Peter Kapern: Die Geschichte klingt unglaublich: Ein Mann sitzt seit sieben Jahren in der Psychiatrie, weil er seine Frau misshandelt und Autoreifen zerstochen haben soll. Er selbst behauptet, Opfer einer Intrige zu sein – eine Intrige, die gesponnen wurde, weil er auf Schwarzgeldgeschäfte bei der Hypo-Vereinsbank aufmerksam gemacht habe. Auf Anordnung eines Gerichts muss der Fall nun nach sieben Jahren erneut überprüft werden. Das alles spielte sich ab in Bayern. Der Name des Weggesperrten lautet Gustl Mollath. Die Nervosität der Landesregierung ist kurz vor der Landtagswahl mit Händen zu greifen. Ministerpräsident Seehofer soll bei der jüngsten Kabinettssitzung mal wieder vor Wut aus dem Hemd gesprungen sein, wegen der Affäre Mollath. Seehofer dementiert dies allerdings. Gestern Abend hat mein Kollege Tobias Armbrüster mit Heribert Prantl von der "Süddeutschen Zeitung" über den Fall Mollath gesprochen, und zunächst hat er ihn gefragt, warum sich die Kritiker eigentlich so sicher sind, dass die bayerische Justiz und die Justizministerin im Fall Mollath versagt haben.
Heribert Prantl: Nun ja, wenn Sie das Urteil lesen, das Gustl Mollath in die Psychiatrie gebracht hat, dann sagt jeder, der sich ein bisschen mit Justiz befasst hat, das stimmt hinten und vorne nicht. Schon das Urteil trägt, ich sage jetzt mal ganz deutlich, den Stempel der Rechtsbeugung, auch wenn die Staatsanwaltschaft Regensburg in ihrem Wiederaufnahmeantrag dieses Wort in der letzten Fassung nicht mehr gebrauchen wollte. Hier ist der Beginn des Verfahrens mit unsäglichen Fehlern gepflastert und diese Fehler zeichnen sich fort. Die werden fortgeführt von Gutachten, die nicht der Norm entsprechen. Es ist ja so, dass grundsätzlich konzediert wird von den Sachverständigen, dass viele Eingangsgutachten in die Psychiatrie, nämlich bis zu 50 Prozent, falsch sind, und diese Falschheit stellt sich im Fall Mollath als besonders plakativ dar und es addieren sich schlichtweg Fehler in einem Maße, dass auch für jemanden, der mit Fehlurteilen durchaus vertraut ist, das Maß des Erträglichen übersteigt.
Tobias Armbrüster: Was steckt denn dahinter? Ist das einfach nur Schlampigkeit oder mehr?
Prantl: Nun ja, zunächst mal ist es Schlampigkeit des Richters, der seinerzeit geurteilt hat, und dann kommt eine Systemschwäche hinzu. Der ganze Prozess der Einweisung und des Betriebs der psychiatrischen Anstalt ist juristisch unterkomplex geregelt. Wenn jemand ins Gefängnis geschickt wird, gibt es unendlich detaillierte Regularien dafür. Vergleichsweise ist die Einweisung in die Psychiatrie und der Aufenthalt in der Psychiatrie kaum geregelt. Der Spruch von der Doppelkammer der Justiz ist durchaus berechtigt. Es ist wohl so, dass die Psychiater die Verantwortung zum Teil auf die Juristen abschieben, das, was da gemacht wird, als Juristerei betrachten und die Juristen das ganze für psychiatrisches Zeug halten, und dazwischen wird der Patient – der Täter hat ja eine Zwitterrolle, er ist Patient und Täter – quasi zerrieben. Die Regeln sind zu wenig klar und die Gutachten sind zu schlecht, sie werden auch zu wenig kontrolliert, auch deswegen, weil es zu wenig Gutachter gibt, die wirklich qualifiziert sind.
Armbrüster: Herr Prantl, was Sie da schildern, das ist ja vor allen Dingen auch die Sicht, die Gustl Mollath und seine Verteidiger vertreten. Es gibt aber auch seine Exfrau, die sagt, Gustl Mollath war ein gefährlicher Mann, er habe sie geschlagen und ihr bis zum Schluss Gewalt angedroht. Ihre Sicht, die wird auch unter anderem gestützt durch mehrere Gutachten.
Prantl: Die Gutachten sind hoch problematisch. Es ist unstrittig mittlerweile, dass eines dieser Gutachten ein sogenanntes "unechtes Gutachten" ist. Es ist nicht von der Ärztin untersucht worden, die das Gutachten ausgestellt hat. Die ärztlichen Gutachter haben zum Teil die Frau Mollath erst zwei, drei Tage nach den angeblichen Verletzungen gesehen, und das weiß jeder, der sich mit Beziehungstaten ein bisschen auskennt: Wenn eine Beziehung kriselt, wenn sie auseinandergeht, dann werden Anschuldigungen gemacht, die hoch problematisch sind.
