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Morde auf den Philippinen
"Stimmung wie bei einer Hexenjagd"

Fast 2.000 Tote innerhalb weniger Wochen, und erschossen wurden die mutmaßlichen Drogendealer von der Polizei oder von Killern. Diese blutige Bilanz sei vor allem dem Kurs des neuen Präsidenten Rodrigo Duterte zuzuschreiben, sagte der Philippinen-Experte Johannes Icking im DLF. Und der Kampf gegen die Drogenkriminalität sei wohl erst der Anfang.

Johannes Icking im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Johannes Icking, Philippinenbüro Köln (24. August 2016).
    Johannes Icking, Philippinenbüro Köln. (Deutschlandfunk / Jana Sinram)
    Die Philippinen hätten ein gravierendes Drogenproblem, so Icking vom Philippinenbüro in Köln. Hintergrund sei die extreme Armut des Landes. Duterte habe während seiner bisherigen politischen Laufbahn unter Beweis gestellt, dass ihn vor allem der Kampf gegen die Drogen antreibe. Der aktuelle "Krieg" habe am Tag nach Dutertes Wahl zum neuen Präsidenten der Philippinen am 9. Mai dieses Jahres begonnen.
    Allein die Ankündigung des 71-Jährigen, schonungslos gegen Drogenkriminalität vorzugehen, habe gereicht, dass nun so viele Morde geschähen. Denn, so Icking: "Diese Art von extralegalen Hinrichtungen hat es immer gegeben, nur bislang musste man sich dafür rechtfertigen." Das heißt: Jetzt also nicht mehr.
    Duterte sei nicht "trotz seiner Menschenrechtsverletzungen gewählt worden, sondern deswegen". Es gebe eine große gesellschaftliche Zustimmung für diese Politik. Proteste kämen nur von der katholischen Kirche und der Menschenrechtsbewegung, aber nicht von einer großen politischen Opposition im Land. Auch die Justiz halte sich zurück nach Dutertes Ankündigung, das Kriegsrecht auszurufen, sollte diese ihm in die Quere kommen.
    Im Land herrscht dem Asien-Experte zufolge zurzeit eine "Stimmung wie bei einer Hexenjagd". Und Duterte habe bereits angekündigt, auch gegen andere gesellschaftliche Übel vorzugehen.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Die Philippinen haben seit gut zwei Monaten einen neuen Präsidenten: Rodrigo Duterte sein Name. Und was wir seit seinem Amtsantritt aus diesem Inselstaat im westlichen Pazifik hören, das klingt unheimlich. Einen Krieg hatte Duterte angekündigt, einen Krieg gegen die Drogen. Und noch etwas: Um Menschenrechte schere er sich dabei nicht. Seitdem hören wir jetzt fast jede Woche von Erschießungen auf den Philippinen von mutmaßlichen Drogen-Dealern, die entweder von der Polizei oder von unbekannten Killern getötet werden. Die Leichen bleiben oft mit Schildern um den Hals auf der Straße liegen. Mehr als 2.000 Tote wurden so in den vergangenen zwei Monaten gezählt. Das sind allerdings nur die offiziellen Zahlen; es könnten wesentlich mehr sein.
    Wir können darüber jetzt mit Johannes Icking sprechen, einem Kenner der Philippinen. Er hat sich intensiv mit der Gesellschaft und der Politik in dem Land beschäftigt. Er ist tätig in der Stiftung Asienhaus. Das ist eine Denkfabrik in Köln. Schönen guten Tag, Herr Icking.
    Johannes Icking: Guten Tag.
    Armbrüster: Herr Icking, lassen Sie uns zunächst über diesen Mann sprechen: Rodrigo Duterte. Was genau treibt ihn an?
    Icking: Was ihn definitiv antreibt, ist der Kampf gegen die Drogen, die Bekämpfung der Kriminalität. Das war sein Wahlversprechen, dafür ist er gewählt worden. Dafür ist er auch bekannt als Bürgermeister der Stadt Davao. 22 Jahre lang hat er diesen Krieg gegen die Drogen schon bei sich zuhause vorexerziert.
