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"Moment der Freiwilligkeit ist von vornherein eine Schwäche"

Joachim Fritz-Vannahme, Leiter der Europa-Projekte bei der Bertelsmann-Stiftung, bleibt auch nach der Einigung auf den Schuldenschnitt für Griechenland skeptisch: "Wir haben es hier nach wie vor mit einer relativ schwachen Position der europäischen Regierungen gegenüber sowohl der Finanzwelt als auch gegenüber den eigenen Partnern zu tun."

Joachim Fritz-Vannahme im Gespräch mit Bettina Klein |
    Bettina Klein: Die Börsen haben bereits weitgehend positiv auf die Nachrichten aus Brüssel reagiert, und das, obwohl interessanterweise ja vieles im Detail noch geklärt werden muss. Aber die europäischen Staats- und Regierungschefs haben nach Ansicht der Anleger offenkundig Handlungsfähigkeit bewiesen.
    Wir sind jetzt am Telefon verbunden mit Joachim Fritz-Vannahme, Leiter der Europa-Projekte bei der Bertelsmann-Stiftung. Ich grüße Sie.

    Joachim Fritz-Vannahme: Einen schönen guten Tag.

    Klein: Wenn wir uns zunächst die europapolitische Dimension anschauen: War das jetzt ein besonderer Gipfel oder einfach einer von vielen, die wir in den vergangenen Monaten zu diesem Themenkomplex gesehen haben und vielleicht auch noch sehen werden?

    Fritz-Vannahme: Nun, es war beides. Es war ein besonderer Gipfel, weil in ein, zwei Punkten, die in den vorherigen Kommentaren ja schon angesprochen wurden, endlich Schritte erfolgt sind, und es war einer mehr, weil wir natürlich hier einem Schauspiel beiwohnen seit eineinhalb Jahren, im Grunde genommen eigentlich noch viel länger, wenn man die Finanzkrise noch dazuzählt, wo man zurecht den Eindruck hat, die Politik bewegt sich, die Politik hat auch Vorstellungen, aber die Politik kommt immer einen Schritt zu spät und die Politik erscheint vielfach nicht als Treibende, sondern als Getriebene.

    Klein: Worin bestand denn jetzt konkret das Manko aus Ihrer Sicht?

    Fritz-Vannahme: Nun, ich würde bei erster Lektüre nach wie vor die Regelung der Freiwilligkeit des Abkommens mit den Banken als eine Schwachstelle sehen und ebenso die Freiwilligkeit der Selbstverpflichtung im Beispiel von Italien. Dieses Moment der Freiwilligkeit ist von vornherein eine Schwäche. Man kann eigentlich das Recht, was man da festgelegt hat, hinterher bei niemandem einklagen. Wenn die Banken sich aus dieser Zusage je wieder zurückziehen, wer will dann richten? Wenn Italien das, was sie schwarz auf weiß in der Schlusserklärung niedergeschrieben haben, aus wahltaktischen oder sonstigen Gründen nicht einhält, wer will dann richten? Also wir haben es hier nach wie vor mit einer relativ schwachen Position der europäischen Regierungen gegenüber sowohl der Finanzwelt als auch gegenüber den eigenen Partnern zu tun.

    Klein: Wir erklären den Punkt noch mal kurz. Schuldenerlass für Griechenland von 50 Prozent, private Anleger verzichten auf 100 Milliarden, 30 Milliarden sollen von öffentlicher Seite kommen, 70 Milliarden haben die Banken zu tragen. Und Sie erwähnten es: Jede einzelne Bank muss noch zusagen, und die Frage ist natürlich, wie rechtlich bindend ist dann das, was beim Gipfel beschlossen worden ist. Und da haben Sie kein allzu großes Vertrauen?

    Fritz-Vannahme: Nun, da würde ich sagen, man muss da nicht einfach gleich aufs Misstrauen oder Vertrauen zu sprechen kommen, sondern die Situationen können sich verändern und die haben sich nun gerade in dieser über dreijährigen Finanzkrise doch permanent verändert, und wir waren vor Überraschungen nie gefeit und meistens waren es halt böse Überraschungen. Deswegen würde ich da keinen auf die Anklagebank setzen, sondern ich würde einfach sagen, die Regelungen sind, wie sie sind, das ist ein Fortschritt, wir haben zum ersten Mal private Gläubiger mit im Boot. Aber es ist keine Lösung, die wirklich wasserdicht ist, und dasselbe gilt auch gegenüber den Regierungen. Ich sehe, dass die griechische Regierung sehr, sehr viel unternommen hat; bei der italienischen Regierung beispielsweise steht das alles im Moment halt noch auf Papier.

    Klein: Die Stärkung der Eurozone ist ein weiteres Signal, das von diesem Gipfel ausgehen sollte, also eine stärkere Zusammenarbeit der Euro-Staaten, regelmäßige eigene Gipfeltreffen, ein eigener Präsident für eine ständige Euro-Arbeitsgruppe. Ist das perspektivreich, war das geboten jetzt?

