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Moritz Netenjakob
Ein Panoptikum deutscher Befindlichkeiten

Er war mal der Chef-Autor von "Switch", hat für die "Wochenshow", Anke Engelke oder "Stromberg" mitgeschrieben und dafür den Grimme-Preis bekommen: Moritz Netenjakob. Nun hatte die Bühnenfassung seines neuen Buchs "Mit Kant-Zitaten zum Orgasmus" Premiere. Wieder spürt er dabei dem Gefühlsleben der Deutschen nach.

Von Achim Hahn |
    Der Comedian Moritz Netenjakob.
    Der Comedian Moritz Netenjakob. (picture alliance / dpa / Heinz Unger)
    "Viele Menschen haben keine Idee von dem, was sie wollen, daher verfahren sie nach Instinkt und Autorität."
    Um es gleich vorneweg zu sagen: Kant kommt zwar vor, spielt aber nicht wirklich eine Rolle. Schon gar nicht beim Sex, wie es der Titel in Moritz Netenjakobs neuem Programm nahelegt.
    "Kurze Zwischenfrage: Hat das jetzt schon bei jemandem einen Orgasmus ausgelöst?"
    "Mit Kantzitaten zum Orgasmus" - schwer vorstellbar. Aber
    (Angela Merkel:) "Machen Sie sich keine Sorgen ..."
    "Wir Deutschen brauchen einfach so einen klaren Rahmen, um uns irgendwie wohlfühlen zu können."
    Und damit sind wir auch schon bei einem Netenjakobschen Zentralthema: die Deutschen und ihre Befindlichkeiten. Er will ihrem Gefühlsleben auf den Grund gehen. Kant als intellektuelles Lockmittel also für’s kabarett-affine Publikum.
    "Ich habe die Wirkung meiner Texte an der Universität Böblingen noch wissenschaftlich überprüfen lassen. Wenn sie ein durchschnittlicher Zuschauer sind, werden sie heute Abend rund 79 Mal kichern, 47 Mal laut lachen, drei Mal hysterisch gackern ..."
    Ein Panoptikum deutscher Befindlichkeiten
    Und genauso kommt’s letztlich - im Prinzip. Denn Moritz Netenjakob führt uns die Klischees vom pedantisch genauen Erbsenzähler vor - und uns ein in seine Welt gefühlsausdrucks-behinderter Neurotiker:
    "Wer soll das denn sein, die Superhelden aus der Vollkornbäckerei? HAHAHAH!"
    Eher dieses Lehrerehepaar, das sein Sexleben durch erotische Rollenspiele beleben will, sich aber stets in den eigenen Rollenvorgaben verheddert
    "Jörg! - Also ich kann doch nicht mit 'ner Frau ins Bett gehen, die zur Prostitution gezwungen wird. Ist doch furchtbar. - Jörg! Du bist ein italienischer Macho und willst mich ins Bett kriegen und nicht ins Frauenhaus."
    Er nimmt sich die Spezies des deutschen Fernsehproduzenten zur Brust.
    "Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Das ist wirklich passiert. Ich gebe einem Produzenten einen Text, der liest also (frenetisch lautes Lachen). Können wir nicht machen. - Was? – Ne, ne, ich habe jetzt rein privat gelacht."
    Und für Fans seines Bestsellers "Macho Man", der gerade verfilmt wird, gibt's auch neue Geschichten aus dem Leben seiner Alter Ego-Hauptfigur Daniel Hagenberger.
    "Meine Augen hafteten an einem Balett-Tütü, das an einem Kleiderbügel von außen am Schrank hing. Die bloße Vorstellung, Gabi darin tanzen zu sehen, führte zu einer derartigen Blutleere in meinem Kopf, dass ich in einen tranceartigen Zustand geriet."
    Ein Panoptikum deutscher Befindlichkeiten also - ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Roter Faden zwischen den 12 Geschichten: ein schwäbelnder Humorprofessor, der auf die Einhaltung der DIN-Normen für einen gelungenen Satireabend achtet:
    "Oh, Herr Netenjakob, s‘war so luschtig. Ich musste richtich an mich halten, sonscht wäre es aus mir rausgeplatscht."
    So produziert Moritz Netenjakob locker mehrstimmige Sketche und witzige Dialoge mit bisweilen prominent klingender Unterstützung.
    (Udo Lindenberg:) "Ey is ja voll der panikmäßige Hammer!"
    Ohne Scheu, auch mal niveaulos zu wirken.
    (Udo Lindenberg:) "Muss man durch!"
    Vortragskunst entschädigt für Zoten
    Moritz Netenjakob - ein komisches Chamäleon in kargem Bühnenambiente: ein Tisch mit Mikrofon, Skript und dem Autor zwischen zwei Postern, die Bücherregale zeigen, in denen sich Netenjakob-Devotionalien und Programmillustrationen befinden: etwa Buchhinweise auf seine Vorbilder: Loriot, John Cleese oder Otto.
    "Fehlt nur noch die gesetzlich vorgeschrieben Conclusio. - Ach Sie meinen so ne Art Fazit? - Exakt."
    Der Abend ist extrem lustig, keine Frage, wobei es weniger die gebauten Pointen sind, die das Premierenpublikum zu begeistern scheinen, als viel mehr Moritz Netenjakobs Vortragskunst, seine Stimmimitationen, die seine Gags befördern. Dass er sich manchmal zotig gibt, nimmt das Publikum auch in ehrwürdigen Kabaretttempeln längst nicht mehr übel. - Nur eine seiner Figuren ist sauer.
    (Hallervorden:) "Es gab ja heute keine einzige Hallervorden-Immitation. Das geht ja gar nicht. Is doch pille palle."