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Molenbeek
Hochburg der belgischen Islamisten

In Belgien halten sich nach Schätzungen europaweit die meisten Rückkehrer aus dem Bürgerkriegsland Syrien auf. Hier rekrutieren Islamisten Nachwuchs für den Kampf gegen die westliche Welt. Seit Jahrzehnten versucht Belgien, das zu verhindern.

Von Benjamin Dierks |
    Marktszene in Molenbeek
    Ein Markt in Molenbeek an Tag 2 nach den Anschlägen von Paris. (picture alliance / dpa / Bride Edouard)
    Molenbeek gilt als Hochburg der Islamisten in Belgien, und wie schon im Januar führt eine Spur der Terroranschläge von Paris hierher. Schwer bewaffnete Polizeieinheiten durchsuchten heute den ganzen Tag über Wohnungen. In einer Seitenstraße hinter dem Kanal liegt das Jugendhaus Foyer. Seit 45 Jahren versuchen die Mitarbeiter dieses Stadtteilzentrums, junge Einwanderer, oft muslimische Marokkaner, sozial aufzufangen. Foyer-Chef Johan Lehman weiß, welchem Gegner er gegenübersteht:
    "Die Prediger wissen sehr gut, dass sie in Molenbeek ein Potenzial haben."
    Lehman ist Anthropologe und Migrationsforscher und beobachtet seit Jahren, wie Dschihadisten aus dem In- und Ausland in Brüssel Anhänger rekrutieren. Trotz aller Bemühungen hat er einige seiner früheren Schützlinge aus dem Foyer an den Islamischen Staat verloren:
    "Meine Interpretation davon, was in Belgien geschieht, ist, dass wir mehr als andere Länder den Einfluss mehrerer Strömungen haben, in Brüssel von Paris und Lyon, Dschihadis, Islamisten. Auch aus England und den Niederlanden."
    Lehman wirft der Politik vor, dass sie diesen Einfluss trotz vieler Warnungen auch von ihm zu lange ignoriert habe. Erst dadurch hätten belgische Dschihadistengruppen wie Sharia4Belgium entstehen können. Ihr Anführer Fouad Belkacem wird eine Schlüsselrolle bei der Anwerbung junger Muslime zugeschrieben, die sich dem "Islamischen Staat" im Irak oder in Syrien angeschlossen haben. Im Februar wurde er deshalb von einem Gericht in Antwerpen zu zwölf Jahren Haft verurteilt. 2010 habe er bereits Alarm geschlagen, als der britische Islamist Anjem Choudary nach Belgien kam, sagt Lehman. Der ehemalige Führer der mittlerweile verbotenen Organisation Islam4UK hatte als Ziel ausgegeben, eine belgische Gruppe zu gründen, die für ein Kalifat kämpfen solle.
    "Ich hatte gelesen, dass er nach Belgien kam und er sagte, ich wünsche, eine Sharia4Belgium zu gründen. Und er hat Kontakt mit Fouad Belkacem aufgenommen. In diesem Moment versuchte ich, mit bestimmten Leuten aus der Politik zu sprechen. Sie hatten keine Zeit."
    Lehman kritisiert, dass europäische Regierungen schon seit den 70er Jahren Islamausbildung in den Moscheen radikalen Organisationen aus Saudi-Arabien und Katar überlassen hätten.
    "In Europa, in manchen Ländern, in denen es arabische Migration gab, hat man Saudi-Arabien einen wichtigen Platz gegeben."
    So seien die Islamisten immer radikaler geworden und hätten sich europäischem Einfluss entzogen. Erst spät sei dieser Fehler aufgefallen. Und nach wie vor sei der Einfluss der Golfstaaten groß:
    "Das muss man beenden."
    Lehman beobachtet zudem, dass die prekäre Situation in Molenbeek vor allem junge Männer mit marokkanischem Hintergrund für die Botschaften der Islamisten empfänglich machten:
    "Es gibt eine Autoritätskrise in der marokkanischen Gemeinschaft."
    Durch schlechte schulische Betreuung und hohe Arbeitslosigkeit im Viertel entstehe eine Art Gegenkultur junger Menschen.
    "Und da gehen Salafis und Dschihadis rein. Es gibt Prediger, die in dieser Gegenkultur aktiv sind."
    Gegen die müsse der Staat entschieden vorgehen.
    "Es ist meine Überzeugung, dass bestimmte Prediger ausgeschlossen werden müssen."
    Langfristig könne Belgien dem Problem nur begegnen, indem die soziale Lage der Einwanderer verbessert wird. Das sei der Nährboden für Radikalisierung.