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mRNA als neues Konzept der Medizin
Es beginnt mit einer Impfung

Im Moment sind sie die Hoffnungsträger im Kampf gegen die Corona-Pandemie: die mRNA-Impfstoffe von Biontech, Moderna und demnächst wohl auch Curevac. Aber das Wirkprinzip mit der eingeschleusten RNA könnte der Medizin ganz neue Behandlungsmethoden eröffnen - auch bei Krebs, Alzheimer oder Diabetes.

Moderation: Arndt Reuning |
Das Foto zeigt eine Impfstoffdose von Pfizer-BioNtech.
Hoher Zeitdruck, große Finanzierungsbereitschaft: COVID-19 hat den Durchbruch für mRNA-Impfstoffe gebracht. (imago)
BNT162b2, mRNA-1273 oder dann demnächst wohl CVnCoV - das sind Kürzel für zwei hochwirksame Impfstoffe und einen Impfstoffkandidaten gegen COVID-19. Die Vakzine sind von den Unternehmen BioNTech, Moderna und CureVac in Rekordzeit entwickelt worden - und alle drei beruhen auf demselben Wirkprinzip: Sie schleusen den Bauplan eines bestimmten Virusmoleküls in die menschlichen Körperzellen hinein, wo dann das Immunsystem auf den Eindringling angesetzt wird.
Doch der Eindruck täuscht, dass diese mRNA-Impfstoffe quasi über Nacht vom Himmel gefallen sind. Hinter dem Wirkprinzip steht ein Konzept, das erstmals vor dreißig Jahren beschrieben und seitdem konsequent weiterentwickelt wurde. In der Coronakrise hat diese neue Klasse von Impfstoffen nun ihre Bewährungsprobe zu bestehen.
Ein Pionier bei der Entwicklung des mRNA-Wirkprinzips ist der Biologe Ingmar Hoerr. Er hat im Jahr 2000 das Biopharmazie-Startup CureVac in Tübingen mitgegründet, war Aufsichtsrats- und Vorstandsvorsitzender. Im März 2020 erlitt Ingmar Hoerr bei einer Dienstreise in Berlin eine Gehirnblutung und lag lange Zeit im künstlichen Koma - jetzt ist er wieder auf dem Weg der Genesung; zuhause bei seiner Familie in der Rehabilitation.
Dr. Ingmar Hoerr steht in den Räumen CureVac GmbH im Technologiepark Tübingen-Reutlingen, Gründerzentrum für Biotechnologie vor Laborgeräten
Unser Gesprächspartner: Dr. Ingmar Hoerr, Mitgründer der CureVac GmbH (www.imago-images.de/imageBROKER/Martin Storz )

"Heureka-Moment" bei der Doktorarbeit

Lässt sich mit RNA tatsächlich eine Immunantwort in Zellen erzeugen? Das war die Fragestellung bei Hoerrs Doktorarbeit im Jahr 2000 - und beim entscheidenden Experiment konnte der Biologe das Ergebnis zunächst einmal selbst nicht ganz glauben: "Man muss ja immer auch Negativ-Kontrollen fahren in einem Versuch. Und ich hab gedacht, ich hab die Negativ-Kontrolle mit der Positiv-Kontrolle vertauscht. Und ich hab's dann nochmal gemacht und hab dann wirklich Wert darauf gelegt, meine Sinne beieinander zu halten und alles so zu machen, dass es auch stimmt. Und auch da war es dann wieder so. Also in dem Moment hab ich wirklich 'Heureka' gesagt."
Neuer Zweig der Medizin: mRNA ist mehr als nur ein Impfstoff

RNA – die drei Buchstaben stehen für Ribonukleinsäure. Möglicherweise begann das Leben auf der Erde sogar mit diesem Biomolekül. Die entsprechende Theorie spricht von einer RNA-Welt, aus der die DNA-Welt hervorgegangen ist. Schon mehrere Nobelpreise für Medizin oder Chemie wurden an RNA-Forschende verliehen. Erst letztes Jahr gab es einen Chemie-Nobelpreis für die Entwicklerinnen der Crispr/Cas-Genschere. Auch dieses biochemische Werkzeug funktioniert mit RNA. Was RNA auszeichnet und warum es jetzt auch die Medizin erobert, erklärt Michael Lange.
Neuer Zweig der Medizin: mRNA ist mehr als nur ein Impfstoff (05:18)

COVID-19 bringt Durchbruch für mRNA-Impfstoffe

Eine globale Pandemie mit immensen Belastungen für die Gesundheitssysteme und die Weltwirtschaft - es ist letztlich der Leidensdruck durch COVID-19, den den Weg endgültig frei macht für ein schon lange vielversprechendes Konzept: "Wahrscheinlich hat es das wirklich gebraucht. Die Schnelligkeit ja - RNA Impfstoffe sind sehr, sehr schnell zu machen - und letztlich auch die finanzielle Unterstützung, die wir ja jahrelang vermisst haben. Das war alles wahrscheinlich die ideale Umgebung, um sowas auch herzustellen und zu machen. Und mich freut es natürlich auch, dass Biontech und Moderna da vorangeschritten sind. Es ist ganz gut, dass es auch schnelle Impfstoffe gibt, die jetzt da sind; und es ist gut, dass auch der Curevac-Impfstoff dann folgen wird."
Ein Laborant hantiert mit Proben in einer Sicherheitswerkbank bei der CureVac GmbH im Technologiepark Tübingen-Reutlingen
Ein Laborant hantiert mit Proben in einer Sicherheitswerkbank (www.imago-images.de/imageBROKER/Martin Storz )

