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Monografie
Dem Teufel auf der Spur

Der Teufel hat zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Ausprägungen - Kurt Flasch hat sich mit der Geschichte und Bedeutung dieser Gestalt befasst. In "Der Teufel und seine Engel" beschreibt er ihn als nützlichen Schergen des Menschen.

Von Florian Felix Weyh |
    Ein Klause mit bengalischem Feuer zieht durch die Innenstadt von Sonthofen (Schwaben).
    Klause, bengalisches Feuer: Der Teufel hat viele Namen und Ausprägungen in der Historie. (picture alliance / dpa / Karl-Josef Hildenbrand)
    Was braucht der Mensch eigentlich, um böse zu sein?
    "Ich stelle mir das denkbar größte Verbrechen vor. Sagen wir: die Auslöschung der Menschheit durch Atomkrieg. Selbst in diesem Fall wüsste ich nicht, woran ich erkennen könnte, dass der Teufel ihn verursacht habe. Ich traue ihn Menschen zu. Als fiktiver Überlebender würde ich nach politischen, sozialen und psychologischen Ursachen suchen."
    Richtig: Die Frage ist falsch gestellt. Böse ist der Mensch aus sich selbst heraus, grundlos und abgrundtief böse. Das Maß seiner Bösartigkeit übersteigt prinzipiell das jeweils an der vorangegangenen Realität erworbene Vorstellungsvermögen. Es geht immer noch verabscheuungswürdiger, infamer, infernalischer – wobei letzteres eine nichtmenschliche adjektivische Zuschreibung ist. Infernus, unterirdisch, liegt jener Ort, den Lebende nicht betreten und Gestorbene nur, wenn sie infernalisch handelten, also höllisch böse gewesen sind.
    "Abgesehen vom zeitweiligen Luftaufenthalt vieler Dämonen unterscheidet Suarez im Inferno. Erster Vorraum: Der 'Schoß Abrahams'. Bis hierhin kam Jesus beim Höllenabstieg. Der Raum ist jetzt leer, da Jesus alle Patriarchen des Alten Bundes daraus befreit hat. Zweite Randzone des Infernum: Das Purgatorium, das als zeitlich befristete Höllenstrafe vorgestellt wird. Drittens der Randstreifen für ungetaufte Kinder, limbus puerorum. Viertens gehenna, die eigentliche strengste Hölle. Der ganze Raum ist voll von Feuer; als Feuerpfuhl oder See voll glühenden Pechs schließt er die Verdammten ein. Seine Qual setzt nie aus, sodass es nicht der Dämonen bedarf, die Bösen zusätzlich zu quälen."
    Der Mensch unserer Tage hat Schwierigkeiten zu leben, ohne Grausamkeiten zu verüben; leider ließ sich das zu allen Zeiten sagen. Die Frage ist also nicht, was der Mensch braucht, um böse zu sein – in seiner immerwährenden Entgrenzungslust ist er es automatisch –, sondern wem er auf der einen Seite seine Bösartigkeit aufzuhalsen und mit welchen Mitteln er sie auf der anderen einzudämmen versucht. Für beide Funktionen – Schuldverschiebung und Einschüchterung – taugt ein und dasselbe Konstrukt: die Hölle mit ihrem Hausherren, dem Teufel.
    Viele Namen für den Teufel
    "Die gläubige Fantasie dichtete dem Satan und seinen Gehilfen gern Namen an. Sie war im Erfinden von Namen so produktiv wie heute die pharmazeutische Industrie. Sie nannten den Teufel Beelzebul, dann auch wohl mit bewusster Entstellung und Ironie Beelzebub, auch Belial/Beliar. Er hieß 'der Drache' oder der 'böse Feind'. Dem Satan und seinen Haupthelfern gaben Christen seltsam klingende Namen, zum Beispiel Zabulus. Es kommen Namen vor wie Ancitif und Arfaxat, Calconix und Dagon, Mastema und Azazel, Hiaclito, Philpot und Putiphar, Gonsang und Grongade, Maho und Modu, Hillio und Smolkin. Namen, die an einen fast dadaistischen Wortsalat erinnern."
