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Montenegro
Die EU als treibende Kraft für Reformen

Über 70 Prozent der befragten Montenegriner sehen die Zukunft ihres Landes in der EU. Sie tragen die EU-Sanktionen gegen Russland mit, ganz anders als der Nachbarstaat Serbien, der ebenfalls in die EU strebt. Ein vorbildlicher Kandidat also? Mitnichten, klagen Regierungskritiker und bezeichnen die politischen Reformen als reine Kosmetik.

Von Johanna Herzing |
    Flagge Montenegro
    Die Flagge Montenegros, das unbedingt in die EU möchte. Manche sprechen von einer „Stabilokratie“. (imago/ITAR-TASS)
    Ich für Europa, Europa für mich! - mit diesem Slogan wirbt Montenegros Regierung für den EU-Beitritt, obwohl der Glaube an die Verheißungen der Mitgliedschaft bei den Bürgern wohl gar nicht mehr sonderlich befeuert werden muss. Die Regierung weiß, was die Mehrheit der Montenegriner wünscht, und sie gibt sich entsprechend ehrgeizig bei den Verhandlungen - vor allem im Bereich Justiz und Grundrechte, einem der schwierigsten Verhandlungskapitel mit der EU. Justizminister Zoran Pazin:
    "In kürzester Zeit haben wir eine Reihe von Gesetzen verabschiedet, wie etwa das Gesetz über die Gerichtshöfe, über den Justiz- und Richterrat, das Gesetz zum Verfassungsgericht; das Gesetz zum Amt des Staatsanwalts und des Sonder-Staatsanwalts. Darüber hinaus haben wir das Gesetz zur Ausbildung der Richter und Staatsanwälte verabschiedet."
    Anti-Korruptionsbehörde soll Forderungen aus Brüssel zu erfüllen
    Tatsächlich ist die Liste der Reformen lang. Unlängst wurde eine Anti-Korruptionsbehörde eingerichtet, ein Sonder-Staatsanwalt nahm im Januar seine Arbeit auf. Die Festnahme des Ex-Präsidenten und Vize-Parteichefs der regierenden DPS, Svetozar Marović – ist aus Sicht der Regierung ein Beweis für die Effizienz der neuen Ermittlungsstellen und die eigene Reformbereitschaft.
    Window-Dressing – Augenwischerei, meinen hingegen Nicht-Regierungsorganisationen. Dejan Milovac von der NGO MANS:
    "Die Anti-Korruptionsbehörde ist ein Witz. Sie wurde geschaffen, um die Forderungen aus Brüssel zu erfüllen. Aber an die Spitze der Behörde haben sie einen Mann mit sehr engen Beziehungen zur Regierungspartei berufen. Er kann gegen niemanden wirklich vorgehen. Das passiert alles nur mit Blick auf Brüssel und Washington. Der Sonder-Staatsanwalt hat zwar einige Untersuchungen angestoßen und so Hoffnungen geweckt, aber die Ermittlungen gegen den Premierminister, dessen Bruder und Schwester sowie weitere Verwandte und Verbündete stecken immer noch fest."
    Wie bei jeder anderen korrupten Regierung heißt es: Wozu die Eile?
    Seit dem Jahr 2000 arbeitet die Organisation MANS daran, Korruption und organisierte Kriminalität in Montenegro aufzudecken. Die NGO wirft einer ganzen Reihe von Politikern und Staatsbediensteten Wahlbetrug und die Veruntreuung öffentlicher Mittel vor. Dazu kommen krumme Geschäfte bei Privatisierungen und Investitionsprojekten sowie Verbindungen von Staat und Politik zur Mafia.
    Vanja Calovic, Leiterin von MANS, glaubt nicht, dass es der Regierung wirklich ernst ist mit der Korruptionsbekämpfung:
    "Sie liefern einige Reformen, aber wie bei jeder anderen korrupten Regierung heißt es: Wozu die Eile? Sie tun also gerade mal so viel wie unbedingt nötig und zählen darauf, dass die EU-Integration letztlich eine politische Frage ist. Montenegro leidet darunter, dass es Teil des Balkans ist. Verglichen mit Bosnien, Kosovo und Serbien läuft hier vieles immer noch besser. Lange war deswegen Stabilität viel wichtiger als Demokratie."
    Nicht nur MANS, sondern auch andere Nichtregierungsorganisationen in Montenegro sprechen deshalb auch abfällig von einer "Stabilokratie". Premierminister Djukanovic, dessen Partei DPS seit mehr als 25 Jahren regiert, bezeichnen sie wahlweise als gewitzten Diktator oder als machtgierigen Polit-Junkie.
    Wie streng die EU den Reformkurs überwacht, spaltet die Geister
    Der Botschafter der EU in Montenegro Mitja Drobnic hingegen wählt seine Worte deutlich anders. Tatsächlich sei in Montenegro vor allem die EU der "spiritus agens", also die Triebkraft von Reformen, dennoch gebe es klare Fortschritte:
    "Viele Initiativen kommen noch von der EU-Seite, aber ich glaube, das soll man nicht als negativ ansehen. Man soll berücksichtigen, dass dieses Land noch immer in einer Post-Transitionsperiode ist und es sind noch Initiativen notwendig. Aber immer mehr Reformen werden erfolgen und deswegen ist der Trend positiv."
    Die Zustimmung zur EU sei im Land derart gefestigt, dass sich keine politische Partei trauen werde, vom Reformkurs abzuweichen. Wie streng allerdings die EU diesen Kurs überwacht, eben darüber gehen die Meinungen in Montenegro bei Regierung und NGOs deutlich auseinander.