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Morton Feldman

* Musikbeispiel: Morton Feldman - Anfang aus: "De Kooning" Diese Musik tritt sehr leise und behutsam in Erscheinung. Ton für Ton ist sie mit einer anderen Klangfarbe verbunden. Was sich am Anfang von Klangereignis zu Klangereignis einzeln vorantastet - die ersten beiden Klänge haben die gleiche Tonhöhe und klingen doch, als ob es verschiedene Töne sind -, erhält bald eine Art Zweiergruppierung. * Musikbeispiel: Morton Feldman - aus: "De Kooning" Die Komposition, aus der Sie, meine Hörerinnen und Hörer den Anfang hörend nachvollzogen haben, ist das älteste Stück auf einer Compactdisc mit vier Stücken des gleichen, seit Anfang der achtziger Jahre auf eine eigenartige Weise sehr berühmt gewordenen Komponisten. Nach seinem Tod 1987 wuchs sein Ruhm noch einmal an. Und gerade das etwas Rätselhafte seiner Musik wie seiner Schriften, meist frei gehaltenen Vorträge und Gespräche zieht nicht nur ein Publikum magisch an, sondern auch eine große Zahl junger Musikwissenschaftlerinnen und Musikwissenschaftler.

Reinhard Oehlschlägel | 01.06.2000
    Ich denke, viele von Ihnen haben erkannt oder zumindest geahnt, dass Sie Musik von dem 1926 in New York geborenen Morton Feldman hören. Es handelt sich um die Komposition mit dem Titel "De Kooning", also eine dem zur Zeit der Entstehung des Stücks in New York lebenden niederländischen Maler Willem de Kooning huldigende Musik für Violine, Violoncello, Horn, die von einem Musiker gespielten Tasteninstrumente Klavier und Celesta und Schlagzeug aus dem Jahr 1963, das der Autor des Textes im Beiheft allerdings auf 1966 datiert. Das ganz eigenartig Charakteristische von Feldmans späterer legendärer Musik lässt sich gleichwohl auch diesem früheren Stück abhören. Das klanglich Schwebende, allzu deutliche Akzente, Betonungen, Taktschwerpunkte, bestimmte Tempogebungen und allzu eindeutige Instrumentenzuordnungen und Tonalitäten aller Art systematisch Meidende hat auch "De Cooning" mit späteren Schlüsselwerken wie "Why Patterns?" und "Crippled Symmetry" gemeinsam. Es ist nur wesentlich kürzer als die meisten späteren Arbeiten. Auch auf der mit einem "Copyright Vermerk 2000" des Plattenproduzenten Koch International Classics versehenen neuen Feldman-Platte des New Millenium Ensemble aus New York ist "De Cooning" nicht nur das älteste, sondern auch das kürzeste Stück. Die gut elf Minuten dieser Aufnahme könnten in einer anderen Interpretation allerdings auch etwas länger oder kürzer ausfallen, gehört doch "De Cooning" innerhalb von Feldmans Œuvre in eine Phase, in der zwar die Tonhöhen und die Instrumentation exakt notiert, die Dauern und die Tempi dagegen in Grenzen variabel sind. * Musikbeispiel: Morton Feldman - Schluss aus: "De Kooning" Um es kurz anzudeuten, Morton Feldman, der bei Wallingford Riegger und dem aus Berlin über Wien und Tel Avis in die USA emigrierten ehemaligen Busoni- und Webern-Schüler Stefan Wolpe Komposition studiert hatte, erhielt seine entscheidenden Anregungen zu einer experimentellen Kompositionsästhetik 1950 durch John Cage, mit dem er, Earle Brown und Christian Wolff Anfang der fünfziger Jahre in einen engen Austausch von Ideen und zu einem gemeinsamen Organisieren und Aufführen ihrer Musik gekommen waren. In dieser Phase komponierte Feldman nach Zufallsoperationen in graphischer Notation, wobei die Tonhöhen lediglich als Hoch, Mittel und Tief festgelegt waren, innerhalb derer der Musiker frei entscheiden konnte. Schon 1953 kehrte Feldman - anders als Cage - zu einer jedenfalls die Tonhöhen wieder in herkömmlicher Weise festlegenden Notation zurück. Und um 1970 nimmt der Komponist wiederum anders als John Cage auch die herkömmliche Strategie der Dauernotation wieder auf, freilich ohne die Grundcharakteristiken aufzugeben. Am Beispiel der Taktschwerpunkte zum Beispiel klingt es paradox, wieder Takte und exakte Tempoangaben zu benutzen, die eigentlich nur notwendig sind, wenn man eine periodische Taktmetrik erzeugen will. So benutzt Feldman nun ständige Taktwechsel, wechselnde Unterteilungen wie Hemiolen, Triolen, Quartolen, Quintolen und so weiter und über die Taktschwerpunkte gebundene Werte, damit nur ja keine Taktschwerpunkte hörbar werden. Die auf der gleichen Platte enthaltenen Septette "For Frank O'Hara" von 1973 und "Instruments One" von 1974 gehören in diese Phase. Hier der Beginn von "Instruments One" für Altflöte, Oboe, Posaune, Celesta zwei Schlagzeuger und Dirigent von 1974. * Musikbeispiel: Morton Feldman - aus: "Instruments One" Die Besetzung von "Instruments One" ist etwas größer, aber ähnlich der von "De Kooning" aus Schlagzeug, Celesta und einem Blechblasinstrument, das zumeist mit Dämpfer gespielt wird. An die Stelle der Streicher aber treten Holzbläser. Auch hier gibt es den ständigen Wechsel von Instrumentalfarben. Durch die etwas größere Besetzung aber entsteht der Eindruck von einer größeren Dichte und einem engeren Zusammenhang, stellenweise sogar von einem Klangfluss und von einer etwas größeren Dauer von etwa siebzehn Minuten.