    Kurt Flasch, Jahrgang 1930, ist ein gelehrter Mann, ja einer der großen, weisen Historiker unserer Zeit; weise im Sinne einer Belesenheit, die in nachfolgenden Generationen vermutlich ihresgleichen sucht. Im Interview bezeichnet sich der Mediävist als "Kulturkatholik, der nichts glaubt". Gleichwohl hat er sich zeitlebens mit dem Christentum beschäftigt. Das lag in der Natur des Forschungsgegenstands, denn die historische Zeitspanne seiner Interessen lässt sich ohne die gewaltige ideologische und praktische Macht der christlichen Religion nicht begreifen. Dennoch würde man – auch wenn der Historiker kein Theologe ist – mehr als nur eine höfliche Neigung zum Glauben voraussetzen. Wie sonst hielte der Forscher all das religiöse Denken jener 500 Jahre aus, denen er sein ganzes Arbeitsleben widmete? Doch 2013 legte Flasch als Summa Vitae eine Bekenntnisschrift vor, die sich zum Sachbuch-Bestseller mauserte: "Warum ich kein Christ bin".
    "Wer Europa kennen will, muss Gott und den Teufel erkunden."
    Heißt nun der erste Satz von Kurt Flaschs vermutlich letztem Buch, "Der Teufel und seine Engel". Und es erscheint wie der komplementäre zweite Teil der Summa Vitae. Nachdem Flasch den christlichen Glauben gründlich dekonstruiert hat, muss er nun auch den Anti-Christ zerlegen. Er muss es, denn die heute vom Christentum behauptete positive Wirkkraft, die Nächstenliebe, war lange Zeit das eher schwächere Glaubenselement. Stärker regieren Angst und Schrecken, Einschüchterung und Unterdrückung.
    Gott braucht den Teufel als gefallene Engel
    "Die Frage, warum Teufel, Dämonen, Besessenheit und Hexen sich in Europa so lange haben halten können, braucht eine vielgliedrige Antwort; es gab dafür keinen einfachen Grund. Aber die wohl wichtigste Vorbedingung war die buchstäbliche Auslegung des Neuen Testaments. In ihm gehören Gott und Teufel zusammen wie Licht und Finsternis."
    Zunächst braucht Gott den Teufel als gefallenen Engel für die schmutzigen Arbeiten, weil damit vordergründig das Problem der Theodizee gelöst wird: Trotz Gottes Allmacht gibt es Schlechtes in der Welt, Naturkatastrophen und menschliche Infamie. Das untergräbt das göttliche Konzept. Ein kleiner Taschenspielertrick mit Satan als Gegenmacht beeindruckt wenigstens die schwächeren Denker unter den Gläubigen. Stärkere Denker allerdings ...
    "... sagen auch, der Teufel müsse für jede Untat die Erlaubnis Gottes einholen. Bekommt er sie, wird Gott der Hauptverantwortliche. Er taugt nicht zur Entlastung des Schöpfers."
    Wohl aber zum nützlichen Schergen der Menschen, vor allem jener Menschen, die geistliche und weltliche Herrschaft ausüben. Ihnen kam der Teufel gelegen. Und weite Teile des Buches beschäftigen sich mit dieser brachialen, brutalen und vor allem realen Machtgeschichte des Teufelsglaubens. Wir neigen gern der Ansicht zu, mit uns modernen Menschen habe das alles nichts mehr zu tun, ereignete sich doch beispielsweise die vom Teufel abgeleitete Hexenverfolgung lange vor der Aufklärung. Aber:
    "Die wildeste Hexenjagd fand nicht im Mittelalter statt. Es sieht danach aus, als müssten wir unsere Epochenbilder korrigieren oder ganz suspendieren."
    Dokumentation einer weltfremden Theologie
    Ein wichtiger Teil von Kurt Flaschs instruktiver Monografie dokumentiert, wie sich weltfremde und verschwiemelte Theologie, die einen modernen Menschen nur noch den Kopf schütteln lässt, mit durchaus rationaler juristischer Argumentenlogik verbindet. Und das bis an die Türschwelle der Aufklärung heran. Während im 16. Jahrhundert der frühmoderne Staatstheoretiker Jean Bodin die Grundlagen einer politischen Philosophie legte, die bis heute in unserem Staatsverständnis nachwirkt, verfocht er zugleich bar aller intellektuellen Skrupel die Notwendigkeit der Hexenverfolgung und bot dabei seinen ganzen Verstand auf. Dass Kurt Flasch warnt:
    "Das Hexenthema birgt heute die Gefahr, sich im Gefühl ethischer Überlegenheit mit ostentativer Empörung zu brüsten; es ermöglicht den wohlfeilen Gestus, sich nachträglich auf die Seite der Guten, gar der Opfer zu stellen."
