"Das Grauen hört nicht auf. Die Ermittlungen können noch nicht abgeschlossen werden - die Soko Kardio wird weiterhin in der gebotenen Intensität arbeiten müssen."
Als der Polizeipräsident Johann Kühme bei der Pressekonferenz zur Soko Kardio das Wort ergreift, ist klar: Der Krankenpfleger Niels H gilt spätestens jetzt als der schlimmste Serienmörder in der bundesdeutschen Geschichte.
"99 Verstorbene mussten aus ihren Gräbern geborgen, rechtsmedizinisch untersucht und dann im Anschluss wieder bestattet werden, eine unvorstellbare, grauenhafte, unfassbare Zahl."
Seine Patienten waren für ihn offenbar nur Spielzeuge: Aus Langeweile, das hat Niels H eingeräumt, hat er Patienten in Lebensgefahr gebracht – ein Spiel, wie er sagt, das für viele Patienten tödlich endete. Wie viele, das wird wohl nie genau ermittelt werden können. Für fünf Morde sitzt der Pfleger seit 2015 bereits lebenslang in Haft.
"Ich möchte sie aber darauf hinweisen", sagt Kriminaloberrat Arne Schmidt, dass die tatsächliche Zahl der Opfer von Niels H. bedeutend höher ist."
Niels H. hat nicht nur in Delmenhorst gemordet
Während seiner Dienstzeit in Delmenhorst starben etwa 200 Menschen mehr als im statistischen Mittel, und die Ermittler ließen keinen Zweifel daran, dass sie Niels H. für diese Todesfälle verantwortlich halten - auch wenn sie es nicht beweisen können. Aber die Statistiken sprechen für sich - es starben besonders viele Menschen, wenn Niels H. Dienst hatte.
Schmidt: "Drei Todesfälle innerhalb einer Dienstschicht gab es in den gesamten 2,5 Jahren während seiner Tätigkeit am Klinikum Delmenhorst nur neun Mal. Und alle diese neun Dreifachsterbefälle, das entspricht einem Anteil von 100 Prozent, ereigneten sich ausschließlich während der Dienstzeit von Niels H."
Das legt nahe, dass er manchmal sogar mehrere Menschen an einem Tag getötet haben könnte. Nun ist klar: Niels H. hat nicht nur in Delmenhorst gemordet, sondern auch in Oldenburg – und das wirft ein neues, kein gutes Bild auf den Fall.
"Nach unseren heutigen Erkenntnissen spricht vieles dafür, dass die Morde von Niels H. im Klinikum Delmenhorst hätten verhindert werden können", ist der Polizeipräsident überzeugt.
Wenn nämlich die Hinweise auf Unregelmäßigkeiten während seiner Zeit in Oldenburg gemeldet und untersucht worden wären. So aber wechselte Niels H. im Winter 2002 zur damals noch städtischen Klinik in Delmenhorst. Und auch hier tötete der Krankenpfleger Menschen, wie er selbst sagte aus Langeweile, aber auch aus Geltungssucht, um sich bei Ärzten und Kollegen zu beweisen. Als Kriminaloberrat Arne Schmidt die Zahlen präsentierte, wurde die Dimension dieses Falles noch einmal deutlich.
"Im Klinikum Oldenburg wusste man um die Auffälligkeiten, die gestiegenen Reanimationen und die damit zusammenhängenden Todesfälle. Warum seinerzeit die staatlichen Behörden, also Polizei und Staatsanwaltschaft, nicht eingeschaltet worden sind, weiß ich nicht."
Das legt nahe, dass er manchmal sogar mehrere Menschen an einem Tag getötet haben könnte. Aber nicht nur Niels H. wird von den Ermittlern belastet, auch in Oldenburg mordete er und die Ermittler sagen, dass das bemerkt worden sein muss. In Delmenhorst hatte ein Oberarzt 2005, nachdem Niels H. auf frischer Tat ertappt worden war, Statistiken ausgewertet und den immensen Anstieg an Todesfällen bemerkt und auch der siebenfach höhere Medikamentenmissbrauch war auffällig.
In Oldenburg hat das Klinikum 2014 eine interne Untersuchung veranlasst, um Sterbefälle während der Beschäftigungszeit von Niels H. zu untersuchen. "Nach kurzer Zeit" so schreibt das Klinikum "hat der von uns beauftragte Gutachter bei 16 Patienten erhebliche Anhaltspunkte für eine Kaliumvergiftung und damit einen unnatürlichen Tod festgestellt." Weitere Untersuchung folgen – gründliche Untersuchungen, hofft Christian Marbach. Auch sein Großvater wurde ein Opfer von Niels H., sagte er dem NDR:
"Die damalige Pflegedienstleiterin ist damals schon Inhalt von ganz klaren Aussagen von Betroffenen gewesen, die entsprechende Vorwürfe gemacht haben. Und ich bin ganz sicher, dass die Staatsanwaltschaft da auch mit aller Härte hinterher gehen wird."
Gegen drei damalige Mitarbeiter des Klinikums Oldenburg laufen deshalb auch Ermittlungen. Der Polizeipräsident und die Ermittler stellen sich eine Frage, die während der kommenden Ermittlungen, wenn wieder einmal rund 100 Gräber geöffnet werden, geklärt werden muss, nämlich
"… ob den damals - und ich betone ausdrücklich - den damals Verantwortlichen des Klinikums Oldenburg der gute Ruf des Hauses wichtiger war als das Wohlergehen der Patientinnen und Patienten."