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"Moskauer Vertrag" vor 50 Jahren
Ein kleiner Schritt in Richtung Wiedervereinigung

Mit dem sogenannten Moskauer Vertrag zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion begann vor 50 Jahren die Ära der Entspannungspolitik. Damit startete auch eine Phase der Normalisierung der Beziehungen zwischen der fest in den Westen integrierten Bundesrepublik und ihren osteuropäischen Nachbarn.

Von Bert-Oliver Manig |
    Demonstration der Friedensbewegung für die Ratifizierung der Ostverträge.
    Demonstration der Friedensbewegung für die Ratifizierung der Ostverträge (picture alliance / dpa / Klaus Rose)
    Nur zehn Monate nach ihrer Bildung konnte die sozial-liberale Koalition unter Willy Brandt das erste handfeste Ergebnis ihrer umstrittenen Entspannungspolitik vorweisen: Am 12. August 1970 unterzeichneten die Regierungschefs und Außenminister der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion im Kreml den "Moskauer Vertrag":
    "Die Bundesrepublik Deutschland und die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken werden ihre Streitfragen ausschließlich mit friedlichen Mitteln lösen und übernehmen die Verpflichtung, sich der Drohung mit Gewalt oder der Anwendung von Gewalt zu enthalten. Die Bundesrepublik Deutschland und die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken stimmen in der Erkenntnis überein, dass der Friede in Europa nur erhalten werden kann, wenn niemand die gegenwärtigen Grenzen antastet."
    50 Jahre Moskauer Vertrag
    Er war eine wichtige Wegmarke für die Entspannung zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion – der Moskauer Vertrag, ausgehandelt und angestoßen von der sozialliberalen Bundesregierung unter Willy Brandt.
    Der gegenseitige Gewaltverzicht war keine Vertragslyrik, sondern vielmehr der realpolitische Kerngedanke des deutschen Unterhändlers Egon Bahr. Er berücksichtigte vitale Interessen beider Seiten: Die Bundesrepublik entsagte damit jeder aktiven Revisionspolitik und erkannte die Existenz der DDR und die sowjetische Hegemonie in Ostmitteleuropa an, was für Moskau nach der Niederschlagung des Prager Frühlings und angesichts der akuten Spannungen mit der Volksrepublik China ebenso wichtig war wie die Aussicht auf Handelsbeziehungen mit der Bundesrepublik.
    Ein kleiner Schritt zur Einheit
    Umgekehrt waren Moskauer Interventionsdrohungen wegen neofaschistischer Tendenzen in Westdeutschland nun passé. Die Bundesrepublik konnte von der östlichen Propaganda nicht länger als revanchistisches Regime denunziert werden, das mit Hilfe der NATO die deutschen Ostgebiete zurückerobern wolle. Der DDR-Führung musste es nun sehr viel schwerer fallen, menschliche Kontakte zwischen beiden Teilen Deutschlands auf Dauer zu verhindern. Noch aus Moskau gab Bundeskanzler Brandt dieser Hoffnung in einer Fernsehansprache vorsichtigen Ausdruck:
    "Morgen sind es neun Jahre her, dass die Mauer gebaut wurde. Heute haben wir, so hoffe ich zuversichtlich, einen Anfang gesetzt, damit der Zerklüftung entgegengewirkt wird, damit Menschen nicht mehr im Stacheldraht sterben müssen, bis die Teilung unseres Volkes eines Tages hoffentlich überwunden werden kann."
    9. November 1989, Menschen stehen auf der Berliner Mauer vor dem Brandenburger Tor und feiern den Mauerfall
    Mauerfall 1989 - Als sich Deutsche aus Ost und West in den Armen lagen
    Jahrzehntelang waren die Bundesrepublik und die DDR durch eine streng bewachte Grenze geteilt. Doch das Volk setze im Herbst 1989 das SED-Regime unter Druck: Eine unbedachte Äußerung ließ dann alles schnell gehen.
    Kein Wunder, dass die SED-Führung, die in der DDR bereits eine sozialistische Nation auf deutschem Boden erkennen wollte, die Annäherung zwischen Bonn und Moskau zu hintertreiben versuchte. Doch dem Kreml war der Ausgleich mit der Bundesrepublik so wichtig, dass er sogar einige Kröten schluckte, wie Brandt an den schwedischen Regierungschef Olof Palme berichtete:
    "Wir haben besonderen Wert darauf gelegt, der sowjetischen Seite klarzumachen, dass die Bundesregierung nicht darauf verzichtet, mit friedlichen Mitteln weiterhin nach der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands zu streben. Wir haben unterstrichen, dass für uns außerdem eine befriedigende Sicherung des gegenwärtigen Status von West-Berlin eine unabdingbare Voraussetzung für die Ratifizierung bildet."
    Lob aus der CDU
    Der Moskauer Vertrag war ein beachtlicher Erfolg der westdeutschen Diplomatie, die eng mit den USA abgestimmt war. Hinter vorgehaltener Hand räumte sogar der frühere CDU-Außenminister Gerhard Schröder gegenüber dem Sozialdemokraten Helmut Schmidt ein:
    "Ich kann es so natürlich nicht öffentlich sagen, aber der Vertrag ist gewiss nicht schlecht."
    Besonders gefielen Schröder die "schwebenden Formulierungen in den wichtigen Punkten", mit denen die deutsche Frage offengehalten wurde. Aufgegeben wurden nur unrealistische Versprechungen auf die Rückkehr in die Heimat im Osten, wie Brandt mit Nachdruck hervorhob:
    "Mit diesem Vertrag geht nichts verloren, was nicht längst verspielt worden war. Wir haben den Mut, ein neues Blatt in der Geschichte aufzuschlagen."
    Innenpolitisch war die neue Ostpolitik ein beträchtliches Risiko für SPD und FDP. Vertriebenenpolitiker liefen zur CDU über und die Union konnte der Versuchung nicht widerstehen, Brandt zu stürzen. Das misslang nur knapp. Die verbitterte Opposition der Union gegen die Ostverträge führte sie für ein Jahrzehnt ins politische Abseits. Erst Helmut Kohl bekannte sich 1982 nüchtern zur Kontinuität der Entspannungspolitik und wandte deren Rezeptur 1990 noch einmal an.