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Mord an Kremlkritiker
"Nicht die Ökonomie alleine ändert Russland"

Der SPD-Politiker Gert Weisskirchen warnt im DLF davor, im Verhältnis zu Russland alleine auf gute wirtschaftliche Beziehungen zu setzen. Die Botschaft des Mordes an Boris Nemzow sei: Nicht die Ökonomie ändere Russland, sondern der Dialog mit der russischen Gesellschaft und der Aufbau der Zivilgesellschaft.

Gert Weisskirchen im Gespräch mit Gerd Breker |
    spricht auf dem SPD-Bundesparteitag in der Messe Dresden, aufgenommen am 14.11.2009.
    SPD-Politiker Gerd Weisskirchen (picture alliance / dpa / Michael Hanschke)
    Gerd Breker: Telefonisch sind wir nun verbunden mit Gert Weisskirchen. Der SPD-Politiker gehörte von 1994 bis 2009 der Parlamentarischen Versammlung der OSZE an und dort war er von 1997 bis 2002 auch Vorsitzender des Ausschusses für humanitäre Angelegenheiten und Menschenrechte. Guten Tag, Herr Weisskirchen.
    Gert Weisskirchen: Guten Tag, Herr Breker!
    Breker: Wieder einmal wird ein Oppositionspolitiker in Moskau zu Grabe getragen. Was sagt uns das über die russische Zivilgesellschaft? Offenbar ist es lebensgefährlich, ein Kritiker Putins zu sein.
    Weisskirchen: Ja. Wenn man sich die Präsidentschaften von Wladimir Putin anschaut, dann verfolgt ihn eine Blutspur, und alle diejenigen, die zur Opposition gehören, mussten und müssen Angst haben, ihr Leben zu verlieren, und das schüchtert ein und das soll auch Angst verbreiten. Aber Boris Nemzow hat sehr deutlich gezeigt, dass er demgegenüber unerschrocken und mutig war.
    Weisskirchen: Es gibt ein anderes Russland, das sich wehrt
    Breker: Er war mutig. Man hat in letzter Zeit von Russland gesprochen als eine gelenkte Demokratie. Kann man das jetzt überhaupt noch machen? Ist das Wort "Demokratie" da nicht ein Hohn?
    Weisskirchen: Ja selbst der Begriff und die Konzeption der gelenkten Demokratie, die aus dem Umfeld von Putin erfunden worden ist, wird immer enger, und es kann sein, dass auch sie so eng wird, dass die Menschen nicht mehr wirklich handeln können, nicht mehr agieren können. Aber es zeigt sich ja auch an diesem schrecklichen Tod und an dem Begräbnis heute, dass es ein anderes Russland gibt, das sich demgegenüber wehrt.
    Breker: Allerdings ist das sehr in der Defensive, denn die russischen Oppositionellen beschreiben das Klima in ihrem Land als ein Klima der Angst und des Hasses.
    Weisskirchen: Und genau das soll erzeugt werden, ein Klima der Angst, in dem dann unabhängig davon, wer diesen Mord befohlen hat, Mörder finden wird, dass diejenigen, die dann exekutieren den Willen, der von irgendwo her kommen mag. Aber es gibt doch nach wie vor zivilgesellschaftliche Gruppen, die den Mut haben, weiterzuarbeiten, und das kann von uns auch unterstützt werden.
    Breker: Es muss wahrscheinlich vom Westen unterstützt werden.
    Weisskirchen: Ja.
    Breker: Warum konnte es so weit kommen, Herr Weisskirchen? Hat der Westen gar irgendetwas versäumt?
    Weisskirchen: Das kann man vielleicht sagen. Es gibt viele Stiftungen, politische Stiftungen, auch die deutschen, die mithelfen, dass die zivilgesellschaftlichen Gruppen in Russland arbeiten können. Es wird versucht, über Gesetze der Duma deren Handlungsmöglichkeiten einzuschränken. Umso mehr kommt es jetzt darauf an, alles zu tun, damit diese Gruppen weiterarbeiten können, denn sie repräsentieren das andere Russland, das demokratische und europäisch orientierte Russland.
    Breker: War man im Westen vielleicht ein wenig zu naiv, Herr Weisskirchen, dass man gedacht hat, okay, wir haben gute Wirtschaftsbeziehungen mit Russland, und gute Wirtschaftsbeziehungen, die werden schon irgendwie die Demokratie fördern?
    Weisskirchen: Es ist völlig richtig, dass man gute wirtschaftliche Beziehungen hat, denn das ist ja auch ein Teil des Wandels und der Veränderung, die dann in Russland Schritt für Schritt auch Spuren zeigen. Allerdings - und das ist, glaube ich, die wichtigste Botschaft des Mordes an Boris Nemzow und an viele, viele andere; ich erinnere an Anna Politkowskaja oder an Juschtschenko. Darauf darf man sich nicht alleine kaprizieren. Nicht die Ökonomie alleine ändert Russland, sondern der Dialog mit der russischen Gesellschaft und eben auch der Aufbau der Zivilgesellschaft.
    Die Schwäche von Wladimir Putin
    Breker: Was lässt in Russland den Präsidenten Putin so agieren, wie er agiert? Ist dieses Trauma des Zusammenbruchs des Sowjetreiches einfach noch nicht überwunden?
    Weisskirchen: Das ist sicherlich ein Teil der Erklärung. Aber Boris Nemzow hat sehr deutlich gemacht, was die wirkliche Ursache wohl wahrscheinlich ist, nämlich die Schwäche von Wladimir Putin und die Schwäche Russlands selbst. Wenn Sie ein Land sind und von jemandem repräsentiert werden, der eine innere Schwäche hat, weil er zum Beispiel ausschließlich daran orientiert ist, genügend Öleinkommen aus den Ressourcen zu haben, wenn das aber versiegt oder wenn es gefährdet ist, dann sieht man deutlich, dass diese Ressourcenabhängigkeit alleine dem Land nachher am Ende sogar schaden wird, weil die Modernisierung nicht vorankommt, ja auch die ökonomischen Reformen stecken bleiben. Darin liegen die wirklichen Schlüssel zur Veränderung, Modernisierung, Europäisierung.
    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Einschätzung von Gert Weisskirchen. Er war außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion und Mitglied bei der OSZE. Herr Weisskirchen, ich danke für dieses Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.