Armbrüster: Das heißt, Sie würden sagen, Frau Mollath hat gelogen?
Prantl: Sie ist jedenfalls nicht glaubwürdig, darauf würde ich nie und nimmer ein Urteil stützen.
Armbrüster: Aber Gustl Mollath wäre ja auch nicht der erste gewalttätige Mann, der sich nach seiner Verurteilung als Opfer der Justiz hinstellt.
Prantl: Das ist sicherlich richtig. Aber in dem Fall finden nicht befasste Betrachter und Experten in den Akten einfach so viele Anhaltspunkte dafür, dass hier Massen von Fehlern passiert sind. Es kommt wirklich selten vor, dass sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung umfangreichst die Schriftsätze einreicht, die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen. So etwas ist selten. Und wenn uni sono Staatsanwaltschaft und Verteidigung klagen, dann liegt schon Substanz vor.
Armbrüster: Herr Prantl, Sie beziehen ja auch in Ihren Kommentaren immer sehr klar Position für Gustl Mollath. Ist das nicht problematisch für einen Journalisten, gerade in einem Verfahren, das neu aufgerollt wird, so wie dieses jetzt scheint, neu aufgerollt zu werden, in so einem Verfahren sich so deutlich auf eine Seite zu schlagen, so wie Sie das tun?
Prantl: Nun ja, ich beziehe nicht Position für Gustl Mollath, ich beziehe Position für ein klares Verfahren und für ein ehrliches Verfahren. Ich beziehe Position für ein Wiederaufnahmeverfahren. Ich habe selten oder nie einen Fall gesehen, der so laut und so eindeutig nach Wiederaufnahme ruft, und ich will, dass die Verhältnismäßigkeit in dem Fall gewichtet wird, eine stärkere Rolle spielt. Ich halte das Verfahren, so wie es abgelaufen ist, und ich halte das Festhalten von Gustl Mollath nach sieben Jahren in der Psychiatrie bei der Vorgeschichte und bei der Geschichte, die sich darstellt, als unverhältnismäßig. Da bin ich im Übrigen im Einklang mit der Äußerung, die die Justizministerin selber gegenüber dem Bundesverfassungsgericht abgelegt hat. Und wenn ich den Fall Mollath vergleiche mit den Grundsätzen, die das Bundesverfassungsgericht zum Beispiel bei Untersuchungshaftfällen abgegeben hat, dann meine, ich sind die Fälle mittlerweile vergleichbar. Nach den Grundsätzen, die Karlsruhe dekretiert hat, schreit der Fall wirklich laut nach einer neuen gründlichen Überprüfung und auch nach einer Überprüfung der Fortdauer im psychiatrischen Krankenhaus.
Kapern: Mein Kollege Tobias Armbrüster im Gespräch mit Heribert Prantl, dem Innenpolitik-Chef der "Süddeutschen Zeitung".
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Heribert Prantl: Nun ja, wenn Sie das Urteil lesen, das Gustl Mollath in die Psychiatrie gebracht hat, dann sagt jeder, der sich ein bisschen mit Justiz befasst hat, das stimmt hinten und vorne nicht. Schon das Urteil trägt, ich sage jetzt mal ganz deutlich, den Stempel der Rechtsbeugung, auch wenn die Staatsanwaltschaft Regensburg in ihrem Wiederaufnahmeantrag dieses Wort in der letzten Fassung nicht mehr gebrauchen wollte. Hier ist der Beginn des Verfahrens mit unsäglichen Fehlern gepflastert und diese Fehler zeichnen sich fort. Die werden fortgeführt von Gutachten, die nicht der Norm entsprechen. Es ist ja so, dass grundsätzlich konzediert wird von den Sachverständigen, dass viele Eingangsgutachten in die Psychiatrie, nämlich bis zu 50 Prozent, falsch sind, und diese Falschheit stellt sich im Fall Mollath als besonders plakativ dar und es addieren sich schlichtweg Fehler in einem Maße, dass auch für jemanden, der mit Fehlurteilen durchaus vertraut ist, das Maß des Erträglichen übersteigt.
Tobias Armbrüster: Was steckt denn dahinter? Ist das einfach nur Schlampigkeit oder mehr?
