" Ich erinnere mich noch gut: das erste Mal hab ich Proben mitgenommen, da war ich Gastprofessor in Halle, und ich sollte ein Praktikum geben, und die Fakultät, in die mein Lehrstuhl damals eingebunden war, war die landwirtschaftliche Fakultät, und ich wollte Studenten einfach mal zeigen, dass es auch andere Böden gibt als landwirtschaftliche Böden - vor allen Dingen stark belastete Substrate, und dann bin ich mit einem Löffel raus gegangen und hab mir Fugenmaterial mitgenommen aus Berlin und hab das nach Halle transportiert, und dann haben wir gezeigt, wie stark belastet diese Fugenmaterialien sind - das war wenn Sie so wollen der Beginn der inhaltlichen Auseinandersetzung mit diesen Materialien."
Fugendreck zwischen Pflastersteinen - das ist viel mehr als nur einfacher Bausand. Eine Deponie für Sondermüll. Ein Archiv der Kulturgeschichte. Ein Archiv der Industriegeschichte. Denn im Gegensatz zu naturbelassenen Böden, in die das Regenwasser gleichmäßig einsickert und zu geteerten Flächen, von denen es ungefiltert abfließt, arbeitet eine Pflasterfuge wie ein Schwamm. Sie saugt Regenwasser auf bis sie völlig durchnässt ist, und leitet größere Mengen so gut sie kann ins Grundwasser ab. Was in den Poren hängen bleibt, ist ein Sammelsurium aus "Abfällen", die in solcher Konzentration nirgendwo anders zu finden sind.
Wessoleks besonderer Schatz: Ritzendreck aus dem Ostteil der Stadt, geborgen kurz nach der Wende. Die Zusammensetzung der "polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe" spricht Bände:
" Wenn man sich an die früheren Zeiten erinnert als die Zweitakter rumfuhren - und denken Sie da nur an die Wolken die aus einem Trabbi oder Wartburg kamen: dann ist natürlich klar, dass die ihr Fingerprint hinterlassen, und dieser Fingerprint, der wird dann einfach noch ne gewisse Zeit bestehen - wie lange das der Fall ist, das kann ich Ihnen nicht sagen."
Wahrscheinlich ziemlich lange, denn selbst der Zeitpunkt der Einführung des bleifreien Benzins im Jahre 1988 kann anhand von Ritzen-Vergleichen noch heute eindeutig ermittelt werden. Pflaster, die erst später angelegt wurden, enthalten wesentlich weniger Blei als zum Beispiel die von 1975.
In den Ritzen stark befahrener Straßen reichern sich über Jahre hinweg Verbrennungsprodukte und Blei aus den Abgasen an, Kupferabrieb aus Bremsbelägen, feinste Gummipartikel und Zink aus den Reifen, außerdem reichlich Öl und Benzin. Schwermetalle, die sich einmal in einer Ritze häuslich niedergelassen haben, bleiben dort, wenn man sie lässt, bis in alle Ewigkeit:
Köln. Ausgrabungen auf dem Heumarkt. Schicht für Schicht werden komplett erhaltene Marktplätze aus dem Mittelalter freigelegt. Denn weil der Ort in einer Senke liegt, haben die alten Kölner ihre Marktplätze nicht saniert, sondern immer einfach immer wieder neue Steine über die alten geschichtet. Eine Fundgrube für Ritzenforscher:
" Und dann sind die Schichten ja aufgeschnitten, wie in einem Buch , und dann "be-probt" man einfach. Zweckmäßigerweise von unten nach oben, die verschiedenen Schichten, die man archäologisch und auch rein optisch unterscheiden kann, werden dann beprobt, bei einer Schwermetalluntersuchung sollte man tunlichst nicht mit Metallgegenständen beproben, weil man dann natürlich wieder Schwermetalle einbringt, also nimmt man dafür Plastiklöffelchen , dann wird das Schicht für Schicht dann jeweils in Tüten gepackt und das wird dann ins Labor geschafft und dort analysiert."
Renate Gerlach vom Rheinischen Amt für Bodendenkmalpflege behandelt den Dreck so lange mit ätzenden Säuren, bis nur noch die Schwermetalle übrig bleiben. Denn die gab es schon lange vor der Erfindung des ersten Autos. Hauptsächlich in Form von Spänen oder feinem Staub, der von oben auf die Ritzen runterrieselte. Oder vom Besen eines fleißigen Handwerkers dort hineingekehrt wurde.
