Orfeo klagt über den Verlust seiner geliebten Euridice. Sein Leiden ist lyrisch, er ist Sänger, jeder Ton ist purer Wohlklang, auch wenn er innerlich geradezu zerspringt. Diese Ebene seines Charakters zeigt ein Tänzer, der hinter Orfeo steht. Arme und Beine fliegen durch die Luft, die Körperteile scheinen in alle Richtungen davon fliegen zu wollen. Musik und Tanz gehen eine enge Verbindung ein in der Gelsenkirchener Aufführung von Claudio Monteverdis Oper.
Überzeugende Bilder
Als Orfeo in die Unterwelt aufbricht, um Euridice zurückzuholen, begegnet er zunächst Charon, dem Fährmann, der sich weigert, ihn über den Fluss zwischen den Welten zu bringen. Geisterhafte Wesen begleiten Charon, die Dance Company des Musiktheaters trägt Gummistiefel. Aus ihnen schwappt während des Tanzes Wasser heraus. Pfützen entstehen auf der leeren Bühne, die eine surreale Atmosphäre bekommt. Choreograph Giuseppe Spota schafft besonders im zweiten Teil des Abends, in der Unterwelt, überzeugende Bilder. Er hat eng mit der Regisseurin Rahel Thiel zusammengearbeitet, die beiden bildeten ein gleichberechtigtes Team. Fast 40 Darstellerinnen und Darsteller bewegen sich im Verlauf des Abends auf der Bühne. Rahel Thiel:
"Erstaunlicherweise ist dieses Stück sehr geeignet, um viele Leute unterzubringen, weil die Struktur des Stückes so ist, dass wir ganz kurze Abschnitte immer nur haben, in denen abwechselnd solistische Sachen stattfinden, dann Chöre, und eben auch Instrumentalsachen, die wie Tanz sind. Und deswegen ist es wunderbar geeignet, um viele Menschen auf die Bühne zu bekommen, auch wenn das in den Zeiten der Pandemie alles andere als einfach ist."
"Erstaunlicherweise ist dieses Stück sehr geeignet, um viele Leute unterzubringen, weil die Struktur des Stückes so ist, dass wir ganz kurze Abschnitte immer nur haben, in denen abwechselnd solistische Sachen stattfinden, dann Chöre, und eben auch Instrumentalsachen, die wie Tanz sind. Und deswegen ist es wunderbar geeignet, um viele Menschen auf die Bühne zu bekommen, auch wenn das in den Zeiten der Pandemie alles andere als einfach ist."
Klar und mit psychologischem Feinsinn dirigiert
Hier singt nicht der Opernchor, die Solistinnen und Solisten singen die Chorpartien, natürlich mit Abstand zueinander und in Richtung Publikum. Im Orchestergraben musste Dirigent Werner Ehrhardt dagegen nur wenige Kompromisse machen. Glücklicherweise fand er zwei Musiker, die sowohl den Zink, eine Art frühe Trompete, als auch Flöten spielen können. Theorbe, Orgelpositiv, Cembalo, Posaunen – alles ist dabei, was für einen vollen Monteverdi-Klang nötig ist. Nur die Streicher sind solistisch besetzt, aber das war wahrscheinlich zur Zeit der Uraufführung nicht anders. So entsteht ein historisch informierter Klang ohne hörbare Abstriche.
Werner Ehrhardt, Spezialist für historische Aufführungspraxis, ist ein Fan von Monteverdis Oper. Er hat als Geiger schon vor 27 Jahren in der legendären Aufführung dieses Stücks unter René Jacobs bei den Salzburger Festspielen mitgewirkt.
"Da kann ein Wagner mit einem Riesenorchester, Riesenchor, Riesenstimmen alles auffahren. Und trotzdem schafft es der Monteverdi in dieser ersten Oper alle Gefühle, diese menschlichen Gefühle in der ganzen Bandbreite darzubringen. Das ist wie die Essenz. Und alles andere danach, ja, man kann fast nur sagen, das ist dann noch Glitzerwerk drauf, aber eigentlich nicht substanziell mehr."
Von Glitzerwerk oder Opernklischees ist die Gelsenkirchener Aufführung so weit weg wie nur möglich. Werner Ehrhardt dirigiert klar und direkt, mit präzisen Abstufungen und psychologischem Feinsinn. Die Musik erzählt von den Abgründen des menschlichen Geistes, da wird deutlich, warum Monteverdi sein Stück "Favola in Musica" – Geschichte in Musik – nannte.
Werner Ehrhardt, Spezialist für historische Aufführungspraxis, ist ein Fan von Monteverdis Oper. Er hat als Geiger schon vor 27 Jahren in der legendären Aufführung dieses Stücks unter René Jacobs bei den Salzburger Festspielen mitgewirkt.