Die Rezeptur bestimmt die Impfstoff-Eigenschaften

Die Vakzine von Biontech, Moderna und demnächst von Curevac beruhen alle auf dem gleichen Wirkprinzip - aber trotzdem können die mRNA-Impfstoffe sehr unterschiedliche Eigenschaften haben. Die bereits zugelassenen müssen z.B. bei sehr tiefen Minusgraden gelagert werden, beim kommenden Vakzin von Curevac wird Kühlschranktemperatur reichen. Es komme auf die "Formulierung", also die genaue Zubereitung der mRNA an, betont Ingmar Hoerr. Das beträfe zum einen die "Verpackung" des Moleküls in den umhüllenden Fett-Tröpfchen, den Nano-Lipiden. "Aber das andere ist auch die Lösung, also die Salzbestandteile in der Lösung, die auch einen ganz großen Effekt auf diese RNA haben. Es ist ganz wichtig, die Ladungen z.B. des Moleküls zu berücksichtigen. Da kann man ein bisschen dran tüfteln - also in der Formulierung kann man wirklich Arbeit investieren und kann das verbessern."
Therapeutische Impfung: mRNA gegen Krebs

Die Impfung gegen das Corona-Virus SARS-CoV-2 brachte der mRNA den Durchbruch in der Medizin. Die meiste Arbeit steckten die mRNA-Forschenden jedoch bislang nicht in die Impfung gegen Infektionskrankheiten, sondern in ein anderes Projekt. Sowohl in den Universitäten als auch in der Biotechnologie suchte man nach einer individualisierten Krebstherapie mit mRNA. Nach mehr als zehn Jahren Forschung laufen mittlerweile die ersten klinischen Studien. Aber alles dauert deutlich länger als bei der Impfung gegen SARS-CoV-2, wie Michael Lange berichtet.
Therapeutische Impfung: mRNA gegen Krebs (04:31)

Fehlschlag bei Impfstoff gegen Prostatakrebs

Auch bei Ingmar Hoerr und Curevac lag der Fokus zunächst auf der Entwicklung von möglichen Therapien gegen Krebs. Das Unternehmen hatte einen Impfstoff-Kandidaten gegen Prostatakrebs in der Entwicklung - im Jahr 2017 war der dann aber in einer Phase-2-Studie gescheitert. Ingmar Hoerr: "Man darf nicht unterschätzen: Krebszellen sind in Anführungszeichen 'intelligent', also die mutieren sich einfach weg. Und da war es auch so, dass wir damals noch nicht so diese optimalen Formulierungen hatten. Krebszellen sind häufig so, dass sie das Immunsystem runterregulieren können. Und das muss man durchbrechen. Also das ist sehr, sehr schwierig und ein dickes Brett."
Ein Mann pipettiert in einem Labor des biopharmazeutischen Unternehmens Curevac eine blaue Flüssigkeit.
Auch das Tübinger Unternehmen CureVac hat einen vielversprechenden Corona-Impfstoff entwickelt (dpa/Sebastian Gollnow)

Individuelle Krebstherapie mit eigens "gedruckter" RNA

Die nun gesammelten Erfahrungen mit den im Vergleich zu Krebszellen "viel dümmeren" Coronaviren könnten aber auch der mRNA-Krebstherapie einen entscheidenden Schub geben, glaubt Hoerr - bis hin zu einer individuellen Therapie, die sich momentan noch sehr visionär anhört: "Krebszellen mutieren sich ja immer wieder und man muss die Mutation untersuchen und kann relativ schnell diese RNA ausdrucken. Und das ist eine Sache, die wir mit Tesla zusammen entwickeln; dass wir mobile Drucker haben, die dann bei Arztpraxen z.B. zum Einsatz kommen, wo man dann ganz individuell für den Patienten das Medikament ausdrucken kann, was er braucht."

Potenzial auch bei Demenz, Enzymdefekten und Diabetes

Die körpereigenen Zellen als individuelle Pharmafabriken, die ihre Medikamente oder benötigten Stoffe selbst herstellen, vorausgesetzt, man liefert ihnen den richtigen Bauplan - mit dem mRNA-Wirkprinzip sei letztlich alles denkbar. "Da kann man natürlich an die ganzen Mangelgeschichten, an Enzymmangeldefekte oder sowas, z.B. Diabetes könnte man da denken. Man könnte sogar gegen Altern irgendwas machen, also Demenzerkrankung und so weiter. Man muss einfach nur verstehen, was sind die Ursachen. Und dann kann man das auf die RNA programmieren."