    Bringt ihn allerdings in bedenkliche Nähe zu einer Verständnisbereitschaft, die wissenschaftlich nachvollziehbar, moralisch jedoch angreifbar ist:
    "Um Bodins Position gerecht zu beurteilen, muss man hinzufügen: Er war überzeugt, dass Gott die Tötung der Hexen unzweideutig gebiete. Es sei Gottes Wille, dass der Gottesfürchtige keine einzige von ihnen am Leben lasse."
    Würde man diese Denkfigur auf aktuelle Ereignisse anwenden, müsste man ebenso gnädig sagen, dass die religiös wahngeleiteten Kreaturen vom Islamischen Staat nachvollziehbare Motive haben, wenn sie einen Völkermord an den kurdischen Jesiden begehen. In ihren Augen sind Jesiden Teufelsanbeter, müssen also vernichtet werden. Flasch würde vermutlich entgegnen, sein Augenmerk gelte nur dem Christentum, doch ist das Teufelskonzept seinen eigenen Worten zufolge eine "altorientalische Erblast". Und sie wirkt in den Regionen des Orients noch heftiger fort als bei uns.
    Indem diese Erblast heute einen Blutzoll wie seit Jahrhunderten nicht mehr fordert, ist es schlicht zu kurz gegriffen, sich bei der Biografie des Teufels auf eine Historie zu beschränken, die im 19. Jahrhundert im christlichen Westeuropa weitgehend endete. Diese vollkommene Bezuglosigkeit zur Gegenwart stellt das größte Manko des überaus gelehrten Buches dar.
    "Satan hat Geschichte. Was Geschichte hat, hört irgendwann auf."
    Lautet einer der resümierenden Sätze, aber es scheint, als sei diese Geschichte noch lange nicht zu Ende. Und das macht auch das zweite Manko des Buches bei der Lektüre manchmal ein bisschen unangenehm: Kurt Flasch serviert die kulturhistorische, gleichwohl hoch aktuelle Teufelsfrage im Kern als eine private Glaubensangelegenheit. Zumindest ist das seine rhetorische Figur:
    "Wenn ich also schreibe, dass es den Teufel nach meiner Ansicht nicht gibt, dann heißt dies: Ich kenne kein Verfahren, Zweifel an seiner Existenz zu widerlegen."
    Dem Teufel zu viel der Ehre
    Natürlich gibt es den Teufel nicht. Er ist eine Argumentationsfigur von Menschen, die damit brutales Unrecht begründen wollen – damals bei den Hexenprozessen wie heute beim Islamischen Staat. Das ganze Buch von Flasch begründet und belegt ja Satans Konstruktion von Menschenhand. Und es ist eine primanerhafte Marotte, auf den Teufel dieselbe, ja auch seit Menschengedenken fehlschlagende Rhetorik des intellektuellen Gottesbeweises anzuwenden. Damit tut der Autor dem Teufel zu viel der Ehre.
    Und über diese Stellen muss man hinweglesen, will man den Kern der Arbeit goutieren, wie sich nämlich das Verhältnis zwischen Imagination und Realität über Jahrhunderte hinweg zulasten der Realität veränderte – und wie lange es dauerte, diese Imagination wieder abzustreifen. In den Hexenprozessen gingen zivilisatorische Errungenschaften aus der Antike verloren, indem man die Grundhypothese – dass Teufelserlebnisse Privatangelegenheiten seien – durch eine staatliche Offizialwahrnehmung ersetzte:
    "Im vor 1200 allein üblichen Akkusationsprozess klagte ein Privatmann den Verdächtigen an. Ihm, nicht dem Richter, oblag die Beweisführung. Der Richter im Inquisitionsprozess besaß höhere Autorität, zumal Papst Innozenz IV. 1252 die Folter erlaubte. Der Prozess wurde behördliche Maßnahme; er erschien als Rationalisierung und Fortschritt des Rechtswesens; Denunzianten blieben anonym; die Rechte des Angeklagten wurden zunehmend eingeschränkt. Die Zahl der Ketzerprozesse nahm zu, zumal als die Hexe als Häretikerin galt. Die zweite prozesstechnische Veränderung des 15. und 16. Jahrhunderts war die Abschaffung der Talion. Darunter verstand man die Rechtsvorschrift, nach der ein Ankläger im Akkusationsverfahren, der seine Anklage nicht beweisen konnte, dieselbe Strafe erhielt, die der von ihm Beschuldigte erhalten hätte. Diese Regel des römischen Rechts hatte zuvor die Zahl der Anklagen wegen Hexerei gering gehalten."
