Der Youtube-Kanal ist bislang noch wenig bekannt, sein Macher jedoch sehr wohl: der islamische Theologe Mouhanad Khorchide ist unter die Influencer gegangen.
Fast 700 Follower hat der prominente Gelehrte und Autor in fünf Jahren gesammelt. Die Portale von Salafisten zählen hingegen Hunderttausende Follower. Sie arbeiten mit Effekten oder unterlegter Musik. In seinen Youtube-Videos sitzt der Professor an seinem Schreibtisch im dunklen Anzug. Eingerahmt von zahlreichen Vasen, Blumen und Leuchtern spricht er in die Kamera.
"Salam, ihr Lieben! Die meisten Fragen, die ich von Muslimen bekomme, gehen in die Richtung: Darf ich das machen, darf ich jenes machen. Ist das im Islam erlaubt oder ist das verboten. Ich möchte den heiraten und der ist kein Muslim, darf ich das? Darf ich ein Piercing tragen, darf ich vielleicht aus dem Supermarkt essen? Ich bekomme viele solche Fragen..."
Professor vs. selbsternannte Experten
Der Islam-Professor versucht eine Lücke in den sozialen Medien zu füllen. Denn bislang überwiegen auf Youtube die Botschaften salafistischer, extrem konservativer, selbsternannter Islam-Experten. Die äußern sich vielfach darüber was "halal" oder "haram", was erlaubt oder nicht erlaubt sei. Den Salafisten mit ihrem einseitigen Islamverständnis wolle er nicht das Feld überlassen, sagt Mouhanad Khorchide. Seinen Youtube-Kanal habe er schon vor längerer Zeit eingerichtet. Jetzt aber wolle er verstärkt die Fragen von jungen Muslimen aufgreifen und beantworten.
Er sagt: "Zielgruppe meiner Videos sind in erster Linie junge Muslime, die nach einem anderen Verständnis vom Islam suchen. Ein Verständnis jenseits einer Gesetzesreligion, wo es nur um Unterwerfung unter das Gesetz geht, um Erlaubtes, Verbotenes geht. Viele junge Leute fragen mich: 'Wie ist das Gottesbild im Islam, ich habe Sehnsucht nach einer religiösen Erfahrung im Sinne einer spirituellen Erfahrung. Aber mit welchem Gott habe ich es zu tun?
In meiner Sozialisation habe ich nur vom Angst machenden Gott, von einem restriktiven Gott gelesen, aber im Koran lese ich von einem liebenden, einem barmherzigen Gott.' Viele junge Muslime wollen mehr erfahren über diesen koranischen Gott und was es heißt, dass die Gott-Mensch-Beziehung eine Liebesbeziehung ist, keine die einfach nur als Unterwerfungsbeziehung aufzufassen ist."
Video in eigener Sache
Über Facebook können Muslime und Interessierte ihre Fragen an Mouhanad Khorchide stellen. Ab und zu geht es um komplexere theologische Fragen zur muslimischen Praxis.
Gerade hat er in eigener Sache ein Video zu seinem neuen Dachverband auf die Seite gestellt. "Muslimische Gemeinschaft NRW" heißt der im März gegründete Verein. Er soll auch Ansprechpartner für die Schulbehörde werden. Prominentes Mitglied im Verband ist die CDU-Politikerin Serap Güler, die Staatssekretärin im Integrationsministerium ist.
Khorchide sagt: "Das Hauptziel der Gründung des Vereins 'Muslimische Gemeinschaft NRW' ist die Vielfalt noch sichtbarer zu machen. Wir wissen ja, dass im besten Fall 20 Prozent der Muslime organisiert sind. Das heißt, die etablierten muslimischen Gemeinden und Vereine sprechen gerade für 20 Prozent, also für eine Minderheit der Muslime. Aber was ist mit den anderen, mit den 80 Prozent, mit der Mehrheit der nicht organisierten Muslime, die vielleicht ein anderes Verständnis vom Islam haben als die etablierten Verbände."
Anderen Lesarten ein Gesicht geben
Khorchide will den nichtorganisierten Muslimen eine Plattform bieten, auf der sie sich einbringen und vernetzen können. Sein Anliegen:
"Dass gerade solche eher liberaleren Aspekte, progressive, aufgeklärte Positionen innerhalb der islamischen Lehre sichtbarer werden und auch stärker kommuniziert werden. Denn wir haben das Problem in Deutschland, dass das Bild des Islam sehr einseitig ist, man assoziiert den Islam mit Gewalt und Frauenbenachteiligung. Mit einem wörtlichen Verständnis vom Koran. Aber es gibt andere Lesarten und genau diesen Lesarten möchten wir ein Gesicht geben."
Mit Gleichberechtigung meint es der neue muslimische Dachverband ernst: Im Vorstand sind einige Frauen aktiv. Der Dachverband will sich darüber hinaus dafür einsetzen, dass Frauen gleichberechtigt in Moscheen vorbeten können und als Imamin akzeptiert werden. In der alten islamischen Tradition aus der Prophetenzeit hätten Frauen schon mal besser dagestanden, bevor sich patriarchale Strömungen durchgesetzt hätten. Diese Tradition, werde heute kaum rezipiert, beklagt der islamische Theologe.
Imaminnen erwünscht
"Und wenn eine Frau kommt und sagt: Ich möchte Imamin werden - also vor den Männern stehen und beten oder die Predigt halten - wird ihr vorgeworfen, dass das eine antiislamische Haltung ist. Dabei haben wir authentische Überlieferungen, die auf den Propheten Mohammed zurückgehen. Wo der Prophet selbst eine Frau beauftragt hat, als Imamin vor Männern tätig zu sein. Deshalb finden wir in der islamischen Ideengeschichte verschiedene Positionen, die sich auf den Spruch Mohammeds berufen und überhaupt kein Problem damit sehen, dass Frauen vor Männern tätig sein können."
Korchide sagt, es sei eine Anmaßung, zu behaupten, dass Gott Gebete von der Gemeinde nicht annähme, wenn eine Frau vorbetet. Mit dieser Haltung setze man sich an die Stelle Gottes. Wer könne wissen, welche Gebete er annähme und welche nicht?
"Das sind so Machtinstrumente mit denen man versucht, gerade progressive Muslime einzuschüchtern."
Tatsächlich fehlen an den Moscheen in Deutschland ausgebildete Imame. Von den 900 Studierenden in Münster in diesem Fachbereich seien es gerade fünf, die überlegen als Imam oder Imamin zu arbeiten. Der Job sei nicht besonders attraktiv und zudem schlecht bezahlt, sagt Khorchide. Die Studierenden glaubten, es lohne sich nicht fünf Jahre zu studieren, damit sie am Wochenende eine Predigt von 15 Minuten halten und noch etwas Religionsunterricht in den Moscheen anbieten. Die meisten wollten als Religions-Lehrerinnen und -Lehrer im Schuldienst arbeiten. Aber Khorchide hat schon eine Idee wie man Imame und Imaminnen aus Deutschland in die Moscheevereine bekommt anstatt sie aus dem Ausland zu rekrutieren.
"Mein Vorschlag wäre, ob man nicht die Religionslehrer, die an den Schulen sind, ob man sie nicht für zwei oder drei Stunden abordnen will, damit sie in den Moscheen am Freitag die Predigt halten und den Religionsunterricht für das Wochenende konzipieren – sie müssen ihn nicht selbst anbieten –, sodass er harmoniert mit dem Religionsunterricht an den Schulen."