Klaus Müller leitet seit Anfang März die Bundesnetzagentur. Er wird im Notfall entscheiden, wer in Deutschland noch Energie bekommt. Im Rahmen der sogenannten SOS-Verordnung ist die Schutzreihenfolge klar auf europäischer Ebene geregelt. Im Fall einer Gasnotlage müssten besonders geschützte Kundengruppen – etwa Krankenhäuser, Pflegeheime, Polizeistationen oder Kasernen – bevorzugt mit Gas beliefert werden beziehungsweise ihnen dürfe man die Gaszufuhr nicht abschalten, erklärte Müller im Interview der Woche des Deutschlandfunks.
Darüber hinaus schloss der Chef der Bundesnetzagentur eine Abschaltreihenfolge für den Moment aus. Diese vorherzusagen sei unseriös. Er könne sich aber vorstellen, Gasverbräuche, die im Freizeitbereich angesiedelt und nicht wirklich notwenig seien, zuerst abzuschalten. Müller betonte weiter, es sei auch eine Frage der Solidarität, den eigenen Gasverbrauch kritisch zu überprüfen.
Flüssiggas als Übergangstechnologie
Zu den Gasbeständen äußerte Müller sich kritisch. Deutschland sei nicht gut versorgt, wenn kurzfristig durch eine russische Entscheidung oder durch europäische Sanktionen kein russisches Gas mehr fließen würde. Er begrüßte daher die Entscheidung für den Bau schwimmender LNG-Flüssiggasterminals. „Das ist ein Umweg auf dem Weg zur Klimaneutralität, aber ich glaube, aktuell ein gerechtfertigter.“ Die Anlagen würden aber eine Befristung bekommen, um aus der Gasnutzung auch wieder aussteigen zu können. Müller bezeichnete die Lösung von Flüssiggas daher als Übergangstechnologie. Erste schwimmende Anlagen sollen noch in diesem Jahr in Wilhelmshaven und Anfang nächsten Jahres in Brunsbüttel in Betrieb gehen.
Klaus Müller ist neuer Präsident der Bundesnetzagentur. Zuvor war er tätig als Verbraucherschützer, Chef der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen und dann des Verbraucherzentrale Bundesverbandes und davor als Mitglied der Grünen Umweltminister in Schleswig-Holstein.
Das Interview im Wortlaut:
Georg Ehring: Herr Müller, im neuen Amt stehen Sie mehr als vielleicht vorher gedacht im Zentrum öffentlicher Aufmerksamkeit. Auf Gasfluss und Füllstandsdaten der Gasreserven schauen viele Menschen so aufmerksam und vielleicht auch so sorgenvoll wie vor Kurzem noch auf die täglichen Corona-Zahlen des Robert Koch-Instituts. Viel Zeit zum Einarbeiten ist Ihnen ja nicht geblieben. Wie haben Sie sich denn im neuen Amt eingelebt?
Klaus Müller: Das kann man wahrscheinlich selber immer am schlechtesten beurteilen. Aber die Bundesnetzagentur hat ja sehr, sehr viele kompetente und sehr erfahrene Kolleginnen und Kollegen, die sich eben mit dem Energiemarkt und ganz besonders jetzt auch mit der Frage der Gasvorsorge gut auskennen. Auf die kann ich natürlich zurückgreifen. Dann bin ich geflutet worden von Informations-, von Bittschreiben aus der Wirtschaft. Nämlich von all den Unternehmen, die tatsächlich in großer Sorge sind, wenn sich die Krisensituation weiter zuspitzt, wenn es entweder von russischer oder auch europäischer Seite Embargobeschlüsse gäbe, was hätte das dann für die deutsche Gasversorgung zur Folge, und mit der Politik sind wir jetzt seit Wochen im Gespräch über das Gasspeichergesetz, über Gas von Germania Treuhandschaften, weitere politische Regulatorik. Also, es war ein Sprung ins kalte Wasser, aber das ist ja auch manchmal ganz gut so.
