Tobias Armbrüster: Ich begrüße den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz. Schönen guten Morgen, Herr Polenz.
Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Polenz, was kann die Bundesregierung tun in dieser Situation in Ägypten?
Polenz: Nun, in Ägypten geht es jetzt vor allen Dingen darum, dass die Europäische Union der Regierung deutlich macht, gegen die Demonstranten nicht gewaltsam vorzugehen. Ich denke, hier muss eine klare Botschaft an die ägyptische Führung gesandt werden, denn Sie haben es ja gerade auch in dem Gespräch gehört: die Demonstranten haben friedlich demonstriert, sie fordern demokratische Rechte ein und sie fordern ein, dass sie selber über ihre Regierung frei und fair entscheiden können. Und zu den Ursachen der Demonstrationen gehört ja sicherlich einmal, was in Tunesien geschehen ist, und zum anderen die Erinnerung an die Wahlen, die in einer Weise nicht fair und frei waren, dass sie zusätzlich diese Demonstrationen befeuern.
Armbrüster: Ich glaube, viele Menschen, auch viele unserer Zuhörer reiben sich da in diesen Tagen ein bisschen die Augen, denn wenn wir mal zum Beispiel uns Ungarn ansehen, wenn dort eine Regierung ein umstrittenes Mediengesetz nur erlässt, dann beschäftigt das in Europa die höchsten Etagen der Regierungszentralen. Wenn dagegen Länder wie Tunesien oder auch Ägypten jahrzehntelang zweifelhafte demokratische Wahlen zulassen, dann scheint das in Europa niemand zu kümmern. Sind europäische Politiker da auf einem Auge blind?
Polenz: Zunächst einmal, der Vergleich mit Ungarn hinkt deshalb etwas, weil Ungarn gehört zur Familie der Europäischen Union und wir haben einen Klub gegründet aus Demokratien, die sich in ganz besonderer Weise auch den Menschenrechten, dem Rechtsstaat und dann in diesem Zusammenhang eben auch der Pressefreiheit verpflichtet fühlen, und das wird da angemahnt. Was aber jetzt die Länder des Nahen Ostens angeht, ist es sicherlich so, dass man lange Zeit geglaubt hat, man habe nur die Alternative zwischen mehr oder weniger autoritären Regierungen oder islamistischem Chaos, und hat sich dann für die Unterstützung der autoritären Regierungen entschieden, auch wenn in den Assoziierungsabkommen, die mit der Europäischen Union geschlossen sind, auch Verpflichtungen zur Einhaltung der Menschenrechte drinstehen. Etwa in den Abkommen mit Tunesien hat sich die Europäische Union darum nicht sehr gekümmert, was ich immer sehr bedauert habe.
Richtig ist aber – und das macht Tunesien deutlich und ich denke, das sieht man jetzt auch in Ägypten -, dass autoritäre Regierungen nicht schützen auf Dauer vor Islamismus. Sie sind im Gegenteil eher ein Brutkasten dafür, dass es islamistische Strömungen gibt und dass sie stärker werden, weil nämlich die öffentliche politische Diskussion verboten ist, die Opposition ist verboten, die Pressefreiheit sehr stark eingeschränkt, und das verlagert die Diskussion in die Moscheen, weil nämlich die Religion, die ja die ganze Bevölkerung bekennt und zu der sie sich bekennt, nicht verboten werden kann. Damit werden auch politische Forderungen teilweise religiös eingekleidet, damit man sich schützt. Es ist eine ähnliche Entwicklung, diese Flucht in halbwegs geschützte Räume, auch für politische Diskussionen, wie wir sie seinerzeit in der DDR erlebt haben.
Armbrüster: Herr Polenz, heißt das, auch wir in Deutschland müssen stärkeren auch diplomatischen Druck auf Länder wie Ägypten und Tunesien ausüben?
