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Montenegro und die Osterweiterung

Wenn bisher auf dem Balkan ein Staat zerbrach, hat Europa sich vorsorglich die Ohren zugehalten - in Erwartung drohenden Kanonendonners. Diesmal ist das nicht nötig. Am Tag nach der Volksabstimmung in Montenegro, die dem Kontinent seinen 46. Staat beschert hat, herrschte allgemein freudige Überraschung über die Akkuratesse beim Wahlakt und die demokratische Reife der Abstimmenden. Niemand redet von Krieg.

Von Norbert Mappes-Niediek |
    Tatsächlich hat sich in der Krisenregion Südosteuropa gewaltig etwas geändert. Möglich wurde das, weil die EU ihre Politik geändert hat. Denn an den Krisen und Konflikten der Vergangenheit trägt die EU eine erhebliche Mitschuld. Indem Europa in den Neunziger Jahren offen ließ, ob es sich nun für Erweiterung oder Vertiefung entscheiden würde, lud es die Kriegsherren auf dem Balkan ein, für diese oder jene Option zu den Waffen zu greifen. Der Kroate Tudjman bot sich als Kampfgenosse für die Erweiterung an, als Erneuerer des alten, katholischen Europa und als Frontmann gegen das Morgenland und den Bolschewismus. Der Serbe Milosevic präsentierte sich dagegen als nützliche Gestalt für ein Südosteuropa jenseits der Wohlstandsgrenze: Während Westeuropa sich in Ruhe vertiefte, würde Serbien dort unten als regionaler Hegemon im Vorgarten für Ordnung sorgen - ein Modell, wie die USA es in Lateinamerika praktizieren.

    Ein volles Dutzend Jahre hat die EU gebraucht, um die gefährliche Hängepartie zwischen gleichermaßen unsympathischen Optionen endlich zu beenden. Erst seit dem Gipfel von Thessaloniki 2003 ist klar, dass niemand mehr Blut vergießen muss, der in Europa dabei sein will. Vor drei Jahren wurde endlich beschlossen, die Balkanstaaten allesamt in die EU aufzunehmen - früher oder später. Die Fortschritte, die dieser schlichte Beschluss ausgelöst hat, sind in der ganzen Region enorm. Statt zu rivalisieren, helfen die Balkanstaaten sich nun gegenseitig auf dem Weg nach Westen. In Serbien, das vor nur sieben Jahren von den wichtigsten EU-Staaten noch bombardiert wurde, wollen heute mehr als zwei Drittel, dass ihr Land Mitglied des Staatenclubs wird. Und auch die Trennung von Serbien und Montenegro wurde durch die gemeinsame Europa-Perspektive beträchtlich entschärft. Wenn neue Grenzen so aussehen wie die zwischen Deutschland und Holland, ist ihr Verlauf vergleichsweise gleichgültig. Entsprechend entspannt verlaufen Trennungen.

    Nur leider steht die neue Entspannung schon wieder in Frage. Zwar geht mit der Osterweiterung vorerst alles nach Plan weiter. Aber Frankreichs Präsident Chirac hat schon vorgeschlagen, alle künftigen Erweiterungsschritte einer Volksabstimmung zu unterziehen. So wünschenswert mehr Demokratie in Europa wäre: Das ist wirklich eine katastrophale Idee. Wird sie Wirklichkeit, so hängt das historische Schicksal eines Landes wie Bosnien demnächst an der Frage, ob die Niederländer ihrer Regierung gerade einen Denkzettel verpassen wollen oder nicht. Wieder ginge es um Ausschluss oder Dazugehören - diesmal zwischen Völkern, die soeben erst Krieg gegeneinander geführt haben. Der Kanonendonner wäre im Handumdrehen zurück. Auch im Sinne des Friedens kann man nur hoffen, dass Europa seine Krise sehr schnell überwindet.