Dirk Müller: Immerhin, er hat als Politiker seine Ankündigung wahr gemacht und die Öl- und Gasindustrie verstaatlicht: Evo Morales, Präsident von Bolivien. Die westlichen Politiker reagierten entsetzt, die internationalen Energiekonzerne erst recht. Was wird aus den milliardenschweren Investitionen? Aber auch Argentiniens Präsident Néstor Kirchner macht sich ein wenig Sorgen über die politische, über die wirtschaftspolitische Entwicklung in Lateinamerika und hat deshalb gleich drei Amtskollegen eingeladen, aus Bolivien, Venezuela und Brasilien, drei Länder, die den neuen Linksruck Lateinamerikas manifestieren. Das sagen jedenfalls viele Beobachter.
Darüber sprechen wollen wir nun mit Günther Maihold, Vizedirektor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Tag nach Berlin!
Günther Maihold: Guten Tag!
Müller: Herr Maihold, macht sich Morales mit diesem Schritt jetzt selbst in Lateinamerika Feinde?
Maihold: Dieser Schritt trifft natürlich besonders die Abnehmerländer von bolivianischem Gas. Das sind insbesondere Argentinien und Brasilien, die als unmittelbare Nachbarn und auch auf Grund ihrer Nähe zu der Linksposition, die Morales beschrieben hatte, als enge Freunde des neuen Präsidenten Boliviens angesehen wurden. Insofern hat es besonders überrascht, dass Morales keine Ankündigung ihnen vorher zukommen ließ und damit insbesondere den brasilianischen Präsidenten Lula, als dessen kleiner Bruder er sich immer verstanden hat, in ausdrücklichem Maße brüskierte, nicht zuletzt deshalb, als er die Ankündigung für die Verstaatlichung vor einer brasilianischen Firma machte und damit auch noch einen zusätzlichen Akzent setzte.
Müller: Herr Maihold, wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist das für Sie ganz klipp und klar: Morales hat ganz bewusst auch diese Konfrontation gesucht.
Maihold: Morales möchte einen höheren Preis für sein Gas erreichen. Das ist durchaus legitim. Bolivien hat im Vergleich zu dem internationalen Marktangebot bisher seinen beiden Hauptabnehmern relativ günstige Preise angeboten und versuchte schon in den vergangenen Monaten, neue Abkommen zu erzielen. Mit der Verstaatlichung wird jetzt ein zusätzlicher Akzent gesetzt. Guckt man sich das unter rechtlichen Gesichtspunkten an, bricht Bolivien damit bestehende Verträge. Und es wird nun darauf ankommen, wie die verschiedenen Abnehmerländer beziehungsweise ihre jeweiligen Unternehmen darauf reagieren, ob sie sich auf Verhandlungen einlassen, ob sie ein Schiedsgerichtsverfahren beantragen und wie das zukünftige Management der bolivianischen Gasindustrie aussehen wird.
Müller: Nun kommen die Kontrahenten ja heute in Argentinien zusammen, Anlass unseres Gespräches. Haben denn diese Hauptabnehmer Argentinien und Brasilien, wenn wir uns in deren Position nun versetzen, auf der anderen Seite Druckmittel gegen Morales?
Maihold: Sie haben nur sehr begrenzte Druckmittel: zum einen, wie ich schon ausführte, rechtliche Maßgaben, um die Einhaltung der alten Verträge zu gewährleisten. Sie haben aber keine großen Alternativen, aus anderen Quellen gegenwärtig Gas zu beziehen. Das trifft Brasilien nur in beschränktem Maße, da es im Bereich von Öl inzwischen einen Selbstversorgungsgrad erreicht hat und teilweise substitutiv agieren kann. Im Falle Argentiniens ist es eine noch schwierigere Situation. Argentinien hat enorme Probleme in der Gewährleistung von Versorgungssicherheit durch antiquierte Verteilungssysteme und befindet sich auch noch gegenüber Chile in der Verpflichtung, aus eigenen Gasreserven dort entsprechende Quantitäten an Gas abzuliefern, so dass insbesondere für Kirchner die Lage sehr schwierig werden dürfte. Brasilien hat beispielsweise schon darauf reagiert und eine gewisse Rationierung seines Gases für die breite Bevölkerung vorgenommen. Es dürfte also ein recht schwieriges Gespräch werden.
Müller: Ist das töricht gewesen von Morales, ausgerechnet Buenos Aires und Brasilia zu verärgern?