"Da kann ein Wagner mit einem Riesenorchester, Riesenchor, Riesenstimmen alles auffahren. Und trotzdem schafft es der Monteverdi in dieser ersten Oper alle Gefühle, diese menschlichen Gefühle in der ganzen Bandbreite darzubringen. Das ist wie die Essenz. Und alles andere danach, ja, man kann fast nur sagen, das ist dann noch Glitzerwerk drauf, aber eigentlich nicht substanziell mehr."
Von Glitzerwerk oder Opernklischees ist die Gelsenkirchener Aufführung so weit weg wie nur möglich. Werner Ehrhardt dirigiert klar und direkt, mit präzisen Abstufungen und psychologischem Feinsinn. Die Musik erzählt von den Abgründen des menschlichen Geistes, da wird deutlich, warum Monteverdi sein Stück "Favola in Musica" – Geschichte in Musik – nannte.
Goldene Puppen erinnern an "Star Wars"
Der junge Tenor Khanyiso Gwenzane gestaltet Orfeo mit klangschöner Melancholie. Eurdicie wird von Bele Kumberger gesungen und von mehreren Puppen verkörpert. Es sind goldene Gliederpuppen ohne Gesicht, die entfernt an den Roboter C3PO aus den Star Wars-Filmen erinnern. Puppenbauer Bodo Schulte hat sie in mehreren Größen gebaut, unter anderem eine winzige Euridice, die von einem Scheinwerfer verfolgt und beleuchtet wird. Obwohl sie so klein ist, entfaltet sie auf der Bühne eine riesige Wirkung. Am Ende, wenn Orfeo Euridice erst wiedergefunden und dann erneut verloren hat, nähern sich alle vier Puppen während seines Klagegesangs. Sie wollen ihn streicheln, ihn trösten, doch er nimmt sie nicht wahr, steckt fest in seinem Leid. Es ist die große Kunst dieses Abends, keine konkreten Bilder zu zeigen, aber immer wieder tief in die Stimmungen und Seelenlagen der Protagonisten einzutauchen. Ausstatterin Rebekka Dornhege Reyes:
"Es geht eher darum, auch in eine Art Gefühlswelt eintauchen zu können von Orfeo, also gar nicht mit der Bühne einen konkreten Ort zu definieren, sondern schon die Möglichkeit zu haben, in einer bestimmten Situation in einen konkreten Ort abzutauchen, aber immer wieder in die emotionale Ebene zu kommen, dass man bei Orfeo ist."
"Es geht eher darum, auch in eine Art Gefühlswelt eintauchen zu können von Orfeo, also gar nicht mit der Bühne einen konkreten Ort zu definieren, sondern schon die Möglichkeit zu haben, in einer bestimmten Situation in einen konkreten Ort abzutauchen, aber immer wieder in die emotionale Ebene zu kommen, dass man bei Orfeo ist."
Nähe und Abstand, Leben und Tod
Das Bühnenbild hat keine Kulissen. Vorhänge fallen an großen Stangen von der Decke herunter, gliedern kurzfristig den Raum, schweben wieder nach oben weg. Einmal wird eine ganze Barocktheaterbühne herab gesenkt mit gestaffelten Prospekten und vielen Gassen dazwischen. Eine Neudeutung des Stücks für die Gegenwart liefert die Aufführung nicht, auch keine direkten Verweise auf die Pandemiezeit. Obwohl das naheliegen würde, denn es geht um Nähe und Abstand, um die Überwindung der größtmöglichen Distanz, der zwischen Leben und Tod, um Orfeos Scheitern, weil er einer Verordnung nicht gehorcht. Nämlich der, dass er auf dem Weg aus der Unterwelt Euridice nicht anschauen darf. Doch solche Aktualisierungen würden das Stück verkleinern. Der behutsame und respektvolle Umgang des Gelsenkirchener Teams lässt der Geschichte den Rang eines Mythos, offen und interpretierbar.
Im ersten Teil hat die Gelsenkirchener Aufführung ein paar Längen und Beliebigkeiten, wobei sie musikalisch bereits hier ausgezeichnet ist. Nach der Pause entwickelt auch die Inszenierung große Stärken und zeigt, wie viel Potenzial im Zusammenwirken von Tanz, Gesang und Figurentheater steckt.
Im ersten Teil hat die Gelsenkirchener Aufführung ein paar Längen und Beliebigkeiten, wobei sie musikalisch bereits hier ausgezeichnet ist. Nach der Pause entwickelt auch die Inszenierung große Stärken und zeigt, wie viel Potenzial im Zusammenwirken von Tanz, Gesang und Figurentheater steckt.