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Morde in Nigeria
Die Angst vorm heiligen Krieg

In Nigeria sind seit Anfang des Jahres hunderte Menschen ermordet worden - darunter auch zwei Priester während der Frühmesse. Christen sprechen deshalb mittlerweile von einem Dschihad. Viele Muslime widersprechen, doch das Verhältnis der beiden Religionen ist gefährdet.

Von Katrin Gänsler |
    Der 19-jährige Soundingenieur Stephen Faby im nigerianischen Bundestaat Plateau.
    Der 19-jährige Stephen Faby zwischen den Stühlen - als Christ unter mehrheitlich muslimischen Fulani (Deutschlandradio / Katrin Gänsler )
    Diese beiden Jungen haben alle Hände voll zu tun. Mit Holzstock, Machete und Plastikflasche ausgestattet suchen sie für mehr als 20 Kühe nach Weideflächen. Ständig müssen die beiden aufpassen, dass das Vieh nicht über bestellte Felder läuft. Von denen gibt es viele im nigerianischen Bundesstaat Plateau. Der Landstrich ist fruchtbar und gleichzeitig die Trennlinie zwischen christlichem Süden und muslimischem Norden. Keine andere Region ist aktuell so stark von Gewalt betroffen. Trauriger Höhepunkt war erst vor knapp drei Wochen ein Massenmord an bis zu 200 Christen. Auch Stephen Faby versucht weiterzumachen – trotz aller Brutalität:
    "Ich heiße Stephen Faby und bin 19 Jahre alt. In Jos arbeite ich als Soundingenieur. Ich habe erst im Januar angefangen. Aber mit Gottes Hilfe klappt es ganz gut."
    Hass in der Kirche
    Der schlaksige junge Mann sitzt im kleinen Haus seiner Eltern - eine knappe Stunde entfernt vom Zentrum der Provinzhauptstadt Jos. Es gibt keinen Strom, und Stephen Faby ist der einzige, der in seiner Familie einen Job hat. Die verlässt das Haus nur noch in Notfällen. Die Fabys sind Fulani. Es ist eine ethnische Gruppe, die traditionell Vieh besitzt und sich meist zum Islam bekennt. Die muslimischen Fulani werden von Christen für die Massenmorde verantwortlich gemacht. Stephen Faby dagegen sitzt zwischen allen Stühlen. Er ist einer der wenigen Fulani, der sonntags in die Kirche geht. Heute erlebt er dort Hass und Ausgrenzung:
    "Ganz ehrlich, manchmal möchte ich die Kirche einfach verlassen. Christen dürften nicht so reden. Es muss doch die ganze Geschichte erzählt werden, nicht nur die eine Seite. Erst dann kann man sich ein Urteil bilden. Doch sie kritisieren nur die Fulani. Und das macht mich unglücklich."
    Junge Viehhirten im nigerianischen Bundesstaat Plateau
    Junge Viehhirten werden oft für die Ermordung von Christen verantwortlich gemacht, oft fehlen aber die Beweise dafür (Deutschlandradio / Katrin Gänsler )
    Der Konflikt ist nicht neu. Vor rund 20 Jahren wurde er als Kampf der Religionen bezeichnet, danach als Ressourcenkonflikt um Weideflächen und Ackerland. So brutal wie in den vergangenen Monaten ist er aber nie ausgetragen worden. Dörfer wurden niedergebrannt und im Bundesstaat Benue, der ebenfalls betroffen ist, zwei Geistliche während der Frühmesse erschossen. Für den katholischen Priester Remigius Ihyula, der in der Stadt Makurdi das Caritas-Komitee für Gerechtigkeit, Entwicklung und Frieden leitet, steht deshalb fest:
    "Wenn es wirklich um die Suche nach Weideland ginge, wie es immer heißt, dann müssten sie doch nicht die ganzen Gebiete besetzen. Sie müssten weder Kirchen noch Schulen zerstören. Sie müssten keine Menschen abschlachten. Aber was tun sie? Sie töten Menschen, wie man nicht einmal Tiere schlachten würde. Es ist ein Dschihad, der sehr präzise ausgeführt wird."
