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Montgomery: Deutsche Mediziner verdienen zu wenig

Ulrich Montgomery hat sich gegen den Vorwurf verwahrt, Ärzte seien raffgierig. Mehr Geld für Mediziner sei nicht das primäre Ziel der Bundesärztekammer. Allerdings müssten medizinische Leistungen "anständig" bezahlt werden.

Ulrich Montgomery im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels: Der Deutsche Ärztetag ist eine Art Parlament der deutschen Ärzteschaft. 250 Delegierte debattieren ab heute wieder in Kiel über berufspolitische und standesrechtliche Fragen, aber auch über ethische Streitpunkte. Wie stellt sich die Ärzteschaft zur Präimplantationsdiagnostik, wie zur Beihilfe zum Suizid von todkranken Patienten? – Der seit 1999 amtierende Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, setzt in Kiel zumindest einen Schlusspunkt, er gibt sein Amt ab. Einer derjenigen, die für die Nachfolge von Ärztepräsident Hoppe kandidieren, ist Frank Ulrich Montgomery. Vielen ist er im Gedächtnis als langjähriger Präsident des Marburger Bundes, also der Vertretung der Krankenhausärzte. Frank Ulrich Montgomery stand in dieser Funktion für die großen Streiks der Klinikärzte vor fünf Jahren. Heute ist er Vizepräsident der Bundesärztekammer und er will bei der Wahl am Donnerstag neuer Ärztepräsident werden. Guten Morgen, Herr Montgomery.

    Frank Ulrich Montgomery: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Angekommen Sie werden gewählt, wollen Sie dann auch so eine Integrationsfigur werden wie Jörg-Dietrich Hoppe?

    Montgomery: Ja, mit Sicherheit, weil Integration der völlig auseinanderdriftenden unterschiedlichen Strömungen der Ärzteschaft tut dringend not. Die Bundesärztekammer ist ja eine Organisation, die Ärzteinteressen gegenüber der Politik vertritt, da muss man geeint auftreten und da muss der Präsident eine Integrationsfigur sein. Nur der Stil der Integration, der wird bei mir vielleicht etwas kämpferischer und etwas forcierter sein als bei Jörg Hoppe.

    Engels: Die Kritik an Präsident Hoppe machte sich ja zuweilen daran fest, die Interessen der Ärzte gerade gegenüber der Politik vielleicht nicht scharf genug vertreten zu haben. Das ist dann bei Ihnen die Kampfansage? Werden die Ärzte rebellischer gegenüber der Politik?

    Montgomery: Der Begriff der Kampfansage ist mir eigentlich viel zu kriegerisch. Darum geht es nicht. Es geht um eine klar geführte, über die ethischen Dimensionen hinaus in die Gesundheits- und Sozialpolitik hineinwirkende Debatte mit der Politik über die Zukunft unserer Krankenversicherung, über die Zukunft der Gesundheitsversorgung, und da werden wir schon manchmal ein bisschen vielleicht von dem leichten Florett, mit dem Jörg Hoppe immer gefochten hat, ein kleines bisschen zum Degen übergehen. Aber vom Säbel, da kann ich Ihnen versichern, bin ich weit entfernt.

    Engels: Aufregung gab es ja jetzt unter anderem darüber, dass wieder der Vorschlag der Ärzte diskutiert wird, künftig vielleicht eine Rangliste der medizinischen Behandlung zu ermöglichen, also eine Entscheidung, was welchen kranken Menschen noch zugestanden wird. Wie wollen Sie solche Vorstöße begründen?

