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Monsterjagd im öffentlichen Raum
Die ethischen Grenzen des "Pokémon Go"- Fiebers

Sie sind überall: Gruppen bis zu 50 Leuten, die auf ihr Handy starren und damit in den Straßen virtuelle Monster jagen. Das "Pokémon Go"-Fieber grassiert zurzeit vor allem bei jungen Erwachsenen. Das Problem dabei: Die Monsterjagd macht weder vor Friedhöfen noch vor Holocaust-Gedenkstätten halt und gefährdet zunehmend den öffentlichen Verkehr.

Von Ludger Fittkau |
    Ein Spieler mit der App "Pokémon Go" auf seinem Smartphone.
    Seit knapp einer Woche ist das Smartphone-Spiel "Pokémon Go" in Deutschland verfügbar. (Imago Stock&People)
    Dass Pokémon-Fieber greift auch hier in Frankfurt um sich. Nahezu im gesamten Stadtgebiet können wir die Spieler sichten, wir können sie sehen. Und das birgt natürlich auch einige Risiken und Gefahren.
    Sagt Virginie Wegner, Pressesprecherin der Frankfurter Polizei.
    Mosterjäger irren im Straßenverkehr umher
    Erst knapp eine Woche ist das Smartphone-Spiel "Pokémon Go" in Deutschland verfügbar und bei Jugendlichen schon der Renner. Dabei sieht der Spieler auf seinem Handybildschirm über die Kamera seine reale Umgebung, in die kleine Monster hineinprojiziert werden, die er fangen muss. Eine Art digitale Schnitzeljagd also, die dann riskant wird, wenn die Monsterjäger im Straßenverkehr umherirren und nur noch auf ihr Handy starren:
    "Wir hatten in der vergangenen Nacht ein Beispiel, was auch zeigt, dass das Ganze schon recht gefährlich werden kann. Es waren vier Fahrzeuginsassen den Polizeibeamten aufgefallen und alle vier waren dabei und haben Pokémon gespielt, während der Fahrer dann durch seine unsichere Fahrweise aufgefallen ist. Und die Polizeibeamten haben sich letztendlich entschlossen, den Fahrer auch mal zu kontrollieren. Und der sagte, diese Fahrt hat nur stattgefunden, um eben das Spiel zu spielen."
    Verkehrsgefährdung ist das eine – ethische Grenzen sind das andere: Denn die Monster findet der Spieler mittels GPS an so genannten "PokeStops", und das sind meist öffentliche Orte, auch solche, an denen die Monsterjagd aus ethischen Gründen problematisch ist.
    Pokémons in Auschwitz und am Holocaust-Mahnmal
    Auf dem Gelände des NS-Vernichtungslagers Auschwitz wurden bereits Pokémons gesichtet, ebenso am Holocaust-Mahnmal in Berlin. Und auch an den sogenannten Stolpersteinen, die in zahlreichen deutschen Städten in den Boden eingelassen sind und an deportierte Juden während des Dritten Reichs erinnern sollen. Für viele ist das geschmacklos.
    Der Frankfurter Mediziner Leo Latasch hingegen sieht das gelassen. Er ist Mitglied im Direktorium des Zentralrats der Juden in Deutschland und gehört dem Deutschen Ethikrat an. Er sagt:
    "So lange die Würde insgesamt gewahrt bleibt und das betrifft nicht nur die jüdische Religion. Man sollte tatsächlich von Seiten derjenigen, die diese App programmieren, einfach gewisse Sachen von vorneherein rausnehmen, dazu gehören Friedhöfe, dazu gehören Denkmäler. Ob das nun christliche, muslimische oder jüdische sind, das spielt keine Rolle. Weil den Jugendlichen, zumindest den Jugendlichen doch so ein gewisses Gefühl dafür abgeht, muss man sagen oder nicht vorhanden ist, dass das so eine besondere Würde ist, über einen Friedhof zu laufen über ein Ehrenfeld zu laufen oder ähnliches."
    Monsterjagd also im Holocaust-Mahnmal in Berlin oder auf den Friedhöfen in Frankfurt am Main– die will Leo Latasch stoppen:
    "Ich denke mir, von dem Moment an, in dem man das Ganze rausnimmt beziehungsweise sperrt, dass die Pokémons, nach denen man jagt, sich eben nicht auf einem Friedhof befinden oder nicht in einer Kirche, einer Synagoge oder einer Moschee befinden, dürfte dieses Problem beseitigt werden. Auf der anderen Seite habe ich tatsächlich gerade in den letzten Tagen Stimmen von Eltern gehört, die da sagen: Du, meine Kinder kommen zurück und sagen: Stell Dir mal vor, was ich alles gesehen habe. Also die da schon seit Jahren leben in irgendeinem Viertel oder in irgendeiner Ecke und plötzlich an irgendwelchen Denkmälern stehen oder in dem Fall Stolpersteine und tatsächlich auch auf die Stolpersteine draufgucken. Was sie davon verinnerlichen und verewigen, das weiß im Grunde genommen niemand."
    Kann das Pokémon-Spiel zur historischen Bildung beitragen?
    Hartmut Schmidt ist Koordinator der Stolperstein-Initiative in Frankfurt am Main. Er sieht ebenfalls die Chance, dass das "Pokémon Go"-Spiel zur historischen Bildung beitragen könnte:
    "Wenn Jugendliche auf diese Weise zu Stolpersteinen geführt werden, dann ist das ja nur gut. Und inzwischen weiß ich auch, dass man ja auch Fotos macht an der Stelle, an der der Stolperstein zu sehen ist. Von daher ist das eine weitere Verbreitung der Stolpersteine."
    Die Münchener Agentur Marchsreiter Communications, die den Pokémon Go-Hersteller hierzulande vertritt, will keine Stellungnahme vor dem Mikrophon abgeben. Es bestehe aber technisch durchaus die Möglichkeit, bestimmte Orte für das Spiel zu sperren, wenn das gewünscht wird, versichert die Marchsreiter-Mitarbeiterin Janine Wintermayr am Telefon.
    Dass dies technisch kein Problem ist, bestätigt Martin Buchner. Der 29-Jährige ist selbst Pokémon-Go-Spieler und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung in Darmstadt:
    "Genau kann ich es natürlich nicht sagen, weil wir nicht das Spiel entwickelt haben. Aber der Hersteller des Spiels hat wahrscheinlich eine riesige Datenbank mit allen möglichen interessanten Punkten auf dieser Erde. Und da kann man natürlich neue Punkte hinzufügen und auch Punkte herauslöschen, wenn man möchte."
    Betreten von privatem Besitztum könnte zu Hausfriedensbruch führen
    Klar sollte jedoch jetzt schon jedem Pokeman-Go-Spieler sein: Der Hersteller des Spiels kann über das Smartphone und die Spiel- App ein genaues Bewegungsprofil der Spieler erstellen. Außerdem sollten sich die Monsterjäger im öffentlichen Raum darüber bewusst sein, dass sie sich strafbar machen, wenn sie bestimmte Regeln verletzen, betont Virginie Wegner, von der Frankfurter Polizei.
    "Denn einfach Besitztum zu betreten, könnte zum Hausfriedensbruch führen und damit kann man sich auch eine Strafanzeige einfangen. Und deswegen auch unser Appell: Wir möchten natürlich das Spielen nicht unterbinden, beziehungsweise kann das ja jeder tun. Aber: Bleiben sie wachsam, gucken sie, was in ihrer Umgebung passiert und gefährden sie auf alle Fälle nicht sich selbst und auch nicht andere."