Archiv

Mona-Lisa-Effekt enttarnt
Sie schaut doch nicht

Heerscharen von Besuchern schauen jedes Jahr die "Mona Lisa" an und sie schaut scheinbar zurück, ganz gleich aus welcher Richtung man sich nähert. Wahrnehmungsforscher sprechen vom "Mona-Lisa-Effekt". Das Skurrile: Ob er für die "Mona Lisa" zutrifft, hat niemand überprüft. Zwei Deutsche haben das nachgeholt.

Von Florian Schumann |
    Prof. Dr. Gernot Horstmann (l.) und Dr. Sebastian Loth vom Exzellenzcluster CITEC stehen neben dem Gemälde "Mona Lisa"
    Schaut Mona Lisa ihren Betrachter an oder nicht? Dieser Frage gingen Prof. Dr. Gernot Horstmann (l.) und Dr. Sebastian Loth vom Exzellenzcluster CITEC nach. (CITEC/Universität Bielefeld)
    Sebastian Loth: "Das Faszinierende an dem Bild ist ja, dass jeder glaubt, sie schaut einen an. Und ich hab das erste Mal wirklich richtig auf das Bild geguckt, als Gernot gesagt hat, die guckt einen nicht an."

    Sagt Sebastian Loth von der Forschungsgruppe Kognitive Systeme und soziale Interaktion an der Universität Bielefeld. Gemeinsam mit seinem Kollegen Gernot Horstmann hat er sich in einer Studie mit der Wahrnehmung von Blickrichtungen beschäftigt, speziell mit dem Mona-Lisa-Effekt. Er geht auf das berühmte Gemälde von Leonardo da Vinci zurück und ist in der Kognitionsforschung weltweit bekannt. Demnach werden Personen, die gerade aus einem Bild herausschauen, so wahrgenommen, als ob sie den Betrachter anschauen. Und zwar ganz egal, von welcher Position im Raum der Betrachter auf das Bild schaut.
    Entscheidend dabei ist der Blickwinkel. Schaut die Person im Bild genau geradeaus, dem davorstehenden Betrachter also auf die Nase, dann ergibt das einen Winkel von null Grad. Schaut sie links oder rechts an der Nase vorbei, wird der Blickwinkel größer. Bis sich der Betrachter irgendwann nicht mehr angeschaut fühlt. Gernot Horstmann:

    "Die Forschung hat dann geprüft, bis wann man sich eigentlich angeschaut fühlt. Das ist typischerweise im Umkreis von circa zehn Grad, das heißt fünf Grad zu jeder Seite. Das ist etwa Pi mal Daumen ungefähr bis zum Ohr."
    Wohin schaut Mona Lisa?
    Die Forscher wollten zum ersten Mal wissenschaftlich überprüfen, wie Betrachter den Blickwinkel der Mona Lisa wahrnehmen. Für ihre Studie zeigten sie 24 Probanden auf einem Bildschirm Ausschnitte des Gesichts der Mona Lisa in verschiedenen Vergrößerungen. Auf einigen waren der gesamte Kopf, auf anderen nur Augen und Nase zu sehen. Auf einer Skala sollten die Teilnehmer angeben, wo Mona Lisa ihrem Eindruck nach hinschaute. So kamen insgesamt mehr als 2.000 Einschätzungen zustande, aus denen die Forscher den Blickwinkel der Mona Lisa berechnen konnten.
    "Das Ergebnis von unseren Messungen war, dass Mona Lisa etwas mehr als 15 Grad zur rechten Seite des Betrachters schaut. Man kann also aufgrund unserer Ergebnisse recht sicher davon ausgehen, dass die Mona Lisa zur Seite schaut und nicht geradeaus. Das bedeutet, dass der Mona-Lisa-Effekt für Mona Lisa nicht gilt. Denn der Mona-Lisa-Effekt beruht auf der Voraussetzung, dass die Mona Lisa geradeaus aus dem Bild schaut."
    Wie der Name sich trotzdem so lange halten konnte, wissen die Forscher nicht. Es könne aber damit zusammenhängen, dass unsere Wahrnehmung auch von unseren Erwartungen beeinflusst wird, glaubt Gernot Horstmann:
    "Das kann man sich im Falle des Mona-Lisa-Effektes so vorstellen, dass, wenn ich erwarte, dass die Mona Lisa mich anschaut, ich eben insbesondere die Merkmale des Originalbildes aufnehme, die meinen Eindruck bestätigen. Also die Erwartung, etwas Bestimmtes zu sehen, beeinflusst, wenn auch normalerweise nur ein ganz kleines bisschen, das, was ich tatsächlich sehe."
    Der Mona-Lisa-Effekt existiert – nur eben nicht bei Mona Lisa
    Auch wenn er für die Mona Lisa nicht zutrifft, der Effekt selbst existiert. Und dafür gibt es durchaus prominente Beispiele.

    "Eins davon ist Uncle Sam, das kennt man wahrscheinlich aus der Popkultur, wenn man diesen amerikanischen großen Kopf mit diesem Zylinderhut hat, der aus dem Bild heraus zeigt mit dem Finger und auch aus dem Bild heraus schaut."
    Das Plakat sollte im Ersten und Zweiten Weltkrieg junge Männer dazu animieren, in die Armee einzutreten. Sebastian Loth befasst sich aber auch mit ganz anderen Aspekten des Mona-Lisa-Effekts und die sind brandaktuell. Zum Beispiel wenn es um Avatare geht. Immer mehr Firmen bieten solche virtuellen Assistenten an, mit denen Kunden am Computer interagieren können, etwa beim Möbelkauf im Internet. Aber es gibt ein Problem: Sitzen zwei Personen gleichzeitig vor dem Bildschirm, können die Avatare diese Personen nicht einzeln anschauen. Denn blickt der Avatar zu stark zu einer Seite, werden beide Kunden den Eindruck haben, er schaue an ihnen vorbei. Der Mona-Lisa-Effekt wird hier also zum Problem bei der Interaktion zwischen Mensch und Maschine. Sebastian Loth sieht eine mögliche Lösung darin, solche digitalen Verkaufsgespräche künftig mit einer 3D-Brille zu führen. Denn im dreidimensionalen Raum gibt es keinen Mona-Lisa-Effekt.
    Diese Idee hätte dem Universalgenie da Vinci sicher gefallen. Bleibt die Frage, ob der Effekt jetzt, wo er enttarnt ist, einen neuen Namen braucht.
    "Das weiß ich nicht, ich denke mal, wahrscheinlich wird der Name weiterhin verwendet werden, weil er sich eben so eingebürgert hat. Man müsste eben dann genau genommen ab und zu darauf verweisen, dass er eigentlich für die Mona Lisa selbst nicht gilt."