    Durchaus auch heute noch Bedeutung
    Auch hier ließe sich mühelos die strukturelle Ähnlichkeit belegen, mit der die Religionsfanatiker des IS aus privaten Wahnvorstellungen todesstrafenbewehrte Offizialdelikte machen. Es ist der geradezu klassische Beleg für die Enthumanisierung und Entzivilisierung von Religion, indem absolute Setzungen wie die Existenz eines Teufels zulasten bürgerlich verhandelbarer Rechtsregeln gehen.
    Man muss Kurt Flaschs Buch auf diese strukturellen Ähnlichkeiten hin lesen, dann ist es über seinen monografischen Charakter hinaus wertvoll. Die langen Passagen theologischer Dispute und biblischer Interpretationen von der Antike bis zum Mittelalter dürften hingegen eher die Fachleute interessieren, auch wenn Flasch hier neue Erkenntnisse reklamiert, dass sich zum Beispiel – entgegen überkommener Meinungen – das Bild des Teufels ständig wandelte, nicht zuletzt in der Frage seiner Gestalt:
    "Die Teufelslehre ist in wesentlichen Hinsichten verändert worden. Das zeigen viele Einzelheiten, zunächst der Prozess der Entmaterialisierung zwischen dem 5. und 13. Jahrhundert. Der Teufel wurde Intellekt. Der Unreine wurde reiner Geist."
    Um den sich allerlei obskure Vermutungen rankten:
    "Bonaventura gebrauchte noch für die Geistigkeit von Dämonen folgendes merkwürdige Argument: Wenn ein Dämon von sich sage, er heiße Legion, und wenn eine Legion 6.666 Soldaten umfasse, dann müsse der Dämon, der in einen Menschenleib passe, ausdehnungslos, also rein geistig sein."
    Hier sind wir beim heute belächelten Klischee-Teufel angekommen, jener abergläubischen Dämonenprojektion, die bei aller Vielgestaltigkeit doch immer wieder auf ein zentrales Motiv verweist, nämlich das der Sexualität. Die Heerscharen der Unterwelt sind vorrangig im Bereich menschlicher Triebabfuhr tätig. In einem Weltbild, das Sexualität nur im Rahmen der Zeugung akzeptiert, führt schon der unwillkürliche nächtliche Samenerguss des Mannes zu Verstörungen. Daran können nur Dämonen Schuld sein:
    "Sie sammeln menschlichen Samen, männlichen wie weiblichen. Die medizinischen Kenntnisse des Caesarius darüber stammen wohl von Galen. Sie holen vollständig allen Samen von allen Sündern, die 'widernatürlichen', also homosexuellen Geschlechtsverkehr haben. Sie formen aus männlichem Samen männliche Körper und aus weiblichem weibliche, die sie brauchen, um von Menschen gesehen und berührt zu werden. Dann können sie als incubus und succubus agieren."
    Selbst uns, die wir dem Teufel längst fernstehen, sind diese lateinischen Begriffe geläufig, incubus und succubus, haben sie doch via Goethes "Faust" die Zeitläufte überstanden. Der Kirchenlehrer Augustinus ...
    "... unterscheidet die Dämonen nach ihrer sexuellen Position in incubi und succubi. Ein Dämon in der Position des succubus empfängt den Samen eines außerordentlich großen Mannes und überträgt als incubus diesen Samen auf eine Frau. Was daraus geboren wird, ist nicht das Kind des Dämons, sondern des Mannes. Damit schufen Augustin und Thomas gemeinsam eine der theoretischen Voraussetzungen der Hexenjagd des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit."
    Rückbezug auf Augustinus
    Denn auf Augustinus und Thomas von Aquin beruft sich auch eines der schlimmsten Machwerke des Christentums, der "Hexenhammer" der beiden Dominikanermönche Heinrich Kramer und Jakob Sprenger.