Maihold: Er wollte natürlich vor den Wahlen zu der verfassungsgebenden Versammlung, die Anfang Juli stattfinden, ein Zeichen setzen, dass er sein Wahlprogramm erfüllt, dass er durchsetzungsfähig ist, dass er die Interessen der Nation in den Vordergrund stellt. Gleichzeitig muss man sich natürlich fragen, ob es nun unbedingt notwendig war, die Gasförderanlagen mit Militär zu besetzen und dadurch auch noch einen zusätzlichen Eskalationspunkt zu formulieren. Letztlich muss man es wohl stark unter der Perspektive sehen, dass sich die Gewichte in Lateinamerika verschieben, dass Hugo Chávez aus Venezuela eine stärkere Bedeutung gewinnt und jetzt unmittelbar auch vor dem Treffen in Iguazu noch nach Bolivien gefahren ist, um Morales als seinem Partner auch noch mal deutlich den Rücken zu stärken.
Müller: Ist das eine Gewichtsverschiebung - Sie haben es genannt, Venezuela und Bolivien - auf Kosten der Bevölkerung, auf Kosten der Wirtschaftsentwicklung?
Maihold: Es ist natürlich eine gewisse Belastung für Bolivien da. Es hat keine große Alternative, woandershin Gas zu liefern. Der Zugang zum Pazifik ist ihm versperrt. Zum zweiten bedarf das Land, das 80 Prozent seiner Investitionen aus Entwicklungshilfemitteln finanziert, des ausländischen Kapitals, wenn es diesen Sektor weiter voranbringen will. Da bietet sich natürlich jetzt Venezuela an, aber die großen Erwartungen, dass damit kurzfristig ein dynamischer Entwicklungsschub für dieses arme Land verbunden sein wird, werden sich wohl kurzfristig nicht erfüllen.
Müller: Welche Möglichkeiten gibt es denn jetzt, aus diesem Dilemma herauszukommen, unterstellt es geht in erster Linie auch um symbolische Politik? Die Wahlen stehen vor der Haustüre und Morales wollte sich als starker, als glaubwürdiger Politiker präsentieren. Kommt er da noch einmal raus?
Maihold: Sicherlich wird er durch die Setzung der Frist von 180 Tagen erst einmal über den Wahlgang zur verfassungsgebenden Versammlung hinwegkommen. Danach wird er nicht umhin kommen, auch mit den Firmen ins Gespräch zu kommen und dabei auch Zugeständnisse zu machen, die sich eben auf die Gewährleistung und Bewahrung ihrer Investitionen und die Preispolitik beziehen. Unverzichtbar ist für Bolivien, dass es einen größeren Profit aus diesen natürlichen Ressourcen zieht. Das braucht es für seine nationale Entwicklung. Das braucht es aber auch für die Auseinandersetzung, die innerhalb des Landes zwischen den verschiedenen Regionen, zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen und sozialen Schichten anstehen und schon seit Jahren gären. Insofern muss es und wird es ganz sicherlich zu einem Ausgleich kommen, weil alle Partner ein Interesse daran haben werden, zu einem geregelten Verhältnis auf einer anderen Ebene zu kommen.
Müller: Günther Maihold war das, Vizedirektor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Maihold: Auf Wiederhören.
Darüber sprechen wollen wir nun mit Günther Maihold, Vizedirektor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Tag nach Berlin!
Günther Maihold: Guten Tag!
Müller: Herr Maihold, macht sich Morales mit diesem Schritt jetzt selbst in Lateinamerika Feinde?
Maihold: Dieser Schritt trifft natürlich besonders die Abnehmerländer von bolivianischem Gas. Das sind insbesondere Argentinien und Brasilien, die als unmittelbare Nachbarn und auch auf Grund ihrer Nähe zu der Linksposition, die Morales beschrieben hatte, als enge Freunde des neuen Präsidenten Boliviens angesehen wurden. Insofern hat es besonders überrascht, dass Morales keine Ankündigung ihnen vorher zukommen ließ und damit insbesondere den brasilianischen Präsidenten Lula, als dessen kleiner Bruder er sich immer verstanden hat, in ausdrücklichem Maße brüskierte, nicht zuletzt deshalb, als er die Ankündigung für die Verstaatlichung vor einer brasilianischen Firma machte und damit auch noch einen zusätzlichen Akzent setzte.
Müller: Herr Maihold, wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist das für Sie ganz klipp und klar: Morales hat ganz bewusst auch diese Konfrontation gesucht.
Maihold: Morales möchte einen höheren Preis für sein Gas erreichen. Das ist durchaus legitim. Bolivien hat im Vergleich zu dem internationalen Marktangebot bisher seinen beiden Hauptabnehmern relativ günstige Preise angeboten und versuchte schon in den vergangenen Monaten, neue Abkommen zu erzielen. Mit der Verstaatlichung wird jetzt ein zusätzlicher Akzent gesetzt. Guckt man sich das unter rechtlichen Gesichtspunkten an, bricht Bolivien damit bestehende Verträge. Und es wird nun darauf ankommen, wie die verschiedenen Abnehmerländer beziehungsweise ihre jeweiligen Unternehmen darauf reagieren, ob sie sich auf Verhandlungen einlassen, ob sie ein Schiedsgerichtsverfahren beantragen und wie das zukünftige Management der bolivianischen Gasindustrie aussehen wird.
