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Molekulare Popmusik

Bei "Atoms For Peace" spielen Bassist der Red Hot Chili Peppers, der Schlagzeuger von Beck, der Perkussionist von David Byrne und Radiohead-Frontman Thom Yorke zusammen. Ihr Debütalbum "Amok" kennt keine Konventionen.

Von Andi Hörmann | 23.02.2013
    Dampfwolken steigen auf, kondensieren zu perlenden Tropfen und zerbersten in Eiskristalle. "Atoms For Peace" klingen wie ein Spiel der Elemente. Molekular-Musik. Fest, flüssig, gasförmig - ein ständiges Ändern der Aggregatzustände.

    Verdichtet und verhallt - ein Klangkosmos aus amorphen Strukturen. Geisterhaft verhuschte Musik aus den Grundbausteinen der Materie: Elektronen, Protonen, Neutronen. "Amok", das Debüt-Album von "Atoms For Peace" ist ein musikalischer Hybrid: von Menschenhand, im Geist der Maschine. 45 Minuten Klangdrama in neun Akten und loser Erzählstruktur, inszeniert als schillerndes Hologramm.

    "Der Wille ist stark, aber das Fleisch ist schwach", heißt es in der Single "Default". Die ständigen Widersacher Emotion und Verstand als Protagonisten einer musikalischen Bühnen-Posse - unter die Haut gehend, derb-komisch, zum Lachen und Weinen. Das Seelenheil im Dilemma finden "Atoms For Peace" in den unendlichen Möglichkeiten der Komposition. Der Beat: im lockeren Galopp. Der Basslauf: fest im Sattel. Die musikalische Kulisse: ein Parforceritt durch tiefe Täler. Mal rappelt es, mal knattert und raschelt es in der Kiste.

    "Stuck Together Pieces" - frei übersetzt "Aus Teilen zusammengesteckt" - heißt ein Stück auf dem Album. In diesem Sinne ist nicht nur die Musik, sondern auch die Band zusammengewürfelt. Am Bass: Flea von den "Red Hot Chili Peppers". An den Drums: Joey Waronker unter anderem von "Beck". Perkussion: Mauro Refosco - zuvor bei David Byrne. Tasten und Produktion: die Produzenten-Legende Nigel Godrich. Und - last but not least: "Radiohead"-Mastermind Thom Yorke. "Atoms For Peace": eine All-Star-Band.

    Lang gezogene Gesangsmelodien, Ping-Pong-Bass, kleinteilige Rhythmen - die Kompositionen von "Atoms For Peace" sind mehr im Technoclub als im Konzertsaal zuhause. Das Grundgerüst der Stücke auf "Amok": Jam-Sessions im Spiel der Dekonstruktion, ein Zerlegen und wieder Zusammensetzen von Musik. Zusammengehalten von flächigen Synthesizern. Zum Beispiel das bratzige Stück "Dropped": eine Verbeugung vor dem Techno-Pop von "Modeselektor". Kein Wunder: Thom Yorke taucht immer wieder als Gastsänger bei dem Berliner Produzenten-Duo auf.

    Beschwörende Voodoo-Chöre im zerhackstückten "Unless". Jazzige Melodiebögen im Breakbeat-Gerüst bei "Reverse Running". Takte voller hypnotisierendem Klick-Klick-Klack über synthetische Klangtexturen im Titelstück "Amok". In "Amok" geht es dann auch gewohnt abstrakt um den Amoklauf: Verstand gegen Emotion, Kopfgeburt versus Bauchgefühl. Dazwischen: die falschen Erwartungen.

    So lässt sich die Musik von "Atoms For Peace" vielleicht auch als ein Aufbäumen gegen musikalische Konventionen lesen. Eine Abkehr von der gefälligen Pop-Chose jeglicher Chartstürmer, eine musikalische Anti-Rock-Pose. Und dennoch: "Amok" ist keine Blaupause von verspieltem Avantgarde-Pop à la Radioheads "Kid A". Vielmehr ist es das Debüt-Album einer All-Star-Band mit kindlichem Pioniergeist im Land der grenzenlosen musikalischen Studiotechnik. "Atoms For Peace" sind auf dem besten Weg, mit sich und der Welt den Frieden zu machen: reduziert und transparent, flüchtig und unangreifbar. Natürlich im gasförmigen Aggregatzustand.