"Gasspeicher nicht gut genug gefüllt"
Ehring: Fangen wir dann an mit dem Thema, das zurzeit im Mittelpunkt steht. Die Speicher füllen sich – füllen sie sich schnell genug?
Müller: Sie füllen sich. Sie füllen sich auch besser als in den Vorjahren. Sie sind auch stärker gefüllt als noch im April/Mai, Anfang Mai dieses Jahres, aber sie sind noch nicht gut genug gefüllt. Sie sind noch nicht gut genug gefüllt, wenn wir kurzfristig weniger oder kein russisches Gas mehr bekommen würden. Und insofern bin ich dann entspannt, wenn wir die Vorgaben des Gasspeichergesetzes eingehalten haben, also bei 90 Prozent plus X lägen. Dann hätte Deutschland zumindest für zweieinhalb Monate, unter stabilen Bedingungen, bei einem normalen Winter, einen Puffer. Das wäre für die industrielle Versorgung, aber auch die der Gaskundinnen und -kunden erst mal eine ganz ordentliche Voraussetzung. Richtig gut ist das alles trotzdem natürlich nicht.
Ehring: Was tun Sie denn, um das Füllen zu beschleunigen?
Müller: Das Erste, was wir natürlich tun können, wir können daransetzen, das Gasspeichergesetz, was Bundestag und Bundesrat ja jüngst erst beschlossen haben, tatsächlich mit Leben zu erfüllen. Da geht es ja darum, dass in einem ersten Schritt die Gasunternehmen selber ihrer Verpflichtung nachkommen, aber auch der sogenannte Marktgebietsverantwortliche, Trading Hub Europe, dann in die Lage versetzt wird, mit auch Unterstützung die Speicher zu befüllen, das heißt, Gas einzukaufen. Bekanntermaßen ist das in Deutschland nicht trivial, weil wir eben nur die bekannten Rohre, die Gasleitungen haben. Das heißt, wir können auf dem Weltmarkt nur dann Flüssiggas einkaufen, wenn es uns selbst kurzfristig gelingt, sogenannte Terminals zu installieren. Das werden in diesem Winter hoffentlich sogar zwei schwimmende Terminals sein, aber bis dahin müssen wir mit den Kollegen in Belgien, in Holland kooperieren, damit wir die Gasspeicher befüllen. Das ist das, was wir momentan tun können und eben perspektivisch uns zu diversifizieren, also Gas aus anderen Quellen zu bekommen.
"Die Preisaufschläge sind von Russland gewollt"
Ehring: Der Bundestag hat ja Füllstandsvorgaben für Gasspeicher beschlossen. Ist es denn möglich, diese Vorgaben auch einzuhalten?
Müller: Ja, natürlich ist es möglich, wenn man den entsprechenden Preis dafür bezahlt. Also, alle, die momentan einen Blick auf die Preisentwicklung werfen sehen, dass heute, aber auch mit Blick auf die nächsten Wochen und Monate, wir natürlich auf einem Preisniveau sind, was unvergleichlich ist zu vor dem russischen Krieg gegen die Ukraine. Diese Preisaufschläge sind sicherlich von Russland auch einkalkuliert und gewollt. Ich glaube, die Annahme kann man treffen. Russland profitiert ja auch davon. Und wir sind dann in der Lage, die Speicher zu befüllen, wenn wir die Mengen beschaffen können. Das können wir, wenn der notwendige entweder ökonomische Anreiz oder gesetzliche Druck da ist. Und wir beobachten praktisch täglich, stündlich, die Entwicklung auf den Speichern. Jetzt gibt es noch ein paar physikalische Dinge, die wir berücksichtigen müssen, nämlich wie sind die Speicher verfasst. Das ist der Unterschied zwischen Kavernenspeichern und Porenspeichern, aber das haben unsere Kollegen alles im Blick. Stand heute speichern wir ungefähr 0,4 Prozentpunkte pro Tag ein. Wenn ich das linear fortschreiben würde, dann erreichen wir die Vorgaben des Gesetzes.