    Wir wissen, dass er auch andere Agenden hat: die Friedensverhandlungen. Er sagt, er möchte die Wirtschaft vorantreiben; da sind die Pläne aber unkonkret.
    Armbrüster: Wenn wir uns jetzt diese Toten in diesem Drogenkampf anschauen, vor allen Dingen diese Zahlen, können wir dann sagen, dass der Präsident selbst eigentlich für diese Toten, für diese Erschießungen verantwortlich ist?
    Icking: Definitiv! Die Zahl, diese Tötungen von mutmaßlichen, muss man ja sagen, Drogenhändlern und Drogennutzern ging ab dem 9. Mai los. Das war der Tag nach der Wahl, als klar wurde, Duterte wird Präsident werden.
    Das war deswegen so, weil er während des mehrmonatigen Wahlkampfs genau das angekündigt hat. Bis zu 100.000 Tote soll es geben. Dieser berühmte Spruch, er werde die Fische in der Manila Bay fett werden lassen mit den Toten. Und es brauchte sozusagen nicht mal seinen direkten Befehl, sondern alleine die Ankündigung, er werde rigoros und blutig gegen die Drogen vorgehen, reichte, dass es dann los ging.
    Armbrüster: Wenn es aber, wie Sie sagen, sofort los gegangen ist, das klingt fast so, als hätten die Polizei, möglicherweise andere Behörden und auch viele Killer im Land nur so darauf gewartet, dass er tatsächlich in diesen Posten kommt.
    Icking: Ja, das ist definitiv so. Diese Art von extralegalen Hinrichtungen, sagen wir Menschenrechtler, hat es immer gegeben auf den Philippinen auf niedrigem Niveau. Unter der letzten Präsidentschaft Aquino mussten Sie sich dafür rechtfertigen und jetzt wird auf einmal jemand Präsident, der sagt, ich will das, macht das, ich halte euch den Rücken frei, wenn euch einer anklagt, dann hole ich euch aus dem Gefängnis raus.
    "Es gibt ein riesiges Drogenproblem"
    Armbrüster: Wie gravierend ist denn das Drogenproblem auf den Philippinen?
    Icking: Das ist gravierend. Da gibt es überhaupt kein drum Herumreden. Es ist natürlich bedingt in der massiven Armut, die in diesem Land herrscht. Wir reden von 30 Prozent der Philippinos, die sich selber als arm bezeichnen.
    Wir haben jetzt unter diesen Toten Fälle: Zum Beispiel ein sehr prominenter Fall waren jetzt Paddy-Cap-Driver. Das ist sozusagen das Äquivalent der Rikschas auf den Philippinen. Das sind natürlich knochenharte Jobs und die Leute nehmen dann chemische Drogen, um über den Tag zu kommen. Es gibt ein riesiges Drogenproblem.
    Armbrüster: Verursacht das auch gesellschaftliche Probleme?
    Icking: Natürlich! Mit diesen Drogen und mit der grassierenden Armut gehen natürlich auch hohe Kriminalitätsraten einher.
    Sie sehen den philippinischen Präsidenten Duterte, er hält im Juli 2016 eine Rede an die Nation.
    Der philippinische Präsident Duterte hat angekündigt, wenn ihn die Justiz beim Kampf gegen den Drogenhandel nicht unterstützt, gegebenenfalls das Kriegsrecht auszurufen. (AFP / Ted Aljibe)
    Armbrüster: Was sagen die Philippinen denn selbst zu Duterte und seinem Kurs in dieser Politik?
    Icking: Man muss sagen, dieser Mann ist ja nicht trotz seiner Menschenrechtsverletzungen gewählt worden, sondern wegen. Er hat das so angekündigt, wie es jetzt passiert, am Justizsystem vorbei Leute umbringen zu lassen. Das war seine zentrale Wahlkampfbotschaft und damit hat er eine deutliche Mehrheit erlangt. Nach der Wahl hat er die höchsten Zustimmungsraten, die je ein Präsident in der neueren Geschichte der Philippinen hatte. Also es gibt eine große gesellschaftliche Zustimmung für diese Politik.