Streng genommen ist der mittelalterliche Ritzendreck Sondermüll, der nach heutigen Maßstäben eigentlich auf die Gefahrstoffdeponie gebracht werden müsste.
Aber Renate Gerlach ist äußerst dankbar für die "Lass liegen. Tritt sich fest"-Mentalität der alten Kölner. Denn so kann sie heute zum Beispiel heute fast punktgenau bestimmen, wer damals wo seinen Marktstand hatte:
Der Kölner Heumarkt im Mittelalter. Rund um den Marktplatz haben sich Glaser, Flaschner, Kannengießer und Kupferschmiede niedergelassen. Und seit dem Jahr 1142 auch die erzbischöfliche Münze.
" Auf den mittelalterlichen Marktplätzen wurde nicht nur verhandelt, sondern auch durchaus produziert. Und so kann man zum Beispiel an einer flächigen Verteilung von Schwermetallen sagen: da haben die Leute gesessen, die Gürtelschnallen hergestellt haben, dort haben Leute gesessen, die haben mit Blei gehandelt oder mit bleiverglasten Fenstern. Und so etwas bleibt dann im Boden eben drin, dann hat man die entsprechenden Schwermetallkonzentrationen eben in den Schichten."
Aber auch Pflasterritzen der Gegenwart hüten so manches Geheimnis. So fand Ritzen-Freak Gerd Wessolek zum Beispiel heraus, dass Dreck Dreck filtert. Das heißt:
alter, gammliger Ritzendreck hat bessere Filtereigenschaften als nagelneuer Bausand aus der Tüte. Und schuld sind wahrscheinlich die unzähligen Mikroorganismen, die in der Ritze dreimal aktiver sind als anderswo.
Sechs Messstationen, quer über das Berliner Stadtgebiet verteilt und verborgen unter unscheinbaren Gullideckeln, ermöglichen hier aussagekräftige Langzeitbeobachtungen. Auch wenn es dabei immer wieder zu Komplikationen kommt. Zum Beispiel wenn besorgte Bürger die Polizei alarmieren, weil sie "äußerst verdächtiges Verhalten" beobachten. Das hat zum Beispiel im letzten Jahr zu einer großflächigen Sperrung der Berliner Innenstadt geführt. Man befürchtete ein Bombenattentat. Wessolek:
" Ich steckte auch in dem Stau, hörte das, und dachte aber schon: möglicherweise sind das unsere Leute, die da diese Probenbehältnisse austauschen."
Fugendreck zwischen Pflastersteinen - das ist viel mehr als nur einfacher Bausand. Eine Deponie für Sondermüll. Ein Archiv der Kulturgeschichte. Ein Archiv der Industriegeschichte. Denn im Gegensatz zu naturbelassenen Böden, in die das Regenwasser gleichmäßig einsickert und zu geteerten Flächen, von denen es ungefiltert abfließt, arbeitet eine Pflasterfuge wie ein Schwamm. Sie saugt Regenwasser auf bis sie völlig durchnässt ist, und leitet größere Mengen so gut sie kann ins Grundwasser ab. Was in den Poren hängen bleibt, ist ein Sammelsurium aus "Abfällen", die in solcher Konzentration nirgendwo anders zu finden sind.
Wessoleks besonderer Schatz: Ritzendreck aus dem Ostteil der Stadt, geborgen kurz nach der Wende. Die Zusammensetzung der "polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe" spricht Bände:
" Wenn man sich an die früheren Zeiten erinnert als die Zweitakter rumfuhren - und denken Sie da nur an die Wolken die aus einem Trabbi oder Wartburg kamen: dann ist natürlich klar, dass die ihr Fingerprint hinterlassen, und dieser Fingerprint, der wird dann einfach noch ne gewisse Zeit bestehen - wie lange das der Fall ist, das kann ich Ihnen nicht sagen."
Wahrscheinlich ziemlich lange, denn selbst der Zeitpunkt der Einführung des bleifreien Benzins im Jahre 1988 kann anhand von Ritzen-Vergleichen noch heute eindeutig ermittelt werden. Pflaster, die erst später angelegt wurden, enthalten wesentlich weniger Blei als zum Beispiel die von 1975.
