"Zum Dialog der Religionen muss heute vor allem auch das Gespräch mit denen hinzutreten, denen die Religionen fremd sind, denen Gott unbekannt ist und die doch nicht einfach ohne Gott bleiben, ihn wenigstens als Unbekannten dennoch anrühren möchten."
Der Berliner Kardinal Rainer Maria Woelki zitiert Papst Benedikt XVI.. Katholiken und Religionsinteressierte sollen ins Gespräch kommen. Alte Grabenkämpfe zwischen Kirche und Atheisten sollen zugeschüttet werden.
"Der Vorhof der Völker möchte zeigen, dass der Kalte Krieg zwischen Gläubigen und Nicht-Gläubigen vorbei ist. Dass wir miteinander reden können und es auch können."
Nur will man gemeinsam nicht nur reden, sondern die Welt verbessern, braucht man dazu überhaupt Religion? Der Hamburger Philosoph Herbert Schnädelbach bezeichnet sich selbst als "frommen Atheisten". Er zeigt Respekt vor dem Glauben anderer. Um moralisch zu handeln, brauche man aber kein höheres Wesen. Der Dostojewski-Ausspruch "Wenn es keinen Gott gibt, ist alles erlaubt", ist für Schnädelbach falsch:
"Ein Kollege hat angeregt, diesen Satz auf die Liste der dümmsten philosophischen Sprüche zu setzen. Und zwar ganz oben. Er ist wirklich absurd. Denn das Dumme ist, selbst wenn es Gott nicht geben sollte, darf ich nicht bei Rot über die Ampel fahren, Steuern hinterziehen oder meine Frau schlagen, sollte mir das physisch überhaupt möglich sein."
Alle Menschen lebten in einem mehr oder weniger festen Sitten-, Moral- und Wertegefüge, das klar mache, was erlaubt sei und was eben nicht. Es reiche die Orientierung an der Vernunft und dem eigenen Gewissen. Und es gibt Gesetze, an die sich jeder Bürger zu halten habe:
"Grundgesetz. Wir können dicke Bücher schreiben, Menschenwürde, wo das herstammt, wie das historisch ist, aber ich denke, dass es in der normativen Geltung erst mal gar keine Rolle spielt. Es spielt bei GG 1 keine Rolle, aus welchen Gründen wir die Menschenwürde verteidigen. Das kann man religiös machen, das kann man mit Kant machen, das kann man naturalistisch machen. Entscheidend ist hier der Rechtsgehorsam."
Streitfälle, etwa aktuell, ob Prostitution mit der Menschenwürde vereinbar ist oder nicht, sind vor den höchsten Gerichten zu entscheiden und nicht in den Kirchen. Einen souveränen waltenden Gott brauche ein funktionierendes menschliches Gemeinwesen nicht. Die Zehn Gebote, insbesondere die das zwischenmenschliche Leben regelnden Nummer vier bis zehn, du sollst nicht töten, nicht begehren deines Nächsten Hab und Gut und so weiter, gibt es nicht etwa, weil Gott sie erlassen hat und sie nur deshalb gut sind. Nein, diese Gebote sind von sich aus gut und in Abwandlung daher auch in vielen anderen Kulturen zu finden. Daher sind sie auch ohne einen legitimierenden Gott gültig.
"Setzt man nämlich voraus, dass nur ein souverän gebietender Gott als letzter Ursprung unserer Normativität infrage kommt und nicht unserer Vernunft und bestreitet man dann seine Existenz, dann ist wirklich alles erlaubt. Dann ist unsere normative Kultur bodenlos. Diese Gefahr droht nicht, sollte der Gott, der das Gute und Rechte gebietet, weil es das Gute und Rechte für den Menschen ist, nicht existieren, dann bleibt immer noch die Chance, dass es die Menschen mit ihrer eigenen Vernunft und ohne die göttlichen Pädagogik erkennen und gelten lassen."
Moral erfordert Vorbilder, Eltern, Familie
In das, was gut und richtig ist, muss der Mensch aber erst hineinwachsen. Und das erfordert Vorbilder, Eltern, Familie. Es braucht Menschen, die Orientierung bieten, eben auch durch das Vorleben guten Miteinanders. Nicht im blinden Gehorsam gegen einen Gott oder Kirchenvertreter, sondern als vernünftige Entscheidung auch im Glauben. In der Freiheit, bewusst etwa auch in Beziehungen leben zu wollen. Der Berliner Sozialwissenschaftler Hans Joas.
"Wenn ich befreundet bin oder die Liebesbeziehung habe, dann ist das eine Bindung, durchaus auch in dem Sinn. Und das Gefühl ist in solchen engen Bindungen nicht das der Freiheitseinschränkung, sondern das einer gewachsenen Freiheit, eines besonderen stark bei sich selber seins. Wenn man ein Kind hat und es wacht nachts auf, es ist eine Einschränkung der Freiheit. Aber in der Liebe zu dem Kind füllen sich diese Einschränkungen der Freiheit mit einem intensiveren Gefühl auf. Das würde ich analogisieren mit den Wertbindungen und der zentralen Rolle von Liebe. Uns als Personen zu erweitern und dass das Christentum nicht auftreten muss als moralischer Zeigefinger, der auf eine nicht weiter zu begründende Moral verweist, sondern als Chance aus Glaube und Liebe heraus ein weiterer Mensch zu werden, als man ohne dies ist."
Andererseits sei auch jede Auseinandersetzung mit Kritikern und Andersdenkenden wichtig. Zu nennen ist etwa die massive Entfremdung der Arbeiterbewegung von der Kirche ab dem 19. Jahrhundert. Die atheistische Kritik, die Kirche kümmere sich mehr um das Jenseits als um die Nöte des Diesseits, zeigten nur allzu häufig christliche Fehlentwicklungen auf, meint Joas:
"Es bedeutet eine Steigerung von Freiheitserfahrung, wenn sie Gott loswerden und das muss man ernst nehmen. Ich schätze einige Vertreter dieses Denkens in Philosophie oder Literatur enorm, ich nenne Ludwig Feuerbach oder in der Literatur George Eliott. Das sind Menschen, die außerordentlich viel vom Glauben verstanden haben und aufgefordert haben, das Christentum zu überwinden. Wir Christen müssen diese Geschichte auch als eine Schuldgeschichte des Christentums sehen. Das waren keine Verrückten, sondern sie haben bestimmte Dinge präzise wahrgenommen und es ist den Christen nicht gelungen, das Christentum anders zu präsentieren."
Der Streit von einst aber müsse längst beigelegt sein. Heute komme es angesichts der Bedrohung der Welt auf die Bündelung aller aufgeklärten, vernünftigen und gläubigen Kräfte an, meint der Sozialwissenschaftler Hans Joas:
"Lassen Sie uns die Moralfrage von der Glaubensfrage trennen. Lassen Sie uns in politisch-moralischer Hinsicht an einem Bündnis der Universalisten, religiöser und säkularer miteinander gegen die Partikularisten, religiöser und säkularer, arbeiten. Und lassen Sie uns das Gespräch über den Glauben so führen oder über Motive für Nicht-Glauben, dass es von echter Neugierde auf den Anderen und von Demut gegenüber dem eigenen geleitet ist."