es sind die einzigen beiden diplomatischen Vertretungen in der transnistrischen Hauptstadt.
    "Sicherlich ist es schwierig in einem solchen nicht anerkannten Land zu leben, weil man viele Probleme mit Papieren hat. Man muss alles beglaubigen lassen, dass diese Papiere wirklich existieren, dass der Mensch wirklich diese Person ist, die in diesen Papieren steht."
    Andrej schaut wieder zu den beiden in diesem Moment eher schlaffen als stolzen Flaggen. Sein Blick ist dankbar. Dann geht es schon wieder weiter.
    "Also wir gehen jetzt zum hauptstädtischen lokalen Markt, wo die Leute aus Transnistrien, meistens aus nahe gelegenen Dörfern ihre Produkte verkaufen."
    Vorbei an einem großen transnistrischen Staatswappen mit einer Fülle von Trauben, Ähren und Pfirsichen, garniert mit Hammer, Sichel und Sowjetstern auf prächtig leuchtendem Rot.
    "Ich würde allen empfehlen, nach Transnistrien zu kommen, wenn sie wirklich gute Tomaten, gute Gurken essen wollen."
    Betontische voll mit Eiern, Gemüse, Obst, Honig unter einem hohen Blechdach von der Größe einer Turnhalle. Es gibt auch eine Fleisch-, eine Fisch- und eine Milchhalle. Dazwischen Stände mit billiger Kleidung aus China, Konserven und Drogerie-Artikeln aus der Ukraine. Die meisten Verkäuferinnen sind kräftige Frauen in bunten Arbeitskitteln.
    Andrej feilscht um ein Glas selbst produzierten Honig. Umgerechnet knapp fünf Euro soll ein ganzes Kilo kosten.
    "Die Honigverkäuferin hat zu mir gesagt, ich mache den Rabatt in Höhe von fünf Rubeln für Sie, nur für Sie, weil sie mit mir nicht hochmütig waren. Und weil sie als junger Kerl mich verführt haben."
    Andrejs Grinsen ist jetzt ausgesprochen breit. Von seiner Frau hat er eine lange Einkaufsliste bekommen, die er nach und nach abarbeitet.
    "Gehen wir, schauen wir Fisch. Jetzt sind wir in der Fischhalle. Der meiste Fisch kommt aus Odessa hierher. Aber es gibt auch Fischwirtschaft hier in Transnistrien und die verkaufen den Fisch hier. Hier haben wir Karauschen, Karpfen und Wels."
    Irgendwann sind die Taschen voll.
    Lieder über die Sonne
    "Durch diese kleine Führung haben Sie - liebe Hörerinnen und Hörer - einen internen kurzen Einblick in das Leben des lokalen Marktes bekommen."
    Nachdem die Einkäufe verstaut sind, geht es zum Sandstrand des Dnjestr mitten in der Stadt. Der Fluss entspringt in den Karpaten und mündet im Schwarzen Meer.
    "Der Fluss war und ist die Grenze, die Grenze zwischen Transnistrien und Moldova mit der Ausnahme der Stadt Bender."
    In Tiraspol ist er knapp 100 Meter breit, trüb und träge. Hinter uns lagert eine Großfamilie um eine Picknickdecke mit fetten Fischen, sauren Gurken und süßen Kuchen, drei Meter weiter füttert sich ein junges Liebespaar mit tiefen Blicken und zarten Küssen. Eine alte Frau führt ihre Enkelin im Schwimmring an der Hand ins lauwarme Wasser. Ein Kraftsportler in Badehose macht auffällig unauffällige Bewegungen, die zeigen, dass er lange und hart trainiert hat. Alles wie früher, sagt Andrej, wie in der Sowjetunion.
    Auf dem geteerten Gehweg etwas weiter hinten versucht ein alter blinder Mann auf einem Hocker gebeugt, mit einem Akkordeon seine Rente aufzubessern.
    "Der Hauptsinn dieses Liedes war, dass er allen wünscht, dass die Träume von Menschen in Erfüllung gehen."
    Dann singt er vom schönen Leben der Kosaken, davon, dass auf die Frauen kein Verlass ist, nur auf Pferd und Schwert. Die erste Kugel traf mein Pferd, heißt es, die zweite mein Herz, und wenn ich sterbe, wird die Liebste meinen Kameraden heiraten. Andrejs Blick ist jetzt ein wenig melancholisch.
    "Ich bin ein Transnistrier, weil ich hier lebe. Aber im Grunde genommen bin ich der Mensch der Erde."
    Dann steht er auf, um ein paar kühle Bier vom nahen Kiosk zu holen. Als er zurückkommt, hat er neben einem Beutel mit Flaschen auch noch eine Gitarre in der Hand.
    "Das ist das Lied über die Zukunft von Transnistrien. In diesem Lied handelt es sich darum, dass die Kräfte der Nacht immer von der Sonne besiegt werden."
    Ein schöner Tag nähert sich einem vorläufigen Ende. Andrej Smolenskij richte sich auf und zeigt dem Sonnenuntergang sein schönstes Lächeln.
    "Transnistrien lebt jetzt in einem Zwielicht. Es ist nicht Nacht, aber es ist nicht Tag. Irgendwo in der Mitte. Dadurch kennzeichnet sich unsere Lage. Aber die Sonne wird aufstehen über Transnistrien."