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Montenegro
Gewalt gegen kritische Journalisten

Montenegro ist EU-Beitrittskandidat, doch kritische Journalisten leben in dem Balkanstaat gefährlich. Sie werden bedroht und eingeschüchtert. Immer wieder fliegen Steine und Bomben auf Verlagshäuser.

Von Stephan Ozsváth |
    Die konservative Zeitung "Dan" veröffentlichte Anfang Januar ein Foto ihrer Mitarbeiterin: Mit grün und blau geschlagenem Gesicht wurde die Journalistin Lidija Nikcevic selbst zur Nachricht. Von einem Unbekannten war sie mit einem Baseball-Schläger in Niksic, der zweitgrößten Stadt Montenegros verprügelt worden.
    "Der Angreifer war so angezogen, wie die Männer der privaten Security. Er trug eine schwarze Uniform, sein ganzes Gesicht war verhüllt, nur die Augen konnte ich sehen."
    Die Journalistin hat Glück im Unglück gehabt: Keine Knochen sind gebrochen, sie hat keine Gehirnerschütterung. Und sie richtet den Hintermännern aus:
    "Ich werde weiterhin schreiben und ich werde weiter arbeiten. Sie können mit Schlagstöcken schlagen, ich werde mit der Feder zurückschlagen. Meine Feder wird nie austrocknen. Das richte ich ihnen aus."
    Der Angriff ist kein Einzelfall: Nur wenige Tage zuvor war eine Bombe vor dem Büro des Chef-Redakteurs des linksliberalen Konkurrenz-Blattes "Vjesti" in der Hauptstadt Podgorica explodiert. Mihajlo Jovovic erinnert sich.
    "Es gab eine Explosion, die Scheiben gingen zu Bruch. Ich saß am PC. Zum Glück waren die Jalousien vor den Fenstern, sonst wären ich und der Kollege aus dem Nachbarbüro verletzt worden. Ich hatte zuerst keine Angst, weil ich gar nicht begriff, was passiert, erst später hatte ich sie. Vielleicht begriff ich erst am Morgen danach, was geschehen ist und was hätte geschehen können."
    Immer wieder Angriffe auf Medienhäuser
    Immer wieder hatte es in den vergangenen zwei Jahren Angriffe gegen "Vjesti" gegeben: Verlagsautos brannten, Steine flogen auf das Redaktionsgebäude, im Sommer detonierte ein Sprengsatz vor der Wohnung eines Investigativ-Journalisten. Auch verbal ist von Regierungsseite aufgerüstet worden: Vjesti-Chefredakteur Mihajlo Jovovic.
    "Das passiert schon seit Jahren, besonders in den letzten fünf bis sechs Monaten wird in verschiedenen Medien eine heftige Kampagne gegen uns geführt. Sie stehen unter direkter oder indirekter Kontrolle der Mächtigen."
    Auffällig ist: Die beiden auflagenstärksten Zeitungen, die Ziel der Angriffe wurden, berichten beharrlich über Korruption und Vetternwirtschaft - ein großes Problem in dem kleinen Adriastaat - und sie legen sich mit Regierungschef Milo Djukanovic an. So hatte "Vjesti" über Schmiergelder berichtet, die Djukanovics Schwester bei der Privatisierung der montenegrinischen Telekom eingestrichen haben soll. Der Regierungschef hatte die Zeitung des Vaterlandsverrats bezichtigt - und immer wieder von Medien-Mafia gesprochen. Anlässlich des Anschlages gab er den besorgten Landesvater.
    "Der Staat wird die Möglichkeit finden, um für die Sicherheit unserer Bürger zu sorgen, um Zwischenfälle zu verhindern, wie den Angriff auf Vijesti. Und natürlich, um die Täter zu finden. Wir sind entschlossen, alle zu verhindern, was Frieden und Stabilität gefährdet, die demokratischen Errungenschaften Montenegros, die Medienfreiheit, das Leben und das Eigentum der Menschen."
    Angreifer wurden nie ermittelt
    Doch bei Angriffen auf Journalisten wurden die Angreifer bislang nie ermittelt - auch der Mord am "Dan"-Chefredakteur vor zehn Jahren – er wurde nie aufgeklärt. Deswegen überzeugen die Worte der Offiziellen auch "Vjesti"-Chefredakteur Jovovic nicht.
    "Das machen die jedes Mal. Und nichts geschieht. Ich halte mich lieber an die Tatsachen."
    An die Täter werde ein Signal der „Straffreiheit“ gesendet, weil niemand bestraft werde, beklagt die OSZE-Medienbeauftragte Mijatovic. Die Sicherheit von Journalisten sei in Montenegro gefährdet. Die Organisation Reporter ohne Grenzen stufte das Balkanland in Sachen Pressefreiheit auf Platz 113 von 179 Ländern ein. Kritik kam auch von EU-Seite. Der EU-Delegationsleiter in Montenegro, Mitja Drobnic, forderte:
    "Wir erwarten, dass die zuständigen staatlichen Organe sofort eine Untersuchung einleiten und strafrechtlich die Täter dieser brutalen Angriffe verfolgen werden. Die EU-Beitrittskandidaten müssen die Entschlossenheit bei der Klärung von Angriffen auf Journalisten und Medien zeigen."
    Die Behörden in dem 600.000-Einwohner-Staat haben nun eine Sonderkommission versprochen. Sie soll die ungeklärten Angriffe auf Journalisten und ihre Redaktionen untersuchen.