    Montgomery: Also dieser Vorschlag, in Zukunft zu priorisieren, den halte ich für ausgesprochen wichtig und zukunftsweisend. Sehen Sie, heute wird in Praxen und Krankenhäusern nach dem Zufallsprinzip rationiert. Wenn das Geld zu Ende ist, bekommen Patienten Leistungen nicht und müssen bis zum nächsten Quartal warten. Das ist für uns ein unerträglicher Zustand und deswegen wollen wir mit der Politik und der Gesellschaft gemeinsam einen Dialog führen, bei dem ganz unstreitig festgelegt wird, all das, was um jeden Preis und immer und sofort bezahlt werden muss, und dann kann man vielleicht über die Dinge reden, die noch etwas warten können, die dann nach hinten auf die Liste geschoben werden. Nur: wir wollen das nicht als Ärzte alleine entscheiden, denn wir sind keine Sozialrichter, sondern wir wollen das mit der Gesellschaft und der Politik diskutieren, damit wir aus der zufälligen Rationierung zu einer intellektgeleiteten Priorisierung kommen.

    Engels: Das ist ein großes Thema des Ärztetages. Es geht auch um grundsätzliche ethische Fragen, Sie haben es auch schon angedeutet. Ein Thema könnte zum Beispiel sein, wie sich die Ärzte künftig zur Beihilfe zum Suizid stellen. In den Zeiten der knappen Versorgung fürchten dann auch viele Patienten, dass man sich möglicherweise nicht mehr um die Sterbenden so kümmern will, möglicherweise da auch der Druck wächst, ob man überhaupt noch weiterleben will oder sollte?

    Montgomery: Also Sie sprechen ein unbeschreiblich wichtiges Thema an und wir haben uns ganz klar positioniert. Wir wollen als Ärzte unsere Garantenpflicht gegenüber dem Leben des Patienten uneingeschränkt ausüben und wir wollen auf gar keinen Fall zu Vollstreckern von vielleicht voreilig geäußerten Todeswünschen werden. Deswegen wird dieser Ärztetag, davon bin ich fest überzeugt, eine ganz klare Feststellung treffen, dass wir Ärzte uns an einer Selbstmordhandlung eines Patienten nicht beteiligen dürfen.

    Engels: Ein Thema wird auch die umstrittene Präimplantationsdiagnostik sein. Da hat ja früher der Vorstand der Bundesärztekammer eher abgeraten. Nun geht es um eine begrenzte Zulassung. Woher der Sinneswandel?

    Montgomery: Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass der Bundesgerichtshof in einem Urteil festgestellt hat, dass anders, als wir das in der Vergangenheit dachten, die Präimplantationsdiagnostik unter ganz bestimmten Bedingungen vielleicht doch zulässig ist aus rechtlichen Gründen. Damit stellt sich die ethische Frage für uns neu und wir gehen davon aus, völlig unabhängig von unseren eigenen individuellen Vorstellungen und Wünschen gehen wir davon aus, dass der Bundestag in der Debatte um die Präimplantationsdiagnostik eine gewisse Öffnung dieses Verfahrens zulassen wird. Und dann wollen wir als Ärzte mit unserer Verantwortung bereitstehen, um zu verhindern, dass das zu einem Massen-Screening-Test wird, und dass man dann ein Verfahren zur Verfügung stellt über unsere Ethikkommission, wie man das verantwortungsvoll und auf wenige Fälle beschränkt machen kann.

    Engels: Herr Montgomery, gehen wir weg von den ethischen Fragen hin zu den Interessen der Ärzte, wenn es um die eigene Berufsperspektive geht. Ein Thema ist auf dem Ärztetag auch das sogenannte Versorgungsgesetz. Es soll Anreize für Mediziner setzen, auch in strukturschwache Gebiete aufs Land zu gehen. Warum tun das die jungen Ärzte heute nicht mehr?

    Montgomery: Das ist für einen Arzt ausgesprochen schwierig, wenn er nicht gerade selber von der Geburt her aus so einer Region stammt, sich zu entscheiden, in eine ländliche Region zu gehen, wenn er zuvor in der Stadt gelebt hat, wenn er sein Studium in der Stadt gemacht hat, wenn er seine Weiterbildung im Krankenhaus zum Spezialisten in der Stadt gemacht hat, vielleicht in der Stadt eine Familie gegründet hat. Dann müssen wir Anreize setzen, damit er bereit ist, aufs Land zu gehen, und damit ist gar nicht unbedingt Geld gemeint, sondern damit sind Grundsatzfragen gemeint wie zum Beispiel, wie organisiere ich den Nachtdienst, weil die jungen Leute von heute wollen nicht mehr Tag und Nacht arbeiten. Zweitens: Bekomme ich einen Arbeitsplatz für meinen Partner oder meine Partnerin? Und drittens: Wie ist es mit der Schulbildung meiner Kinder? – Dies geht weit über Gesundheitspolitik hinaus, hier muss Infrastrukturpolitik und Kommunalpolitik mithelfen, damit wir gemeinsam die Versorgung der Bevölkerung auf dem Land garantieren können.