    Fritz-Vannahme: Nun, es war geboten, es ist perspektivreich, es wird aber auf Dauer nicht ausreichen. Ich meine, bei uns allen liegt doch hier ein Ahnen in der Luft, und manchmal schlägt sich dieses Ahnen dann auch in Umfragen nieder. Da entsteht mehr Europa, zumindest im Bereich der Euro-Länder. Und wer hier wirklich schon weiß, wo dieses Mehr denn ausgestaltet werden soll und wie, das wissen wir nicht. Also das ist eine Quelle von latentem Misstrauen. Wer hier tatsächlich wie viel will, verraten die Worte von Kanzlerin oder französischem Präsidenten nur zu Teilen, und selbst die Leitanträge großer Parteien zu kommenden Parteitagen verraten das nur in Ansätzen. Also wenn ich mal sage, die intergovernmentale Zusammenarbeit zwischen Paris und Berlin hat im vorliegenden Fall in manchen Bereichen ganz gut geklappt, dann komme ich wieder auf meine Anfangsaussage zurück: Sind die beiden denn dadurch jetzt zu Treibenden geworden oder sind sie Getriebene unter lauter Getriebenen geblieben? Das sind so Fragen, die man sich zurechtstellen kann. Was ich hier im Augenblick beobachte, ist, dass aus meiner Sicht eines Pro-Europäers sicherlich Integrationsgewinne inzwischen zu Buche schlagen, aber diese Integrationsgewinne latent immer noch mit Legitimitätsverlusten einher gehen, die sich zum Beispiel in Umfragen niederschlagen.

    Klein: Aber führt denn ein Weg vorbei an dem Europa der mindestens zwei Geschwindigkeiten, die wir jetzt hier wieder im Ausdruck vorfinden? Besteht die Gefahr, dass sich die Euro-Staaten abkoppeln?

    Fritz-Vannahme: Ja, aber ich würde das nicht als Gefahr bezeichnen, sondern die Währung ist ein ganz, ganz starkes Integrativ, ist von Anfang an auch so angelegt und gebilligt worden, übrigens ja nicht nur von 17, sondern auch von den übrigen zehn, die in der Europäischen Union ohne den Euro leben. Also ich glaube, dass das keine Gefahr ist, sondern ein ganz natürlicher Weg. Was wir im Moment natürlich erleben, wenn ich auf die britische Insel herüberschaue, ist schon das Risiko, dass das, was die Euro-Länder tun müssen, sie ein Stück weit von den anderen entfernt. Das wird bei den Briten eher als eine Tendenz, die zu begrüßen ist, hingenommen; der schwedische Regierungschef hat das gestern ganz anders ausgedrückt: Für ihn ist das ein Risiko.

    Klein: Wann geht es Ihrer Meinung nach an die Änderung der bestehenden Verträge? Denn das ist auch ein Punkt, den Bundeskanzlerin Merkel ja angedeutet hat, denn damit würde für Deutschland möglicherweise eben auch die Notwendigkeit einer Grundgesetzänderung zu beraten sein.

    Fritz-Vannahme: Ich glaube, das wird relativ zügig kommen. Erst mal muss der Bundestag gelobt werden für die Art und Weise, wie er sich hier verhalten hat. Er hat vor allem ja auch all diejenigen Lügen gestraft, die gesagt haben, eine solche Entscheidung eines Bundestages, eines Plenums ist eigentlich viel zu schwerfällig für die Schnelle der Geschwindigkeit, in der die Entscheidung getroffen werden muss. Nein, das ist hier so nicht eingetreten. Ich glaube, dass aber auch vor allem der Konsens in diesem Bundestag doch eigentlich Mut machen muss, jetzt relativ zügig auf diese Vertragsänderungen zuzugehen und auf die Grundgesetzänderung, die Sie zurecht erwähnt haben. Ich glaube, dass da auch ein hohes Problembewusstsein zumindest bei den Regierungen in anderen Euro-Ländern vorhanden ist, und die Gunst der Stunde sollte man nutzen. Wahlen stehen ja immer an, die etwas störend wirken bei solchen mutigen Taten, aber nichtsdestotrotz: Es muss sein. Man hat gemerkt, dass man die Grenzen des bestehenden Systems unter den Euro-Ländern eigentlich erreicht hat und weiter so nicht kommt, dass aber dieser Schritt bis zu diesen Grenzen noch nicht ausreicht in einer zunehmend komplexen Welt, wo sich eben Politik mit Finanzwelt heftige Gefechte liefert.

    Klein: Die Einschätzung von Joachim Fritz-Vannahme, Leiter der Europa-Projekte bei der Bertelsmann-Stiftung. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

    Fritz-Vannahme: Gern geschehen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.