Prantl: Nun ja, zunächst mal ist es Schlampigkeit des Richters, der seinerzeit geurteilt hat, und dann kommt eine Systemschwäche hinzu. Der ganze Prozess der Einweisung und des Betriebs der psychiatrischen Anstalt ist juristisch unterkomplex geregelt. Wenn jemand ins Gefängnis geschickt wird, gibt es unendlich detaillierte Regularien dafür. Vergleichsweise ist die Einweisung in die Psychiatrie und der Aufenthalt in der Psychiatrie kaum geregelt. Der Spruch von der Doppelkammer der Justiz ist durchaus berechtigt. Es ist wohl so, dass die Psychiater die Verantwortung zum Teil auf die Juristen abschieben, das, was da gemacht wird, als Juristerei betrachten und die Juristen das ganze für psychiatrisches Zeug halten, und dazwischen wird der Patient – der Täter hat ja eine Zwitterrolle, er ist Patient und Täter – quasi zerrieben. Die Regeln sind zu wenig klar und die Gutachten sind zu schlecht, sie werden auch zu wenig kontrolliert, auch deswegen, weil es zu wenig Gutachter gibt, die wirklich qualifiziert sind.
Armbrüster: Herr Prantl, was Sie da schildern, das ist ja vor allen Dingen auch die Sicht, die Gustl Mollath und seine Verteidiger vertreten. Es gibt aber auch seine Exfrau, die sagt, Gustl Mollath war ein gefährlicher Mann, er habe sie geschlagen und ihr bis zum Schluss Gewalt angedroht. Ihre Sicht, die wird auch unter anderem gestützt durch mehrere Gutachten.
Prantl: Die Gutachten sind hoch problematisch. Es ist unstrittig mittlerweile, dass eines dieser Gutachten ein sogenanntes "unechtes Gutachten" ist. Es ist nicht von der Ärztin untersucht worden, die das Gutachten ausgestellt hat. Die ärztlichen Gutachter haben zum Teil die Frau Mollath erst zwei, drei Tage nach den angeblichen Verletzungen gesehen, und das weiß jeder, der sich mit Beziehungstaten ein bisschen auskennt: Wenn eine Beziehung kriselt, wenn sie auseinandergeht, dann werden Anschuldigungen gemacht, die hoch problematisch sind.
Armbrüster: Das heißt, Sie würden sagen, Frau Mollath hat gelogen?
Prantl: Sie ist jedenfalls nicht glaubwürdig, darauf würde ich nie und nimmer ein Urteil stützen.
Armbrüster: Aber Gustl Mollath wäre ja auch nicht der erste gewalttätige Mann, der sich nach seiner Verurteilung als Opfer der Justiz hinstellt.
Prantl: Das ist sicherlich richtig. Aber in dem Fall finden nicht befasste Betrachter und Experten in den Akten einfach so viele Anhaltspunkte dafür, dass hier Massen von Fehlern passiert sind. Es kommt wirklich selten vor, dass sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung umfangreichst die Schriftsätze einreicht, die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen. So etwas ist selten. Und wenn uni sono Staatsanwaltschaft und Verteidigung klagen, dann liegt schon Substanz vor.
Armbrüster: Herr Prantl, Sie beziehen ja auch in Ihren Kommentaren immer sehr klar Position für Gustl Mollath. Ist das nicht problematisch für einen Journalisten, gerade in einem Verfahren, das neu aufgerollt wird, so wie dieses jetzt scheint, neu aufgerollt zu werden, in so einem Verfahren sich so deutlich auf eine Seite zu schlagen, so wie Sie das tun?
Prantl: Nun ja, ich beziehe nicht Position für Gustl Mollath, ich beziehe Position für ein klares Verfahren und für ein ehrliches Verfahren. Ich beziehe Position für ein Wiederaufnahmeverfahren. Ich habe selten oder nie einen Fall gesehen, der so laut und so eindeutig nach Wiederaufnahme ruft, und ich will, dass die Verhältnismäßigkeit in dem Fall gewichtet wird, eine stärkere Rolle spielt. Ich halte das Verfahren, so wie es abgelaufen ist, und ich halte das Festhalten von Gustl Mollath nach sieben Jahren in der Psychiatrie bei der Vorgeschichte und bei der Geschichte, die sich darstellt, als unverhältnismäßig. Da bin ich im Übrigen im Einklang mit der Äußerung, die die Justizministerin selber gegenüber dem Bundesverfassungsgericht abgelegt hat. Und wenn ich den Fall Mollath vergleiche mit den Grundsätzen, die das Bundesverfassungsgericht zum Beispiel bei Untersuchungshaftfällen abgegeben hat, dann meine, ich sind die Fälle mittlerweile vergleichbar. Nach den Grundsätzen, die Karlsruhe dekretiert hat, schreit der Fall wirklich laut nach einer neuen gründlichen Überprüfung und auch nach einer Überprüfung der Fortdauer im psychiatrischen Krankenhaus.
Kapern: Mein Kollege Tobias Armbrüster im Gespräch mit Heribert Prantl, dem Innenpolitik-Chef der "Süddeutschen Zeitung".
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.