In den Ritzen stark befahrener Straßen reichern sich über Jahre hinweg Verbrennungsprodukte und Blei aus den Abgasen an, Kupferabrieb aus Bremsbelägen, feinste Gummipartikel und Zink aus den Reifen, außerdem reichlich Öl und Benzin. Schwermetalle, die sich einmal in einer Ritze häuslich niedergelassen haben, bleiben dort, wenn man sie lässt, bis in alle Ewigkeit:
Köln. Ausgrabungen auf dem Heumarkt. Schicht für Schicht werden komplett erhaltene Marktplätze aus dem Mittelalter freigelegt. Denn weil der Ort in einer Senke liegt, haben die alten Kölner ihre Marktplätze nicht saniert, sondern immer einfach immer wieder neue Steine über die alten geschichtet. Eine Fundgrube für Ritzenforscher:
" Und dann sind die Schichten ja aufgeschnitten, wie in einem Buch , und dann "be-probt" man einfach. Zweckmäßigerweise von unten nach oben, die verschiedenen Schichten, die man archäologisch und auch rein optisch unterscheiden kann, werden dann beprobt, bei einer Schwermetalluntersuchung sollte man tunlichst nicht mit Metallgegenständen beproben, weil man dann natürlich wieder Schwermetalle einbringt, also nimmt man dafür Plastiklöffelchen , dann wird das Schicht für Schicht dann jeweils in Tüten gepackt und das wird dann ins Labor geschafft und dort analysiert."
Renate Gerlach vom Rheinischen Amt für Bodendenkmalpflege behandelt den Dreck so lange mit ätzenden Säuren, bis nur noch die Schwermetalle übrig bleiben. Denn die gab es schon lange vor der Erfindung des ersten Autos. Hauptsächlich in Form von Spänen oder feinem Staub, der von oben auf die Ritzen runterrieselte. Oder vom Besen eines fleißigen Handwerkers dort hineingekehrt wurde.
Streng genommen ist der mittelalterliche Ritzendreck Sondermüll, der nach heutigen Maßstäben eigentlich auf die Gefahrstoffdeponie gebracht werden müsste.
Aber Renate Gerlach ist äußerst dankbar für die "Lass liegen. Tritt sich fest"-Mentalität der alten Kölner. Denn so kann sie heute zum Beispiel heute fast punktgenau bestimmen, wer damals wo seinen Marktstand hatte:
Der Kölner Heumarkt im Mittelalter. Rund um den Marktplatz haben sich Glaser, Flaschner, Kannengießer und Kupferschmiede niedergelassen. Und seit dem Jahr 1142 auch die erzbischöfliche Münze.
" Auf den mittelalterlichen Marktplätzen wurde nicht nur verhandelt, sondern auch durchaus produziert. Und so kann man zum Beispiel an einer flächigen Verteilung von Schwermetallen sagen: da haben die Leute gesessen, die Gürtelschnallen hergestellt haben, dort haben Leute gesessen, die haben mit Blei gehandelt oder mit bleiverglasten Fenstern. Und so etwas bleibt dann im Boden eben drin, dann hat man die entsprechenden Schwermetallkonzentrationen eben in den Schichten."
Aber auch Pflasterritzen der Gegenwart hüten so manches Geheimnis. So fand Ritzen-Freak Gerd Wessolek zum Beispiel heraus, dass Dreck Dreck filtert. Das heißt:
alter, gammliger Ritzendreck hat bessere Filtereigenschaften als nagelneuer Bausand aus der Tüte. Und schuld sind wahrscheinlich die unzähligen Mikroorganismen, die in der Ritze dreimal aktiver sind als anderswo.
Sechs Messstationen, quer über das Berliner Stadtgebiet verteilt und verborgen unter unscheinbaren Gullideckeln, ermöglichen hier aussagekräftige Langzeitbeobachtungen. Auch wenn es dabei immer wieder zu Komplikationen kommt. Zum Beispiel wenn besorgte Bürger die Polizei alarmieren, weil sie "äußerst verdächtiges Verhalten" beobachten. Das hat zum Beispiel im letzten Jahr zu einer großflächigen Sperrung der Berliner Innenstadt geführt. Man befürchtete ein Bombenattentat. Wessolek:
" Ich steckte auch in dem Stau, hörte das, und dachte aber schon: möglicherweise sind das unsere Leute, die da diese Probenbehältnisse austauschen."