    Die Schlüsselwerke im Übergang zu Feldmans Kompositionen der achtziger Jahre haben dagegen zunächst wieder kleinere Besetzungen, aber wesentlich größere Gesamtdauern. Das erste dieser Art "Why Patterns?" von 1978, das ursprünglich den Titel "Instruments Four" trug, ist ein Trio für Violine, Klavier und Schlagzeug, das Feldman 1979 für einen Flötisten, einen Tasteninstrumentalisten und Schlagzeug mit exakten Tonhöhen uminstrumentiert hat. Der Schlüsselbegriff für Feldmans späteres Komponieren wird im Titel angedeutet, Pattern, Muster. die Einzelelemente sind kleine Motive, auch Akkorde, sogar Einzeltöne, die mehr oder weniger oft wiederkehren, aber nur selten wörtlich, sondern immer wieder etwas anders, zumindest in einem veränderten Kontext. Zugleich aber haben diese Veränderungen keine Richtung wie in Schönbergs Vorstellung von entwickelnder Variation, sondern sind sozusagen richtungslos aneinandergefügt. Auch dieses Verfahren trägt zu dem eigentümlichen Schwebezustand der Musik von Feldman bei.

    Auch das jüngste Stück der Feldman-Platte mit dem Titel "Bass Clarinet and Percussion" von 1981 ist eine Pattern-Komposition in Triobesetzung. Mit gut siebzehn Minuten Dauer ein eher wieder kürzeres Werk aus der letzten Phase von Feldmans Musik ist diese Musik, wie der Titel sagt, für eine Bassklarinette und Tonhöhen spielende Schlagzeuginstrumente geschrieben, die von zwei Schlagzeugern gespielt werden.

    Die Interpreten dieser Morton-Feldman-Platte mit eher selten zu hörenden Stücken sind Mitglieder oder Gastinterpreten des "New Millenium Ensemble", das nicht erst in diesem oder im letzten Jahr, sondern bereits 1990 in New York gegründet worden ist, also zur gleichen Zeit oder doch kurz nach der Gründung des spektakulären "Bang On A Can"-Festivals und der "Bang On A Can All Stars", die ihrerseits die von der alternativen Musikszene selbst organisierten New Music America-Festivals ablösten. Wie die Aufnahme von Koch International Classics zeigt, gehört das also erst nach Feldmans Tod gegründete Ensemble den Musikern folgend, für die Feldman geschrieben hat und die seine Stücke uraufgeführt haben, zur zweiten Generation, die sich ernsthaft für die Musik von Feldman interessieren. Sie sind daher mit den zahlreichen jungen Musikwissenschaftlerinnen und Musikwissenschaftlern zu vergleichen, die in den neunziger Jahren zum Teil aufschlussreiche Magister- und Doktorarbeiten über Feldmans Musik und Musikdenken vorgelegt haben. Weniger geglückt ist dagegen das Äußere der Platte und ihrer visuellen Präsentation, ein ganz symmetrisches Muster aus dem Mosaikfußboden der San Marco-Kirche in Venedig. Feldman liebte asymmetrische Muster zum Beispiel anatolischer Teppiche, die er mit der gleichen Leidenschaft sammelte wie die Bilder der sogenannten abstrakten expressionistischen Maler in New York. Die Aufnahmen selbst sind im Januar 1998 in einem Saal des Performing Arts Center der State University of New York Purchase in Harrison unter anderem mit Hilfe des Yvar Mikhashoff Trust for New Music entstanden. Mikhashoff gehörte zu den Uraufführungsinterpreten und Kollegen von Feldman an der State University of New York in Buffalo, an der Feldman auf dem sogenannten Edgard-Varèse-Lehrstuhl für Komposition unterrichtet hat.

    Zum Schluss noch die Wiedergabe eines größeren Ausschnitts vom Schluss des jüngsten Stücks der Feldman-Platte, "Bass Clarinet and Percussion" von 1981 mit dem New Millenium-Ensemble, hier mit Marianne Gythfeldt, John Ferrari und Tom Kolor. * Musikbeispiel: Morton Feldman - Schluss aus: "Bass Clarinet and Percussion"