    "Es gibt keine große politische Opposition"
    Armbrüster: Das heißt auch, es ist kein größerer Protest oder so etwas dagegen zu erkennen?
    Icking: Es gibt auch Proteste. Die philippinische Gesellschaft ist natürlich wie viele Gesellschaften plural. Da gibt es viele Stimmen. Die Katholische Kirche, die ja durchaus auch mächtig ist in diesem Land, ist deutlich gegen diesen Kampf gegen die Drogen, oder zumindest wie er ausgeführt wird. Die Menschenrechtsbewegung opponiert auch deutlich. Aber es gibt sozusagen keine große politische Opposition, die sich im Moment noch gegen ihn stellen würde.
    Armbrüster: Was sagt denn die Justiz auf den Philippinen? Was sagen Richter und Staatsanwälte, Rechtsanwälte, wenn da sozusagen an der Justiz, am Justizapparat vorbei Recht gesprochen und auch Recht, wenn man das so sagen kann, vollzogen wird?
    Icking: Interessanterweise halten die sich im Moment zurück. Das einzige Mal, wo sie opponiert haben, war, als Duterte mehrere Richter beschuldigt hat, dass die selber im Drogenhandel verstrickt worden seien. Da hat die Chefin des obersten Gerichtshofes, des Supreme Courts, ihn darauf hingewiesen, dass das gar nicht sein könnte, weil zwei der Richter waren schon tot und die restlichen hatten mit Drogenfällen gar nichts zu tun. Aber ansonsten halten die sich im Moment zurück, auch weil Duterte angekündigt hat, dass wenn ihm das Justizsystem in die Quere kommt, dass er unter Umständen das Kriegsrecht ausruft.
    Armbrüster: Wie funktioniert das denn eigentlich, wenn wir jetzt sagen, die Polizei erschießt Drogen-Dealer, Killerkommandos erschießen Drogen-Dealer? Werden die dafür in irgendeiner Form belohnt, oder was treibt solche Leute bei solchen Erschießungen an?
    Icking: Es gibt natürlich auch Gerüchte, dass da Kopfprämien gezahlt werden, aber es ist im Moment eine Stimmung wie in einer Hexenjagd in diesem Land. Ganz konkret funktioniert das so: Auf der niedrigsten politischen Ebene, den sogenannten Barangays, werden Listen gesammelt von mutmaßlichen Drogenhändlern und Drogennutzern. Die werden dann an die Polizei gegeben. Die Polizei stattet diesen Leuten Hausbesuche ab und dann kommt es zu diesen Toten. Die Polizei sagt dann immer, die Leute hätten sich mit Gewalt gewehrt, und dann hätten sie sie in Selbstverteidigung aus Selbstschutzgründen ermorden müssen. Das kann natürlich schon bei der absoluten Zahl dieser Morde überhaupt nicht sein.
    Armbrüster: Wie sehen Sie denn da die Zukunft? Ist das hier nur der Anfang, geht das jetzt noch jahrelang so weiter?
    Icking: Das kann im Moment natürlich überhaupt niemand sagen. Duterte hat schon angekündigt, es gibt natürlich auch noch andere gesellschaftliche Übel: die Korruption, das Glücksspiel. Es kann durchaus sein, dass wenn der Kampf gegen die Drogen zu Ende sein soll, wie auch immer, dass er sich dann das nächste Ziel sucht.
    "In Südostasien und Asien haben alle Staaten Dreck am Stecken"
    Armbrüster: Wie sieht es aus mit der philippinischen Außenpolitik? Regt sich da möglicherweise bei den Nachbarstaaten Unmut über diesen neuen Präsidenten und sein Vorgehen?
    Icking: Wir müssen natürlich sagen, dass in Südostasien und Asien wir es natürlich mit Staaten zu tun haben, die alle Dreck am Stecken haben, muss man so sagen. Wir hören Kritik, leise Kritik von den USA. Wir hören ganz massive Kritik von den Vereinten Nationen. Da gab es ja jetzt auch schon einige Verwerfungen. Sonst hören wir noch wenig.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.