Polenz: Also es geht jetzt zunächst einmal vor allen Dingen auch um Tunesien. In Ägypten habe ich gesagt, was die Forderungen sein sollten. In Tunesien ist man ja schon ein ganzes Stück weiter, denn der Machthaber Ben Ali hat das Land verlassen und es geht jetzt dort darum, der Übergangsregierung sehr klar zu machen, dass sie wirklich nur eine Übergangsregierung ist und vor allen Dingen die Aufgabe hat, freie und faire Wahlen vorzubereiten, und dafür muss man als Erstes einen klaren Zeitplan fordern, und dann natürlich auch über die Bedingungen reden, die hergestellt werden müssen im Land nach so langer Unterdrückung, damit sich die Zivilgesellschaft formieren kann, damit die Pressefreiheit sich weiter festigen kann und damit die Menschen dann etwa in einem halben Jahr – viel schneller kann es nicht gehen, weil so lange braucht eine Gesellschaft, um Parteien zu gründen, um sich zu organisieren -, damit dann freie und faire Wahlen stattfinden können.
Armbrüster: Ich will noch einmal zurückkommen auf die Lage in Ägypten. Soll Hosni Mubarak in diesem Herbst noch einmal Präsident werden?
Polenz: Die Forderung, die jetzt auf der Straße erhoben wird, ist ganz klar: Er soll es nicht. Es soll auf alle Fälle eine faire und freie Präsidentschaftswahl geben.
Armbrüster: Sollten wir dann nicht vielleicht in Deutschland einmal ganz offen sagen, in Europa, Ägypten braucht eine neue Führung?
Polenz: Nein. Das wäre nach meinem Dafürhalten im Verhältnis zwischen Staaten genau ein Schritt zu weit. Europa hat niemandem vorzuschreiben, ob er in einem Land als Präsident kandidiert oder nicht. Aber Europa sollte deutlich machen, es muss eine faire Chance für andere geben, auch Präsident in Ägypten zu werden, und dann werden sich Kandidaten finden und dann wird derjenige gewählt, der die Mehrheit findet. Wir sollten uns in den Forderungen nicht - Das ist Sache der Ägypter zu sagen, Mubarak soll weg oder er soll bleiben. Das ist nicht unser Thema. Unser Thema ist, es muss faire und freie Wahlen geben, auch jetzt, wenn es um die Präsidentschaftswahl geht. Damit unterstützen wir, denke ich, in der geeigneten Weise das, was jetzt die Demonstranten zurecht fordern, nämlich mehr Freiheit.
Armbrüster: ... , sagt der CDU-Politiker Ruprecht Polenz. Er ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag. Vielen Dank, Herr Polenz, für das Gespräch.
Polenz: Bitte schön.
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Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Polenz, was kann die Bundesregierung tun in dieser Situation in Ägypten?
Polenz: Nun, in Ägypten geht es jetzt vor allen Dingen darum, dass die Europäische Union der Regierung deutlich macht, gegen die Demonstranten nicht gewaltsam vorzugehen. Ich denke, hier muss eine klare Botschaft an die ägyptische Führung gesandt werden, denn Sie haben es ja gerade auch in dem Gespräch gehört: die Demonstranten haben friedlich demonstriert, sie fordern demokratische Rechte ein und sie fordern ein, dass sie selber über ihre Regierung frei und fair entscheiden können. Und zu den Ursachen der Demonstrationen gehört ja sicherlich einmal, was in Tunesien geschehen ist, und zum anderen die Erinnerung an die Wahlen, die in einer Weise nicht fair und frei waren, dass sie zusätzlich diese Demonstrationen befeuern.
Armbrüster: Ich glaube, viele Menschen, auch viele unserer Zuhörer reiben sich da in diesen Tagen ein bisschen die Augen, denn wenn wir mal zum Beispiel uns Ungarn ansehen, wenn dort eine Regierung ein umstrittenes Mediengesetz nur erlässt, dann beschäftigt das in Europa die höchsten Etagen der Regierungszentralen. Wenn dagegen Länder wie Tunesien oder auch Ägypten jahrzehntelang zweifelhafte demokratische Wahlen zulassen, dann scheint das in Europa niemand zu kümmern. Sind europäische Politiker da auf einem Auge blind?
Polenz: Zunächst einmal, der Vergleich mit Ungarn hinkt deshalb etwas, weil Ungarn gehört zur Familie der Europäischen Union und wir haben einen Klub gegründet aus Demokratien, die sich in ganz besonderer Weise auch den Menschenrechten, dem Rechtsstaat und dann in diesem Zusammenhang eben auch der Pressefreiheit verpflichtet fühlen, und das wird da angemahnt. Was aber jetzt die Länder des Nahen Ostens angeht, ist es sicherlich so, dass man lange Zeit geglaubt hat, man habe nur die Alternative zwischen mehr oder weniger autoritären Regierungen oder islamistischem Chaos, und hat sich dann für die Unterstützung der autoritären Regierungen entschieden, auch wenn in den Assoziierungsabkommen, die mit der Europäischen Union geschlossen sind, auch Verpflichtungen zur Einhaltung der Menschenrechte drinstehen. Etwa in den Abkommen mit Tunesien hat sich die Europäische Union darum nicht sehr gekümmert, was ich immer sehr bedauert habe.