    Engels: Im Vergleich zu anderen Berufsgruppen gelten aber die Ärzte nach wie vor als diejenigen, die ein großes Stück vom Kuchen bekommen, zuletzt höhere Honorare auch für niedergelassene Ärzte, damals bei den Krankenhausstreiks haben auch die Ärzte bessere Bedingungen und Bezahlung durchsetzen können. Wie vermeiden Sie die Gefahr, als zu raffgierig zu gelten?

    Montgomery: Zuerst muss man mal sagen, dass Ärzte auch nach einem sechs- bis siebenjährigen Studium und einer etwa sechs- bis siebenjährigen Weiterbildung, also nach 14 Jahren Bildung, auch natürlich einer der höchst ausgebildeten und höchst qualifizierten Berufe in diesem Land sind und wir deswegen durchaus meinen, zurecht auch anständige Honorare und anständige Gehälter zu verdienen. Aber wir müssen einfach feststellen, dass das im Vergleich zu allen Ländern um uns herum zu wenig ist, denn die jungen Ärzte gehen ins Ausland, um dort zu arbeiten. Wir haben im letzten Jahr wieder 3400 Ärzte ans Ausland verloren, weil dort einfach entweder die Arbeitsbedingungen besser sind, oder das Gehalt besser ist, und darum sage ich einfach, in einem modernen, offenen Staat in Europa, wo die Menschen auch in anderen Ländern jederzeit arbeiten können, müssen wir dafür sorgen, dass unsere Ärzte anständig, ausreichend und auskömmlich versorgt werden, auch mit Geld versorgt werden, auch mit Infrastruktur versorgt werden. Dafür streiten wir bei der Bundesärztekammer.

    Engels: Und sehen Sie auf der anderen Seite die Gefahr, dass das Verständnis in der Bevölkerung für die Forderungen der Ärzte da vielleicht zurückgeht?

    Montgomery: Die Gefahr besteht mit Sicherheit, weil die Politik ja nicht müde wird, uns Ärzte dann als raffgierig hinzustellen, was wir aber eigentlich gar nicht sind, denn eine hoch qualifizierte Ausbildung verlangt auch eine entsprechende gesellschaftliche Anerkennung, und die drückt sich nun mal unter anderem auch durch ein vernünftiges Gehalt aus.

    Engels: Und das ist wahrscheinlich auch Ihr Vorpreschen, falls Sie gewählt werden könnten, in Richtung Politik, dass hier mehr Geld an die Ärzte fließt?

    Montgomery: Also Geld ist gar nicht unser primäres und erstes Ziel. Wir wollen die Infrastruktur verbessern, wir müssen an den Ärztemangel rangehen und wir müssen die Machtfrage mit den Krankenkassen vernünftig klären, damit die Patientenversorgung nicht zusammenbricht. Das sind die vordergründig ersten Themen. Aber natürlich steht und fällt alles mit einer vernünftigen Vergütung der Ärzte. Wenn die ausbleibt, dann kommt es zu Ärztemangel auf dem Land, weil wenn es nicht mehr attraktiv ist, auf dem Land zu arbeiten, dann kann ich Ärzte ja nicht zwingen, dort hinzugehen. Wir wollen doch keine Ärzte-Landverschickung haben, dass wir mit Zwang Ärzte aufs Land schicken. Damit ist den Patienten überhaupt nicht gedient.

    Engels: Frank Ulrich Montgomery, Vizepräsident der Bundesärztekammer und Kandidat für die Nachfolge von Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe. Vielen Dank!