    Tiefes Misstrauen
    Solche Vorwürfe an die Adresse der muslimischen Fulani kamen früher vor allem von Pfingstkirchen, die sich wenig um den interreligiösen Dialog kümmerten. Die katholischen Bischöfe dagegen sprachen sich zum Beispiel 2015 klar für den amtierenden Präsidenten Muhammadu Buhari aus, der Muslim und Fulani ist. Das würde wohl heute – drei Jahre später – nicht mehr passieren. Das Misstrauen sei tief, sagt auch Ignatius Kaigama, Erzbischof von Jos und ehemaliger Vorsitzender der nigerianischen Bischofskonferenz:
    "Viele Menschen glauben, mit dem Dschihad von 1804 habe die Islamisierung begonnen. Sie werde jetzt vorangetrieben. Wenn man dann die Versuche, die Scharia in Nigeria einzuführen, betrachtet, werden viele Nicht-Muslime sehr misstrauisch."
    Erzbischof Ignatius Kaigama sitzt am Schreibtisch.
    Erzbischof Ignatius Kaigama sieht den interreligiösen Dialog gefährdet. (Deutschlandradio / Katrin Gänsler )
    Von 1804 an gelang es Usman dan Fodio, einem Fulani, zahlreiche Haussa-Staaten im Norden zu erobern. Gleichzeitig gründete er das Kalifat von Sokoto. Es ist bis heute Sitz des Sultans, also des Oberhaupts der nigerianischen Muslime. Mit dem heiligen Krieg sollte aber nicht nur der Islam, der bereits im 9. Jahrhundert nach Nigeria kam, verbreitet werden. Es ging auch darum, politische Macht zu sichern. Die Angst vor einem heiligen Krieg beschäftige die Menschen bis heute, sagt Erzbischof Kaigama.
    "Da die Viehhirten fast überall angreifen, entsteht die Angst und das Misstrauen, dass das politisch gewollt ist. Man will jene Regionen kontrollieren, die während des Dschihads nicht unter Kontrolle gebracht werden konnten."
    Es geht um Vorherrschaft
    Nigeria ist seit jeher geprägt von Konflikten um religiöse Vorherrschaft. Um unnötige Spannungen zu vermeiden, wird bei Volkszählungen nie nach der Religionszugehörigkeit gefragt. Internationale Institute gehen jedoch davon aus, dass Christen und Muslime etwa gleichauf liegen. Sobald bei Gesprächen das Mikrofon ausgeschaltet ist, reklamieren aber gerne beide Gruppen die Mehrheit für sich. Besonders Christen bereitet die Vorstellung eines heiligen Krieges deshalb Sorge. Isaq Akintola, Professor für islamische Theologie in Lagos, hält dagegen:
    "Die Christen fürchten sich vor einem Dschihad. Ich kann nur sagen: So etwas gibt es nicht. Wir Muslime in Nigeria planen keine Morde. Stattdessen haben wir so oft betont: Wir wollen friedlich mit unseren christlichen Nachbarn zusammenleben."
    Angst um "gute Beziehungen"
    Im Bundesstaat Plateau wird der Dialog zwischen Christen und Muslimen aber immer schwieriger, sagt Erzbischof Kaigama:
    "All das schafft Angst, Spannungen und Misstrauen. Es erschwert unsere Arbeit sehr. Erst vergangene Nacht hat mich der Vorsitzende von ‚Miyetti Allah‘ angerufen, des Viehzüchterverbands des Bundesstaates Plateau. Er ist Moslem und Fulani und kann mich zu jeder Tages- und Nachtzeit anrufen. Das gilt genauso für den Imam in Jos sowie den Emir von Wase. Wir pflegen unsere guten Beziehungen und wollen nicht, dass sie zerstört werden."
    Für die angespannte Situation ist allerdings auch die Regierung mitverantwortlich. Bisher hat es kaum Verhaftungen gegeben. Häufig ist gar nicht klar, ob nun Viehhirten, Banditen oder Milizen die Angriffe verübt haben. Auch sterben längst nicht nur Christen, sondern auch Fulani. Stephen Faby verliert das Vertrauen in den Staat immer mehr.
    "Ich habe nicht das Gefühl, die Sicherheitskräfte könnten mich hier retten. Wir haben es doch gesehen. Kommt es zu Kämpfen, dann stehen die Sicherheitskräfte zwar da. Dennoch werden Fulani getötet. Meine einzige Sicherheit hier - das ist Gott."