Spätestens seit Anfang September 1943 mit der deutschen Besatzung herrschte in Rom der Ausnahmezustand. Doch für die römischen Juden ist vor allem der 16. Oktober als Schicksalstag im Gedächtnis. Früh am Morgen begannen Nazitruppen mit der Razzia: Überall in der Stadt wurden Juden festgenommen für die Deportation, vor allem im Getto, wo die meisten lebten. Die Familie von Gabriele Sonnino war da schon untergetaucht, aber längst noch nicht in Sicherheit:
"Mein Vater war abends unterwegs, um nicht angezeigt zu werden. Und da hat er erfahren, dass im Fatebenefratelli-Krankenhaus Juden aufgenommen werden. Also sind wir ziemlich schnell da hin."
Ordensleute im katholischen Krankenhaus suchten eine Lösung
Gabriele Sonnino war da erst vier. Aber er erinnert sich noch an Bruder Maurizio, den hochgewachsenen Ordensmann und Chef des katholischen Krankenhauses. Auf der römischen Tiberinsel, wo schon seit Jahrtausenden Kranke gepflegt werden, war die Lage damals sehr angespannt. Im Keller, da wo heute die Röntgenabteilung ist, hatten schon polnische Flüchtlinge und Partisanen Unterschlupf gefunden, von der Insel aus sendete ein Piratensender, immer wieder trafen sich hier Widerstandsgruppen. Und jetzt kamen auch noch die Juden von Rom – vor allem, weil die Tiberinsel gleich gegenüber vom Getto liegt. Aber auch dafür gab es in diesen Tagen eine Lösung, sagt Bruder Giampietro Luzzatto, heute stellvertretender Leiter des Krankenhauses Fatebenefratelli:
"Doktor Borromeo hat den "Morbus K" erfunden. Er wurde von unserem Mitbruder Maurizio beauftragt, eine Lösung für die Juden zu finden, die aus dem Getto hierher geflohen sind. Borromeo hat diese sehr ansteckende, sehr gefährliche Krankheit erfunden und hat sie stationär aufgenommen, wo die Lösungsmittel waren. Und das deutsche Militär hat die Station nie betreten."
Nazis hatten Angst, sich anzustecken
Natürlich war das gefährlich, denn die deutschen Truppen kamen auf der Insel vorbei, um nach dem Rechten zu sehen:
"Professor Borromeo hat dem SS-Arzt gesagt, dass das eine Isolierstation war, wo alle Patienten den "Morbus K" hatten, eine sehr gefährliche Krankheit. Also sind die Deutschen nur bis zur Tür der Station und dann zurück. Denn sie hatten Angst, sich anzustecken."
Nach außen war das eine Isolierstation, die Patienten hatten selbstverständlich eine Krankenakte – in Kontakt kommen sollte man mit ihnen besser nicht. Drinnen hofften ganze Familien, wie die von Gabriele Sonnino einfach nur darauf, irgendwie zu überleben.
"Wir waren da zusammen mit anderen Familien. Der Pater hat viele Juden in einem Zimmer untergebracht. Und er sagte: hustet, hustet. Und alle haben gehustet. Und da sind die Deutschen gegangen. Die Erfindung von Professor Borromeo war ganz außergewöhnlich."
40, vielleicht 50 Juden konnten dank des "Morbus K" vor den Deutschen gerettet werden. Der Name der Krankheit war auch ein Spiel: Denn "K" konnte für Kappler stehen – so hieß damals der deutsche Polizeichef von Rom. Aber für die, die überlebt haben, war das kein Spiel, zum Beispiel für die Familie von Gabriele Sonnino. Mutter, Vater seine Schwester und er haben überlebt:
"Meine Familie hatte Glück, ich hatte Glück. Denn viele andere Kinder meines Alters haben die Erde in Polen gedüngt, sind Rauch geworden, denn im Vernichtungslager haben sie zuerst die Kinder umgebracht. Das war leider die Wahrheit."