Richtig ist aber – und das macht Tunesien deutlich und ich denke, das sieht man jetzt auch in Ägypten -, dass autoritäre Regierungen nicht schützen auf Dauer vor Islamismus. Sie sind im Gegenteil eher ein Brutkasten dafür, dass es islamistische Strömungen gibt und dass sie stärker werden, weil nämlich die öffentliche politische Diskussion verboten ist, die Opposition ist verboten, die Pressefreiheit sehr stark eingeschränkt, und das verlagert die Diskussion in die Moscheen, weil nämlich die Religion, die ja die ganze Bevölkerung bekennt und zu der sie sich bekennt, nicht verboten werden kann. Damit werden auch politische Forderungen teilweise religiös eingekleidet, damit man sich schützt. Es ist eine ähnliche Entwicklung, diese Flucht in halbwegs geschützte Räume, auch für politische Diskussionen, wie wir sie seinerzeit in der DDR erlebt haben.
Armbrüster: Herr Polenz, heißt das, auch wir in Deutschland müssen stärkeren auch diplomatischen Druck auf Länder wie Ägypten und Tunesien ausüben?
Polenz: Also es geht jetzt zunächst einmal vor allen Dingen auch um Tunesien. In Ägypten habe ich gesagt, was die Forderungen sein sollten. In Tunesien ist man ja schon ein ganzes Stück weiter, denn der Machthaber Ben Ali hat das Land verlassen und es geht jetzt dort darum, der Übergangsregierung sehr klar zu machen, dass sie wirklich nur eine Übergangsregierung ist und vor allen Dingen die Aufgabe hat, freie und faire Wahlen vorzubereiten, und dafür muss man als Erstes einen klaren Zeitplan fordern, und dann natürlich auch über die Bedingungen reden, die hergestellt werden müssen im Land nach so langer Unterdrückung, damit sich die Zivilgesellschaft formieren kann, damit die Pressefreiheit sich weiter festigen kann und damit die Menschen dann etwa in einem halben Jahr – viel schneller kann es nicht gehen, weil so lange braucht eine Gesellschaft, um Parteien zu gründen, um sich zu organisieren -, damit dann freie und faire Wahlen stattfinden können.
Armbrüster: Ich will noch einmal zurückkommen auf die Lage in Ägypten. Soll Hosni Mubarak in diesem Herbst noch einmal Präsident werden?
Polenz: Die Forderung, die jetzt auf der Straße erhoben wird, ist ganz klar: Er soll es nicht. Es soll auf alle Fälle eine faire und freie Präsidentschaftswahl geben.
Armbrüster: Sollten wir dann nicht vielleicht in Deutschland einmal ganz offen sagen, in Europa, Ägypten braucht eine neue Führung?
Polenz: Nein. Das wäre nach meinem Dafürhalten im Verhältnis zwischen Staaten genau ein Schritt zu weit. Europa hat niemandem vorzuschreiben, ob er in einem Land als Präsident kandidiert oder nicht. Aber Europa sollte deutlich machen, es muss eine faire Chance für andere geben, auch Präsident in Ägypten zu werden, und dann werden sich Kandidaten finden und dann wird derjenige gewählt, der die Mehrheit findet. Wir sollten uns in den Forderungen nicht - Das ist Sache der Ägypter zu sagen, Mubarak soll weg oder er soll bleiben. Das ist nicht unser Thema. Unser Thema ist, es muss faire und freie Wahlen geben, auch jetzt, wenn es um die Präsidentschaftswahl geht. Damit unterstützen wir, denke ich, in der geeigneten Weise das, was jetzt die Demonstranten zurecht fordern, nämlich mehr Freiheit.
Armbrüster: ... , sagt der CDU-Politiker Ruprecht Polenz. Er ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag. Vielen Dank, Herr Polenz, für das Gespräch.
Polenz: Bitte schön.
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