Müller: Nun kommen die Kontrahenten ja heute in Argentinien zusammen, Anlass unseres Gespräches. Haben denn diese Hauptabnehmer Argentinien und Brasilien, wenn wir uns in deren Position nun versetzen, auf der anderen Seite Druckmittel gegen Morales?
Maihold: Sie haben nur sehr begrenzte Druckmittel: zum einen, wie ich schon ausführte, rechtliche Maßgaben, um die Einhaltung der alten Verträge zu gewährleisten. Sie haben aber keine großen Alternativen, aus anderen Quellen gegenwärtig Gas zu beziehen. Das trifft Brasilien nur in beschränktem Maße, da es im Bereich von Öl inzwischen einen Selbstversorgungsgrad erreicht hat und teilweise substitutiv agieren kann. Im Falle Argentiniens ist es eine noch schwierigere Situation. Argentinien hat enorme Probleme in der Gewährleistung von Versorgungssicherheit durch antiquierte Verteilungssysteme und befindet sich auch noch gegenüber Chile in der Verpflichtung, aus eigenen Gasreserven dort entsprechende Quantitäten an Gas abzuliefern, so dass insbesondere für Kirchner die Lage sehr schwierig werden dürfte. Brasilien hat beispielsweise schon darauf reagiert und eine gewisse Rationierung seines Gases für die breite Bevölkerung vorgenommen. Es dürfte also ein recht schwieriges Gespräch werden.
Müller: Ist das töricht gewesen von Morales, ausgerechnet Buenos Aires und Brasilia zu verärgern?
Maihold: Er wollte natürlich vor den Wahlen zu der verfassungsgebenden Versammlung, die Anfang Juli stattfinden, ein Zeichen setzen, dass er sein Wahlprogramm erfüllt, dass er durchsetzungsfähig ist, dass er die Interessen der Nation in den Vordergrund stellt. Gleichzeitig muss man sich natürlich fragen, ob es nun unbedingt notwendig war, die Gasförderanlagen mit Militär zu besetzen und dadurch auch noch einen zusätzlichen Eskalationspunkt zu formulieren. Letztlich muss man es wohl stark unter der Perspektive sehen, dass sich die Gewichte in Lateinamerika verschieben, dass Hugo Chávez aus Venezuela eine stärkere Bedeutung gewinnt und jetzt unmittelbar auch vor dem Treffen in Iguazu noch nach Bolivien gefahren ist, um Morales als seinem Partner auch noch mal deutlich den Rücken zu stärken.
Müller: Ist das eine Gewichtsverschiebung - Sie haben es genannt, Venezuela und Bolivien - auf Kosten der Bevölkerung, auf Kosten der Wirtschaftsentwicklung?
Maihold: Es ist natürlich eine gewisse Belastung für Bolivien da. Es hat keine große Alternative, woandershin Gas zu liefern. Der Zugang zum Pazifik ist ihm versperrt. Zum zweiten bedarf das Land, das 80 Prozent seiner Investitionen aus Entwicklungshilfemitteln finanziert, des ausländischen Kapitals, wenn es diesen Sektor weiter voranbringen will. Da bietet sich natürlich jetzt Venezuela an, aber die großen Erwartungen, dass damit kurzfristig ein dynamischer Entwicklungsschub für dieses arme Land verbunden sein wird, werden sich wohl kurzfristig nicht erfüllen.
Müller: Welche Möglichkeiten gibt es denn jetzt, aus diesem Dilemma herauszukommen, unterstellt es geht in erster Linie auch um symbolische Politik? Die Wahlen stehen vor der Haustüre und Morales wollte sich als starker, als glaubwürdiger Politiker präsentieren. Kommt er da noch einmal raus?
Maihold: Sicherlich wird er durch die Setzung der Frist von 180 Tagen erst einmal über den Wahlgang zur verfassungsgebenden Versammlung hinwegkommen. Danach wird er nicht umhin kommen, auch mit den Firmen ins Gespräch zu kommen und dabei auch Zugeständnisse zu machen, die sich eben auf die Gewährleistung und Bewahrung ihrer Investitionen und die Preispolitik beziehen. Unverzichtbar ist für Bolivien, dass es einen größeren Profit aus diesen natürlichen Ressourcen zieht. Das braucht es für seine nationale Entwicklung. Das braucht es aber auch für die Auseinandersetzung, die innerhalb des Landes zwischen den verschiedenen Regionen, zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen und sozialen Schichten anstehen und schon seit Jahren gären. Insofern muss es und wird es ganz sicherlich zu einem Ausgleich kommen, weil alle Partner ein Interesse daran haben werden, zu einem geregelten Verhältnis auf einer anderen Ebene zu kommen.
Müller: Günther Maihold war das, Vizedirektor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Maihold: Auf Wiederhören.