Bundesnetzagentur ist Treuhänderin von Gazprom Germania
Ehring: Sie verwalten ja auch die Speicher der russischen Gazprom. Füllen Sie die auch so, wie Sie das vorgehabt haben?
Müller: Die juristisch korrekte Formulierung ist, wir sind Treuhänderin von Gazprom Germania geworden, und Gazprom Germania hat eine Reihe von Töchterfirmen, und in der Tat, denen gehören die Speicher. Jetzt haben wir bei der näheren Beschäftigung mit dieser Treuhänderschaft gemerkt, dass Eigentum der Speicher und die Rechte am Einspeichern nicht zwingend das Gleiche ist. Das mussten wir erst klären. Das konnten wir aber inzwischen klären. Das Zweite, das man braucht, ist tatsächlich eine sehr, sehr starke Zwischenfinanzierung, weil Sie eben Gas heute zu sehr, sehr hohen Preisen einkaufen müssen, um es dann eben im Herbst/Winter weiterverkaufen zu können. Also, es braucht eine Zwischenfinanzierung. Dafür wurde inzwischen eine Lösung avisiert. Insofern haben wir schon langsam angefangen mit dem Einspeichern. Es geht vor allem um den Speicher in Niedersachsen, Rehden. Das ist noch zu langsam, aber wenn wir ab Anfang Juni da mit großer Energie und großem Schwung beginnen können, dann schaffen wir trotz der physikalischen Eigenschaften dieses Speichers, der eben ein sogenannter Porenspeicher ist, das heißt, Sie können nur langsam ein- und ausspeichern, aber wenn wir ab Anfang Juni damit beginnen können, dann schaffen wir die Vorgaben des Gesetzes. Die Weichen sind so weit gestellt.
Ausblick auf den Winter
Ehring: Was sind denn Ihre Erwartungen für den kommenden Winter? Worauf müssen wir uns einstellen?
Müller: Ja, wenn ich in der Glaskugel die Zukunft lesen könnte, dann wäre es mir natürlich wesentlich wohler. Insofern kann ich nur spekulieren. Also positive Faktoren sind, Minister Habeck und die Bundesregierung waren ja sehr engagiert, sogenannte FSRUs, also schwimmende LNG-Flüssiggasterminals nach Deutschland zu holen. Stand heute sieht es so aus, dass uns das noch in diesem Jahr in Wilhelmshafen gelingen wird und wahrscheinlich Anfang nächsten Jahres voraussichtlich in Brunsbüttel. Wenn wir die Anschlusskapazitäten-Regulatorik geschaffen haben, dann sind das zwei wichtige Faktoren, uns unabhängiger zu machen von russischen Gaslieferungen. Das ist klimapolitisch nicht optimal. Das ist ein Umweg auf dem Weg zur Klimaneutralität, aber ich glaube, aktuell ein gerechtfertigter. Wir sind in intensiven Verhandlungen mit unseren europäischen Nachbarn, aus Solidaritätsgründen, aber auch um die deutsche Gasversorgung zu stabilisieren, und wenn es uns jetzt noch gelingt, sowohl in den privaten Haushalten wie auch in der Industrie sparsamer mit Gas umzugehen, uns Substitute zu besorgen, insgesamt effizienter zu sein, vielleicht auch auf das ein oder andere zu verzichten, um das sozusagen auch mit einzuspeichern, dann sieht es so aus, dass wir auch ordentlich durch die nächsten Winter kämen. Heißt, niemand müsste frieren und niemand müsste Einschnitte vorwegnehmen, vorausgesetzt das russische Gas fließt weiter. Aber die Kostenbelastung ist immens, das muss man den Menschen, auch der Industrie, der Wirtschaft in aller Ehrlichkeit sagen. Aber auch das ist ja ein Anreiz, um Gas, fossiles Gas, weiter einzusparen.
"Jeder kann mitgestalten, wie viel Gas verbraucht wird"
Ehring: Was sind die wichtigsten Mittel, um Gas zu sparen?
