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Mordfall Lübcke
Hessischer Verfassungsschutz unter Druck

Bei den Ermittlungen im Mordfall Walter Lübcke gerät der hessische Verfassungsschutz unter Druck. Der Hauptverdächtige Stephan E. ist in die rechtsextreme Szene in Nordhessen verstrickt. Eventuell gibt es auch Verbindungen zur NSU. Mehrere Stimmen fordern jetzt die Herausgabe von Ermittlungsakten.

Von Ludger Fittkau |
Das Foto zeigt das Haus des verstorbenen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU).
Der Tatort: Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde vor seinem Wohnhaus erschossen (dpa-Bildfunk / Swen Pförtner)
Der hessische Verfassungsschutz gerät im Fall des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke zunehmend in die Kritik. Denn zunächst hatte die Wiesbadener Behörde erklärt, dass es zum tatverdächtigen Rechtsextremisten Stephan E. keine Erkenntnisse mehr gäbe, weil er seit 2009 nicht mehr auffällig gewesen sei.
Seit zehn Jahren unauffällig
Deshalb seien die Daten aus seiner Akte nach der üblichen Fünf-Jahresfrist gelöscht worden, so der hessische Verfassungsschutz zunächst. Doch das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte hingegen betont, dass seit 2012 alle Akten mit Bezug zu den Morden des Nationalsozialisten Untergrunds – kurz – NSU nicht mehr gelöscht werden dürfen. Das hessische Landesamt korrigierte seine Aussagen daraufhin. Die Daten seien durchaus noch rekonstruierbar. Janine Wissler, die Fraktionsvorsitzende der Linken im Hessischen Landtag, wies nun im ZDF daraufhin, dass auch der hessische NSU-Untersuchungsausschuss immer wieder mit der mangelnden Bereitschaft zur Transparenz des Landesverfassungsschutzes zu kämpfen hatte:
Schwierige Akteneinsicht
"Ich weiß selber aus unserer Arbeit im NSU-Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag, dass wir wirklich teilweise um jedes Blatt Papier, um jede Akte, die wir nicht geschwärzt haben wollten, kämpfen mussten. Wir haben einen Bericht zur Aufarbeitung der NSU-Mordserie durch das Landesamt für Verfassungsschutz, der ist für unglaubliche 120 Jahre als geheim eingestuft worden. Als Verschlusssache bis ins Jahr 2134. Das ist Wahnsinn."
In der ZDF-Sendung "Maybrit Illner" bekundeten sowohl der bayerische Innenminister Joachim Herrmann als auch der thüringische Verfassungsschutzpräsident Stephan J. Kramer, dass man in ihren Bundesländern solche Sperrfristen nicht mehr habe. Stephan. J. Kramer:
"Schauen Sie, Thüringen hat seinerzeit sämtliche Akten offengelegt an die Untersuchungsausschüsse. Sowohl in Thüringen im Parlament als auch im Bundestag. Es war im Übrigen eine CDU-Ministerpräsidentin, die dafür gesorgt hat, nur damit da keine Missverständnisse aufkommen, ich denke, dass gehört zur Geschichte dazu. Wir haben mächtig Prügel dafür bezogen, weil das nicht nur völlig unüblich ist unter Nachrichtendienstlern. Sondern weil das natürlich auch konkrete Gefahren bei möglichen Tarnungen für eventuelle Quellen bzw. für die Arbeitsweise des Verfassungsschutzes bedeutet. Seien sie mir nicht böse, wenn ich die hessischen Kollegen jetzt in irgendeiner Form kommentieren oder bestrafen möchte. Ich kann es nicht verstehen, warum man hier nicht alles auf den Tisch legt. Selbst auf die Gefahr hin, dass man hier eigene Fehler zugeben muss. Denn es geht ja auch darum, dass wir das Vertrauen der Bevölkerung brauchen für unsere Arbeit."
"Alles muss auf den Tisch"
Auch Barbara John, Die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Hinterbliebenen der NSU-Opfer, betonte, der vom hessischen Landesamt für Verfassungsschutz beanspruchte Quellenschutz für die Dauer von 120 Jahren dürfe in diesem Fall nicht gelten. Der Rechtsextremismus-Experte Olaf Sundermeyer hofft, dass eine Freigabe der hessischen Behördenakten auch mehr Licht in die Kasseler Rechtsradikalen-Szene bringt. Er wies bei Maybrit Illner auf aktuelle Recherchen der "Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen" –Zeitung – kurz HNA- hin. Die Kasseler Regionalzeitung hatte über eine Kneipe in Kassel berichtet, in der sich die örtliche Szene jahrerlang getroffen hatte:
"Wo sich Stephan E. mit seinen Nazi-Kumpels regelmäßig getroffen hat. Ich kenne diese Kneipe auch ganz gut. Dort soll nach Auskunft der Wirtin Beate Zschäpe auch verkehrt haben mit diesen Leuten. Mit Stephan E. sogar. Jemand wie Ralf Wohlleben, also derjenige, der die Tatwaffe, die Ceska besorgt hat für das Terrortrio, ist bestens befreundet und bekannt mit jenen Neonazis nicht nur aus Hessen als auch aus Dortmund, wird dort im Prinzip gefeiert als jemand, der dort mitgewirkt hat. Und über diesen Kontext brauchen wir erhellende Erkenntnisse. Und die unter Verschluss zu halten und ich unterstelle, dass es genau solche Erkenntnisse sind, die in dieser Akte zu finden sind, das ist schon ein Skandal."
Brand in der Wohnung eines Rechtsextremisten
Aktuell bewegt in Kassel auch ein Wohnungsbrand die Öffentlichkeit, bei dem es möglicherweise einen Zusammenhang mit den aktuellen Mordermittlungen gegen den verdächtigen Stephan E. Geben könnte. Am Mittwochabend gegen 23.15 Uhr sei im Haus des führenden Kasseler Rechtsextremisten Mike S. ein Feuer ausgebrochen, so ein Polizeisprecher. Eine Wohnung sei ausgebrannt. Mike S. gilt als enge Bezugsperson von Stephan E. Die Ermittler schließen einen Anschlag nicht aus. Allerdings: Der NSU hat seine Spuren mittels Bränden zu verwischen versucht. Auch daran erinnert man sich angesichts des aktuellen Wohnungsbrandes. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier mahnt, nicht zu schnell von einem Einzeltäter auszugehen. Die Kasseler Nazi-Szene gilt als sehr eng vernetzt.