    "Wer es heute zum ersten Mal liest, erschrickt über seine Unbarmherzigkeit. Er wundert sich über die Konsequenz und Ausnahmslosigkeit. Es ist ein Vernichtungsprogramm mit wissenschaftlicher Begründung, päpstlichem Segen und staatlicher Abstützung."
    Darin hat der konzentrierte Hass – wie häufig in der Geschichte – zentral mit Sexualität zu tun. Sexualität zieht Hass auf sich, wo sie von einen genossen wird, während andere nicht in ihren Genuss kommen, Mönche etwa. Man ist geneigt, ihnen Sexualneid zu attestieren, auch, wenn sich Kurt Flasch etwas vorsichtiger ausdrückt:
    "Das besondere Wirkungsgebiet von Hexen und Dämonen ist die Sexualität. Kramer spricht das oft und nachdrücklich aus, seine sexistische Obsession ist offensichtlich."
    Letztlich hat sich die Sexualität dann erst im 20. Jahrhundert so entsündigt, dass sie nicht mehr in Dunkel- und Verborgenheit, den Gefilden des Teufels, sondern im Lichte und vor Kameras stattfindet. Knapp 200 Jahre zuvor kündigte sich allerdings des Teufels Ende als Glaubensinhalt weniger aus der fachgelehrten Theologie, als aus der Kunst an.
    "Bevor die Existenz des Teufels bestritten werden konnte, wurde er zur komischen Figur."
    Mit der wohl wirksamsten Theaterrolle der Weltliteratur machte Goethe dem alten Satan den Garaus. Statt des Teufels haben wir heute den Mephisto, der nicht stumpf und brutal agiert, sondern mit Esprit die Schattenseiten der Menschheit managt – und nicht vielen Managern dabei das bessere Vorbild abgibt als der zergrübelte Faust. Vor Mephisto fürchtet man sich nicht, Mephisto bewundert man von Schülergeneration zu Schülergeneration immer wieder aufs Neue. Und alle späteren Schreiber traten kaum mehr mit der Theologie, sondern hauptsächlich mit der Literaturgeschichte in Konkurrenz.
    "Goethes Mephisto war ein kulturelles, ein literarisches Ereignis. Von jetzt an waren alle Autoren eingeladen, ihre eigenen Teufel zu erfinden. Sie konnten sich ungeniert selbst verteufeln und durften als Autoren fast alles etwas tiefer wissen. Der eigentliche Teufel, der einzig präsente, ist fortan der Satan der Kunstwelt."
    In der weltlichen Sphäre, ja! Für gläubige Christen, zu denen sich Kurt Flasch bekanntlich nicht mehr zählt, stellt sich der Vorgang ein bisschen komplizierter dar. Denn der Teufel ist fest ins Glaubensfundament der christlichen Kirchen eingegossen. Man kann versuchen, ihn zur Metapher zu verzwergen, als bloß illustrativen Gehalt aus den Texten verdunsten zu lassen, aber spurlos – spurlos verschwindet er nicht. Oder er verschwindet nur, wenn man auch auf sein Gegenstück verzichtet:
    "Vermutlich muss Gott fahren lassen, wer Satan wirklich loswerden will – Gott in der Kirchen-Fassung, biblisch und jenseitig. Nimmt man beide als Bild, ergibt das sogar Sinn, nämlich den für alle Ewigkeit festgeschriebenen Moralismus von Gut und Böse, von Himmel und Hölle."
    Dann aber ist beides Menschenwerk und menschliche Aufgabe zugleich: dem Bösen zu wehren und das Gute zu schaffen. Offensichtlich aber tröstet die Vorstellung eines spirituell existierenden Prinzip des Guten; der Mensch braucht eine zielführende Projektion. Zum Glück ist er mit genügend Scharfsinn ausgestattet, um die Dichotomie von Gut und Böse dennoch ohne Teufel erklären zu können. So schrieb, höchst spitzfindig, die Philosophin Simone Weil:
    "Wenn die Welt keinerlei Böses enthielte, wäre sie vollkommen; wenn sie vollkommen wäre, wäre sie Gott, und es gäbe keine Welt." (zitiert nach André Comte-Sponville "Woran glaubt ein Atheist)
    Und damit hätten wir den Teufel aus dem Fundament herausgelöst, ohne das Fundament zu beschädigen.
    Buchinfos:
    Kurt Flasch: "Der Teufel und seine Engel", C.H. Beck, 462 Seiten, Preis: 26,95 Euro