Müller: Das ist, glaube ich, in erster Linie die Überprüfung in jeder einzelnen Industrieanlage, wo ja Erdgas zwei Funktionen haben kann: Es kann ein Rohstoff zur Produktion sein, es kann ein Mittel sein zur Wärmeerzeugung. Kann ich das in irgendeiner Art und Weise ersetzen, kann ich meine Produktion umstellen. Und jetzt gibt es ja noch einen gewissen Vorlauf, weil heute haben wir noch keine Gasknappheit. Das aber sozusagen zumindest so weit vorbereitet zu haben oder womöglich auch schon getan zu haben, das ist das Eine. Das Zweite, die Bundesregierung hat jetzt gerade ein neues Gesetz angekündigt. Wir nutzen Gas, um Strom zu erzeugen. Dafür gibt es Alternativen im Kohle-, im Ölbereich. Auch die sind klimapolitisch ein Umweg, der nicht gut ist, aber der uns helfen würde, eben von Gas unabhängig zu sein, und die Bundesregierung arbeitet an einem Gesetz, was das genau in einer Notlage, in einer drohenden Notlage dann auch tatsächlich ermöglichen würde. Das Dritte ist natürlich der Appell an jeden Einzelnen von uns. Knapp die Hälfte der deutschen privaten Versorgung wird eben durch Gasthermen geregelt, und insofern kann jede und jeder mitgestalten, wie viel Gas verbraucht wird, nämlich je nachdem, wie stark ich meine Heizung einstelle. Das ist erst einmal eine individuelle Entscheidung. Privathaushalte sind nach europäischem Recht besonders geschützt. Das ist auch gut so. Daran wird auch, glaube ich, niemand etwas ändern, aber das ändert ja nichts daran, dass ich vorsichtig, sparsam, solidarisch mit Gas umgehen kann. All das beeinflusst unseren Winter.
Zur Not Kohle statt Gas
Ehring: Kohle statt Gas in der Stromerzeugung oder auch Atomkraft statt Gas in der Stromerzeugung wären Alternativen, die wir ja auch gehen. Wie sehen Sie das?
Müller: Das ist ja breit und intensiv geprüft und politisch diskutiert worden. Im Atombereich hat die Bundesregierung sehr, sehr klar und aufgrund der Faktenlage entschieden, dass uns das einfach nicht weiterhelfen würde an der Stelle, von den generellen Risiken des beschlossenen Atomausstiegs einmal ganz angesehen. Im Kohlebereich sieht die Situation anders aus. Kohle ist verfügbar. Kohle kann Gas-Stromerzeugung ersetzen, aber es wäre eben schlecht für unsere CO2-Bilanz. Trotzdem hat Minister Habeck sich klar ausgesprochen, diese Möglichkeit zu schaffen. Das heißt, wenn es zu einer Mangellage käme oder sie drohen würde und dieses Gesetz beschlossen wird, dann wären wir in der Lage, tatsächlich hier noch einmal Gas einzusparen, zulasten unseres CO2-Ausstoßes. Es ist eine Möglichkeit, die hier vorbereitet wird. Sie muss nicht zwingend eingesetzt werden, aber sie wäre ein Beitrag zur Versorgungssicherheit.
"Auch Flüssiggas hat einen CO2-Fußabdruck"
Ehring: Noch einmal zurück zum Thema Gasterminals. Zwei schwimmende kommen schnell. Es sollen auch feste gebaut werden. Brauchen wir die wirklich?
