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Monnaie
Von Ängsten, Ahnungen, Hoffnungen

Die Uraufführung von Philippe Boesmans Oper "Au monde" an der Monnaie in Brüssel ist gelungen. Die durchweg fabelhaften Sänger bewegen sich in einem fast leeren, vollkommen schwarzen Bühnenraum. Der französische Dramatiker Joël Pommerat lässt die Figuren auf sehr natürliche Weise agieren, schlichter Realismus, statt Pathos.

Von Christoph Schmitz |
    Es war ein denkwürdiger Abend im prunkvollen Theatersaal der 1856 wieder errichteten Oper La Monnaie. In goldenen Lettern prangen auf den Holzbrüstungen der Balkone und Logen jetzt nicht mehr nur die Namen von Mozart, Wagner, Verdi und so weiter, sondern auch der von Philippe Boesmans. Nach der Uraufführung feierte Intendant Peter de Caluwe den 77jährigen Hauskomponisten auf der Bühne mit einer Rede und ließ das neue Namensschild von einem Scheinwerfer erleuchten. Philippe Boesmans im Reigen des Kanons, das paßt perfekt. Denn seine Opern, auch seine jüngste, die sechste, "Au monde", sie klingen nach Klängen aus Vergangenheit und Gegenwart. Boesmans macht Musik aus Musik. Er hat die belgische Tradition der Postmoderne fortgesetzt, eine Tradition, die mit Henri Pousseurs "Euer Faust" in den 60er Jahren begann und von André Laportes "Das Schloß" fortgesetzt wurde. Auch deren Vorliebe für die Literaturoper hat Boesmans übernommen. Für die Komposition "Au monde" hat der französische Dramatiker Joël Pommerat eines seiner gleichnamigen Theaterstücke zum Libretto umgeschrieben.
    Grundfarbe dieser Arbeit ist vor allem Schwarz
    Es ist ein Blinken, Zittern, Glitzern in dieser Musik. Licht ist sie, zu flirrenden Höhen steigt sie immer wieder auf, geht über ins Tremolo der Geigen, in die Flatterzunge der Flöten und die Arpeggien der Harfe. Xylophon und Triangel setzen Akzente. Mitunter fühlt man sich an die schattierte Lichtwelt von Claude Debussys "Pelléas et Melisande" erinnert. In hochromantischem Zauber ranken sich aber auch die Klänge der Solovioline empor. Liedhafte Arien zitieren den Belcanto. Und auch Instrumente und Klänge der Unterhaltungsmusik baut Boesmans ein, das Akkordeon, den Chanson, den Tango, vorsichtig gesetzte Collage-Elemente. Doch die Grundfarbe dieser Arbeit ist vor allem Schwarz. Unheilvoll rumoren die Bässe und das Blech. Richard Strauss mag hier Pate gestanden haben. Und dennoch klingt nichts nach Kopie, sondern verändert, transformiert, durchdrungen vom Tonsatz der Avantgarde. Zudem ist die gesamte Partitur durchrhythmisiert. Ein beständiges und kleinteiliges Ticken, Springen und Stampfen des Schlagwerks spannt den dramatischen Bogen. Für die Spannung und den üppigen Klangteppich sorgte bei der Uraufführung souverän Patrick Davin am Pult.
    Librettist Joel Pommerat hat auch die Regie übernommen
    Orchester und Sänger erzählen von Ängsten, Ahnungen, Hoffnungen. Der jüngste Sohn einer Industriellenfamilie, Ori, kehrt nach erfolgreichen Jahren beim Militär zum ersten Mal wieder nach Hause zurück, zu seinem Vater und seinen Geschwistern. Er will etwas Neues, etwas Echtes beginnen und scheut sich, dem Wunsch des Vaters nachzukommen und die Unternehmensleitung zu übernehmen. An der ist auch Oris Schwager interessiert. Das Verhältnis zwischen Ori und seiner schwangeren älteren Schwester scheint inzestuöse Züge zu haben. Die Jüngste der drei Schwestern schreit eines Nachts auf, daraufhin verlässt der gebrechliche Vater ihr Zimmer. Die Mittlere ist eine berühmte Fernsehmoderatorin auf der Suche nach neuen Formaten. Zuneigung, Konkurrenz, Hass wabern unablässig, alle sind auf der Suche, nach dem, was sie auf der Welt überhaupt sollen. Ein Stück der Andeutungen. Zum dramatischen Knall kommt es nicht. Die innere Not, die psychische Anspannung und die Momente des Glücks scheinen allein in der Musik auf. Sie ist der Sinnträger der dunklen Konstellation. Die durchweg fabelhaften Sänger bewegen sich in einem fast leeren, vollkommen schwarzen Bühnenraum. Es gibt nur einen Tisch und ein paar Stühle und einen Lichtbalken an der schwarzen Wand. Librettist Joel Pommerat hat auch die Regie übernommen. Er lässt die Figuren auf sehr natürliche Weise agieren, kein Pathos, schlichter Realismus. "Au monde" – das sind zwei intensive Stunden über den Menschen und die Gesellschaft, die einige Lasten zu tragen haben und nach Wegen für die Zukunft suchen.