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Montepulciano
Gedenken zum 40. Jahrestag des Kriegsendes

Der deutsche Komponist Hans Werner Henze gründete in den 70er-Jahren im italienischen Örtchen Montepulciano das soziokulturelle Projekt mit dem Namen "Cantiere" - auf Deutsch "Baustelle". Mit der Uraufführung von "Salvàti!" wurde an die Flucht von kleinen Kindern im Zweiten Weltkrieg erinnert.

Von Elisabeth Richter |
    Fast wie ein Monument ließ sich die alte Adelsfamilie Bracci ihren imposanten Palazzo im frühen 16. Jahrhundert bauen, an den Hang der Bergstadt "Monte-pulciano". Von der "Terrazza" aus, aber auch von der untersten Ebene, dem Garten, eröffnet sich ein fantastisches Panorama in die leuchtende Toskana! Hier residierte in den Kriegsjahren Graf Lucangelo Bracci, ein Menschenfreund und Antifaschist, der für die arme Bevölkerung der Gegend kochen ließ. Im Sommer 1944 fanden im Palazzo Bracci knapp 30 Kinder und ihre Betreuer aus einem Kinderheim Zuflucht vor den nahenden Soldaten. Die dramatischen Ereignisse schilderte Iris Origo, die Leiterin und Besitzerin des privaten Kinderheims LA FOCE, in einem Buch.
    Iris Origos Buch war Grundlage der Veranstaltung "Salvàti!" (Gerettet!) beim Festival "Cantiere Internazionale d'Arte di Montepulciano". Das 40-jährige Festival-Jubiläum fällt mit dem 70. Jahrestag der Befreiung zusammen (wie das Ende des 2. Weltkrieges in Italien genannt wird). In einem kunstvollen Spagat ist es dem Team um den künstlerischen Leiter Roland Böer gelungen, beide Ereignisse miteinander zu verbinden und dabei auch der Ursprungsidee des Festival-Gründers Hans Werner Henze gerecht zu werden: Musikalische Laien aus der Region mit internationalen Künstlern zusammenzubringen. Roland Böer:
    "Wir haben als Gastgeber die Vertreter der beiden historischen Familien, Origo und Bracci, wir haben dann die Mitwirkung professioneller Künstler, das sind beispielsweise das Ensemble des Royals Northern College of Music Manchester, die den Henze spielen, wir haben auch Kinder aus dem Orchestra junior, also Teile der Musikschule werden vertreten sein, und wir haben eben einen international renommierten Solisten, Antonio Lysy am Cello. "
    Die Schauspielerin Silvia Luzzi, in Deutschland sicher manchen noch bekannt aus den Italienisch-Lektionen "Avanti, avanti!" im Fernsehen der 1970ger Jahre, hat die Dramaturgie des Abends entworfen. Sie montierte Ausschnitte aus dem Tagebuch von Iris Origo mit Aussagen von anderen überlebenden Zeitzeugen. Dabei spannte sie den Bogen von der Landung der Alliierten 1943 in Sizilien in dramatischer Zuspitzung der Ereignisse bis zum Sommer 1944 in Montepulciano, zur unvermeidlichen Flucht der zum Teil gerade mal drei- oder vierjährigen Kinder. Überhastet musste sich die etwa 40-köpfige Gruppe auf einen fast 20 Kilometer langen Tagesmarsch machen, bis sie - SALVATI! (Gerettet!) –-im Garten des Palazzo Bracci ankamen. Dort, wo jetzt diese Gedenkveranstaltung stattfand.
    "O Tannenbaum" im Sommer, Kinder sangen damals für deutsche Soldaten, die Tränen in den Augen hatten. Das Orchester des "Royal Northern Collego of Music - Manchester" unter der Leitung von Roland Böer empfahl sich mit einer stilkundigen Darbietung eines Haydn-Quartetts, das ausschnittweise die Erzählung begleitete, sowie mit einer beachtlichen Aufführung von Henzes komplexer Doppelfuge "In memoriam: Die Weiße Rose".
    "Musik und Musikunterricht sollten sich beschäftigen mit dem Wichtigsten, was es gibt, das ist die menschliche Seele."
    Hans Werner Henze, der Festival-Gründer hätte seine Freude an dieser Veranstaltung gehabt, denn sie zeigte - auf beachtlichem künstlerischen Niveau -, dass Kunst Geist und Seele öffnet, und damit letztlich die Grundlage für ein menschliches Miteinander bildet.