Müller: Das kommt jetzt sehr, sehr darauf an. Wir brauchen sie dann in dem Moment, wo durch eine russische Entscheidung oder europäische Sanktionen kein russisches Gas mehr fließen würde. Das wäre eine Situation, die sehr, sehr schnell, je nach äußeren Rahmenbedingungen, aber wahrscheinlich sehr, sehr schnell uns in eine Gasmangellage führen würde. Ich glaube, dass diese Situation eben nicht gewollt sein kann, trotz aller moralischen Dilemmata, die damit verbunden sind. Wir brauchen diese FSRUs, also diese schwimmenden Gasterminals, um uns zu diversifizieren, also für eine Übergangszeit. Die Bundesregierung und vor allem auch Klimaschutzminister Habeck hat immer darauf hingewiesen, das ist eine Übergangslösung, das heißt alle Anlagen, die wir dort bauen, müssen wasserstoffvorbereitet, also Wasserstoff-ready sein, wie man so schön sagt. Das heißt, wir wollen hier keine verlorenen Investitionen schaffen, die dauerhaft der Klimawende, der Klimaneutralität widersprechen. Das wird mit vorbereitet – aber ja, auch Flüssiggas hat einen CO2-Fußabdruck. Der hat sich auch gewaschen, muss man ehrlich sagen. Insofern ist es immer das Abwägen verschiedener Übel, aber Versorgungssicherheit muss gewährleistet sein, und dafür tut die Bundesregierung gerade eine Menge.
Flüssiggasanlagen sollen eine Befristung bekommen
Ehring: Herr Müller, wir steigen jetzt massiv in das Flüssiggas ein, wie kommen wir da hinterher wieder raus?
Müller: Indem diese Anlagen eine Befristung bekommen. Indem auch allen Investoren sehr, sehr klar gesagt wird, auch dieses ist eine Übergangstechnologie. Und sie hat eben ein Ende dann, wenn wir – neben anderen CO2-Emittenten – eben auch aus der Gasnutzung aussteigen werden. Das wissen zur Zeit alle, darauf können sich alle momentan einstellen. Es ist im Einklang mit den Pariser Klimaschutzzielen, mit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil und insofern kann sich nachher keiner beschweren, er hätte das bei seinen Investitionsmaßnahmen nicht gewusst.
Schutzreihenfolge für den Fall der Gasnotlage
Ehring: Wenn jetzt das Schlimmste kommt oder vielleicht auch das Nötige, wenn der Westen möglicherweise auch ein Gasbezugsembargo verhängt, woraus müssen wir uns einstellen, was würde vor allem für Privatleute passieren?
Müller: Dieses Szenario ist im Rahmen der sogenannten SOS-Verordnung, also eines europäisch geltenden Rechtes klar geregelt, und zwar bezüglich einer Schutzreihenfolge. Das heißt, im europäischen Recht ist vorgesehen, dass für den Fall einer Gasnotlage und wenn dann eben der Markt das nicht mehr alleine regeln kann, weil es zu wenig Angebot gäbe, dass dann besonders geschützte Kundengruppen – das sind einmal private Haushalte, aber auch Krankenhäuser, Pflegeheime, Polizeistationen, Kasernen et cetera –, das heißt, die müssten bevorzugt mit Gas beliefert werden beziehungsweise bei denen darf man das nicht abschalten. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass bei besonders großen industriellen Gaslieferanten wir jetzt schon Daten erheben, um genau wissen zu können, wenn wir hier tatsächlich dann Gaslieferung abschalten müssten, welche Konsequenzen richten wir damit an. Nochmal, das Ziel ist, die Situation zu vermeiden, wenn Sie aber nicht zu vermeiden ist, dann wäre die Bundesnetzagentur laut Gesetz befugt, hier einzugreifen.
Jede und jeder müsste sich in so einer Situation, in einer Gasmangellage, selber hinterfragen: Ist mein normaler Verbrauch mit Gas eigentlich gerechtfertigt?
Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur
Ehring: Für Privatleute gibt es dann aber auch Einschränkungen. Sie sprachen zum Beispiel vom Aus für private Saunen, was ja mehr oder weniger eine Selbstverständlichkeit dann sein könnte. Aber müssten sich Verbraucherinnen und Verbraucher, wenn es ganz schlimm kommt, auch noch auf mehr einstellen?
