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Monologe über das individuelle Erleben

In die Tradition der großen Papstpalastliteratur stellt Stanislas Nordey mit "Par les Villages" ein Stück von Peter Handke. Es feierte Eröffnungspremiere beim Festival d'Avignon.

Von Eberhard Spreng |
    "Die Kultur ist zu wichtig, als dass man sie den Bankern überlassen könnte." Vor dem Beginn der Eröffnungsinszenierung stehen auch in diesem Jahr wieder kurze Ansprachen, mit Diskursen über Geld und Kultur und die Zerbrechlichkeit von allem Künstlerischen in neoliberalen Gesellschaften. Man vermutet Vertreter der herrschenden Klasse unter den 2000 Zuschauern und nutzt die Gelegenheit für diese schon rituellen Appelle an Publikum und Politiker.

    Wirklich beeindruckend aber ist die Rede ans Publikum erst eine Stunde später, wenn Stanislas Nordey als Bauarbeiter Hans bühnenoffen in den gewaltigen Freiraum spricht, als Vertreter der kleinen Leute, die Peter Handke 1982 mit seinem dramatischen Gedicht zu Protagonisten einer modernen Tragödie nobilitierte.

    "Nous, les exploités, les offensés, les humiliés, peut-être sommes-nous le sel de la terre. Mais aussi, on se lève souvent tôt dans la nuit, on aime pisser dans le béton frais."

    Hans, der proletarische Bruder des heimkehrenden Schriftstellers, spricht vom Salz der Erde, wenn von den Bauarbeitern die Rede ist, die im Tal in der Provinz von Baustelle zu Baustelle ziehen, ihren Ärger über die Mächtigen in der Gaststätte herunterspülen müssen und von denen doch jeder einzelne eine Welt in sich trägt, die so weit und reich ist, wie die des vielgereisten Schriftstellers Gregor. Dieser, ein Alter Ego des Autors Handke, kehrt in seine Heimat zurück und ist in ihr fremder, als er in der Ferne je sein könnte. Handkes proletarischer Hymnus schien Stanislas Nordey, der hier Schauspieler und Regisseur in einer Person ist, als das geeignete Stück, um es in die Tradition der großen Papstpalastliteraturen zu stellen.

    "Im Theater spricht man selten zu 2000 Menschen. Man übernimmt dabei eine besondere Verantwortung. Ich habe mich gefragt, was denn lohnt, vor 2000 Menschen gesagt zu werden? Ich jedenfalls wollte nicht, dass da Könige, Prinzen, Ritter, Päpste oder sonstige Mächtige auftreten. Auch ein Stück über das Großbürgertum wollte ich nicht inszenieren. Obwohl sich das Welttheater immer wieder für diese Gesellschaftsschicht interessiert hat. Ich wollte, dass im Ehrenhof Dinge gesagt werden, die man da sonst nicht zu hören bekommt."

    Wider alle Erwartungen gelingt Nordey trotz der knapp vierstündigen Aufführung ein kleines Wunder. Das sperrige Stück, das Uraufführungskritiker 1982 ein "gemütliches Wirtshaus zum Tiefsinn" nannten und dem Autor "aufgeblähte Sätze eines geschwätzigen Predigers" vorhielten, klingt hier viel weniger pathetisch abgedreht und kunstversessen überhöht. Das Französische sperrt sich gegen mutwillige Neologismen und das hat die Handkesche Sprache verschlankt und ihr allenfalls die rhetorische Dimension gelassen. Die aber passt sowohl in die französische Theatertradition, als auch in den Ehrenhof des Papstpalastes und in das Ohr eines geduldig lauschenden Publikums. Es nimmt sprachliche Höhenflüge an dieser Stelle auch dann hin, wenn sie wie bei Handke immer wieder in überraschenden Bruchlandungen enden, im Banalen einer kindischen Naturversessenheit etwa, oder der permanenten Anrufung alles Rätselhaften und Wunderbaren.

    In Handkes Stück über Klassenfamilien und Wahrnehmungskonflikte von drei Geschwistern kommt keiner mit dem anderen ins Gespräch. Monologe künden von einem individuellen Erleben, von Systemen der Weltwahrnehmung, die jäh unvereinbar aufeinanderstoßen. Neben Nordeys kraftvollem Hans überzeugt insbesondere Emmanuelle Béart in der Rolle der Schwester Sophie. Nur der lange abschließende Monolog von Nova, der Frau aus dem Nachbardorf, geht in der Darstellung durch Jeanne Balibar völlig verloren. Wortbündel von jeweils höchsten fünf Silben bellt sie heraus und macht den Sprachfluss zunichte und damit jedes Verstehen, womit auch die Erlösung hinfällig wird, die in dem von Nova vertretenen neuen Weltbild eigentlich aufleuchten soll. Hier können die Menschen also nicht, jeder göttergleich, zu einem Volk von Schöpfern werden. Es bleibt also beim letztem Ausspruch des proletarischen Poeten Hans: "Wie verlassen die Menschheit ist."