In Deutschland gehen 67 Prozent der Frauen zur Krebsfrüherkennung. Die Männer sind mit nur 40 Prozent deutlich zurückhaltender. Doch der Nutzen dieser Untersuchungen – wie Mammographie, Darmkrebsvorsorge, Prostatatest oder Gesundheits-Check-Up – ist umstritten. Immer wieder diagnostizieren Ärzte einen Krebs, obwohl keiner vorliegt, oder umgekehrt: Sie übersehen eine Krebserkrankung.
Über Nutzen und Schaden der Krebsfrüherkennung diskutieren eine Gesundheitswissenschaftlerin und ein Sozialmediziner.
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"In der Gesamtbilanz überwiegt der Nutzen"
Professor Alexander Katalinic von der Universität Lübeck meint:
"Für fast alle Krebserkrankungen gilt: Je früher das Krankheitsstadium bei Diagnose, desto besser ist die Prognose und damit die Überlebenswahrscheinlichkeit. Hinzu kommt, dass Krebs im Frühstadium in der Regel schonender behandelt werden kann, als im fortgeschrittenen Stadium. Theoretisch betrachtet ist die frühe Krebserkennung damit als sehr sinnvoll zu bezeichnen, auch wenn die praktische Umsetzung durchaus schwierig ist.
Für viele Krebserkrankungen, darunter Brustkrebs, Darmkrebs oder Gebärmutterhalskrebs gibt es Früherkennungsmaßnahmen, die nachweislich zu einer Verringerung der krankheitsspezifischen Sterblichkeit führen. Dass diese Verfahren nicht perfekt sind und Nachteile, wie falschen Alarm oder Überdiagnostik nach sich ziehen können, ist unumstritten.
In der Gesamtbilanz überwiegt der Nutzen - die Reduktion der Sterblichkeit - den potenziellen Schaden deutlich. Trotz dieser positiven Bilanz sollte sich jeder über Nutzen und Risiken der Krebsfrüherkennung informieren und sich dann individuell entscheiden."
"Besonders problematisch sind IGEL-Angebote"
Professor Ingrid Mühlhauser von der Universität Hamburg vertritt diese Ansicht:
"Alle Krebsfrüherkennungsmaßnahmen schaden, manche können auch nutzen. Selbst wenn es einen Nutzen gibt, profitieren nur einzelne Menschen, sehr viel mehr erleiden Schaden.
In Deutschland werden verschiedene Screening-Untersuchungen angeboten, für die ein Nutzen nicht nachgewiesen werden konnte oder entsprechende wissenschaftliche Studien fehlen. Besonders problematisch sind dabei IGEL-Angebote, die selbst bezahlt werden müssen.
In der Bevölkerung und selbst unter der Ärzteschaft gibt es erhebliche Irrtümer zum Nutzen und Schaden von Krebsfrüherkennung. Die Bürger und Bürgerinnen haben ein Recht, informiert zu entscheiden, ob sie an einer Screening-Untersuchung teilnehmen wollen oder nicht. Dieser Anspruch wird aktuell nur in den wenigsten Fällen erfüllt."