Müller: Ich glaube, dass das in erster Linie eine Frage der eigenen Verantwortung und auch der Solidarität ist. Es geht ja darum, dass wenn wir Industriebetriebe nicht mehr mit Gas beliefern können, dass dann bestimmte Produkte, womöglich auch sehr, sehr wichtige Produkte aus dem Medizinbereich, vielleicht sogar aus dem Lebensmittelbereich, aus anderen Bereichen, nicht mehr hergestellt und dann auch nicht mehr genutzt werden könnten. Darum müsste jede und jeder in so einer Situation, in einer Gasmangellage, sich selber hinterfragen: Ist mein normaler Verbrauch mit Gas eigentlich gerechtfertigt? Ich erinnere nochmal an den Preis, ich erinnere auch nochmal an den CO2-Ausstoß. Das heißt, jede und jeder hat hier ein hohes Interesse. Ob man das nochmal regulatorisch begleiten muss, wird in der Politik zu diskutieren sein. Klar ist, bestimmte Maßnahmen – was zum Beispiel ein Heizverhalten angeht – könnte man gar nicht kontrollieren. Aber wir haben aus der Corona-Pandemie gesehen, wenn Menschen davon überzeugt, sind, dass bestimmte Regelungen sinnvoll sind, letztendlich sogar in unserem eigenen Interesse, dann befolgen sie diese Regelungen. Und eine groß angekündigte Gassparkampagne wird jetzt demnächst anlaufen, ich gehe davon aus, dass sie auch im Winter/Herbst, in einer Gasmangellage, noch mal wiederholt werden wird. Und dann gilt es, nicht nur an sich selber zu denken, sondern auch an andere in Deutschland. Und ich glaube, dass dann Solidarität auch geübt werden würde, und das bedeutet, Gas zu sparen.
"Eine Abschaltreihenfolge vorherzusehen ist nicht seriös"
Ehring: Noch für die Wirtschaft – welche Bereiche müssten sich als erstes auf Abschaltungen einstellen?
Müller: Das ist sehr, sehr schwer zu sagen, weil wir eben das Szenario, in dem wir uns bewegen würden, nicht vorhersagen können. Ich mache Ihnen zwei Optionen auf: Wenn diese Gasmangellage jetzt noch im Sommer käme, dann verbrauchen wir relativ wenig Gas in den privaten Haushalten, aber es sind noch keine Flüssiggasterminals da und die Speicher sind vielleicht noch nicht gut genug gefüllt. In einer Wintersituation wäre es womöglich genau umgekehrt. Das heißt, die Speicher könnten gut befüllt sein, vielleicht haben wir uns schon diversifiziert, dank LNG-Terminals, aber natürlich gibt es einen höheren Druck auf den Gasverbrauch. All das kann man nicht wirklich vorhersagen. Darum ist es nicht möglich und eigentlich auch nicht seriös, eine Abschaltreihenfolge vorherzusehen. Trotzdem bereitet sich die Bundesnetzagentur darauf vor, wir koppeln uns sehr eng zurück mit der Industrie und der Energiewirtschaft. Und ich würde mich mal soweit aus dem Fenster lehnen, natürlich sind Gasverbräuche, die jetzt nicht zwingend notwendig sind, die vielleicht eher in einem Freizeitbereich angesiedelt sind als auch in den Produktionskapazitäten, die eben wirklich notwendig sind, die würden wir natürlich dann zuerst abschalten. Aber es ist unseriös, hier eine Reihenfolge vorzugeben, nach der wir jetzt handeln würden.
Diskussion über "Übergewinne"
Ehring: Die Gaspreise und auch die Strompreise steigen massiv, Unternehmen sind bei Preiserhöhungen nicht immer transparent. Machen sich da Firmen auch die Taschen voll und können Sie das verhindern?
Müller: Ja, das ist natürlich ein Punkt, der gerade viele Menschen bewegt und die ja auch in der öffentlichen Diskussion in Deutschland, aber auch in den USA, in Europa sehr, sehr intensiv geführt wird. Also, die Frage, wie weit die großen internationalen Energiekonzerne sich hier, Sie sagen, „die Taschen voll machen“, Übergewinne einstreichen, sagen die Ökonomen, ist etwas, was von der Bundesregierung intensiv diskutiert wird, von der EU-Kommission diskutiert wird, dem kann ich und will ich nicht vorweggreifen. Auf Ebene der Bundesnetzagentur sind uns natürlich die Hände gebunden, weil wir auf dieser Ebene natürlich weder über Steuern oder andere Instrumente verfügen, da haben wir überhaupt keine Eingriffsmöglichkeit an dem Punkt. Was wir sozusagen jetzt natürlich gucken können ist, dass Entwicklungen, die wir im letzten Herbst gesehen haben, wo einzelne Energiehändler ihre Verträge nicht mehr erfüllt haben, hier haben wir über das neue Gesetz Regelung bekommen, dass dieses vorher angekündigt werden muss, und die Bundesnetzagentur da auch natürlich auch einen Blick haben wird an der Stelle. Aber das hilft im Kleinen, es ist kleine Lösung für die Großen.
Stellschrauben für den schnelleren Stromnetzausbau
Ehring: Herr Müller, ich will noch auf ein weiteres Thema kommen, den Stromnetzausbau. Sie haben eine Karte im Internet veröffentlicht, mit vielen Plänen: Wenig Stromnetzausbau ist davon im Bau, viel im Planfeststellungsverfahren oder noch in noch früheren Stadien. Jetzt soll die Energiewende viel schneller werden – kommt der Netzausbau mit?
Müller: Das muss er. Weil der beschleunigte Ausbau von Wind, von Sonne, von Offshore-Wind natürlich nur dann Sinn macht, wenn es uns gleichzeitig gelingt, schneller die entsprechenden Stromnetze zu bauen, die ja dann diesen Strom, diesen erneuerbaren Strom, auch quer durch Deutschland verteilen können. Und dazu gibt es sicherlich drei Stellschrauben, an denen wir jetzt schon drehen können und auch müssen. Erstmal muss sich immer jede Behörde selber an die Nase fassen und gucken, kann sie ihre eigenen Genehmigungsprozesse beschleunigen, können wir konsequent sein. Dazu gehört auch, unangenehme Entscheidungen zu treffen, wo in der Vergangenheit vielleicht aus der Politik, vielleicht sogar aus der hohen Politik Versprechungen, Ankündigungen, Hoffnungen geweckt wurden. Das werden wir alles überprüfen und für uns wird ganz entscheidend sein, Entscheidungen zu beschleunigen und dann vielleicht auch manchmal weniger Rücksicht auf Wünsche vor Ort nehmen zu können. Das bedauere ich ausdrücklich. Ich verstehe Menschen, die unglücklich sind, wenn Leitungen ertüchtigt werden, ausgebaut werden, neue gebaut werden und sie sich davon beeinträchtigt fühlen, aber zur Energiewende und zur Wahrheit gehört, diese Leitungen sind notwendig. Zweitens, die Bundesregierung/der Bundestag sind gefragt, Gesetze zu beschließen, die diese Beschleunigung ermöglichen. Ich sage nur ein Beispiel, das sogenannte Bündelungsgebot. Also, die Nutzung von Bestandstrassen wäre ein Schritt zur Beschleunigung. Und Drittens, wir überprüfen auch sehr genau, was die Netzbetreiber, die ja den Bau und die Planung ganz konkret vorantreiben müssen, wie gut die arbeiten. Und wo immer wir das Gefühl haben, hier wird nicht der Ernst der Lage erkannt, da sind wir in sehr, sehr ernsten und sehr, sehr vertrauensvollen Gesprächen, um eben allen Beteiligten klarzumachen, die Geschwindigkeit von gestern ist nicht mehr akzeptabel, wir müssen deutlich, deutlich schneller werden beim Netzausbau.
"Netzausbau wird hohe Priorität bekommen"
Ehring: Die Gasterminals kommen mit Sonderrechten schneller. Wäre sowas beim Netzausbau auch denkbar?
Müller: Das wird hier intensiv diskutiert. Wir sind jetzt schon dabei, eben im Rahmen des sogenannten „Osterpaketes“ des Energieausbaus, gesetzliche Rahmenbedingungen zu verändern. Das wird zu einer Beschleunigung führen. Natürlich gibt es bestimmte Kapazitätsengpässe, was Material oder Arbeitskräfte angeht, das können sie gesetzgeberisch leider nicht korrigieren. Aber alles, was darüber hinaus möglich ist, hat die Ampelkoalition auf den Weg gebracht, wird sie sicherlich weiter auf den Weg bringen. Und da sind auch sehr, sehr unangenehme Kompromisse dabei, weil es natürlich die verschiedensten Interessen gibt. Aber ich gehe davon aus, der Netzausbau wird eine ganz, ganz hohe Priorität bekommen.
Einhaltung von Mindestbandbreiten beim Internet
Ehring: Ein weiterer Netzausbau, das Recht auf Internet für alle, tritt nach Beschluss durch den Bundesrat am 10. Juni in Kraft. Wie wollen Sie das Wirklichkeit werden lassen? Als Sie noch Chef der Verbraucherzentralen waren, hielten Sie Bandbreiten von 10 Megabit pro Sekunde für viel zu niedrig – wie sehen Sie das jetzt?
Müller: Jetzt hat sich natürlich meine Rolle geändert und ich kann nicht mehr nur die glasklare Stimme der Verbraucherinnen und Verbraucher sein – das ist das Privileg der Verbraucherzentralen. Als Bundesnetzagentur mussten wir jetzt einen Vorschlag vorlegen, der dann auch die Zustimmung eben von Bundestag, von Bundesregierung und jetzt auch noch dem Bundesrat braucht. Diese Diskussion ist ja auch noch voll im Gang und insofern mussten wir hier abwägen. Jedes höhere Recht auf schnellere Mindestversorgung – wenn Sie so wollen, in der Analogie einen höheren Mindestlohn – hat natürlich Kosten auf Seiten der Telekommunikationsunternehmen zur Folge. Und diese Kosten, die hier dann für den einzelnen Anschluss, für die Einzelbeschleunigung anfallen, die fehlen natürlich den Unternehmen, wenn sie generell den Glasfaserausbau vorantreiben wollen. Insofern muss eine Behörde jetzt stärker abwägen als es eben ein Verbraucherschutzverband klar fordern konnte. Mir war es sehr, sehr wichtig, diese Verordnung dynamisch auszulegen. Das heißt, dass wir hier von Jahr zu Jahr nachschärfen, von Jahr zu Jahr besser werden. Das ist ja eine vergleichbare Logik, die sich eben zum Beispiel beim Mindestlohn auch bewährt hat und wo ich davon ausgehe, dass die Werte, die heute auf dem Tisch liegen, nicht die Werte sein werden, um die es in den nächsten Jahren gehen wird, sondern da werden wir Schritt für Schritt zu einer schnelleren Mindestversorgung kommen müssen. Aber wir brauchen erstmal einen Einstieg. Wenn er jetzt beschlossen ist, dann hat die Bundesnetzagentur die Möglichkeit, dieses auch durchzusetzen. Das heißt konkret, Unternehmen zu verpflichten, wo diese Mindestbandbreiten bisher nicht erfüllt sind, sie dann auch einzuhalten. Und wir haben jetzt schon den ersten Feldversuch in Niedersachsen gestartet, um uns hier schon mal schlau zu machen, schon bevor das Gesetz in Kraft getreten ist, damit wir dann unmittelbar nach dem 1. Juni auch wirklich unserer Aufgabe gerecht werden können.
"Wir setzen europäisches Gerichtsurteil zur Netzneutralität um"
Ehring: Thema Netzneutralität – Ihre Behörde hat Angebote von Telekom und Vodafone verboten, wo Leistungen bestimmter Dienste nicht auf das Datenvolumen angerechnet werden. Nutzerinnen und Nutzer ärgert das unter Umständen. Muss das aus Ihrer Sicht sein?
Müller: Ja, natürlich muss das sein, weil wir hier ein europäisches Gerichtsurteil umsetzen. Das heißt, das war gar keine Entscheidung, wo die Bundesnetzagentur jetzt gesagt hat, machen wir oder machen wir nicht, sondern wir setzen hier ein europäisches Gerichtsurteil um. Und das halte ich erstmal für eine Behörde für selbstverständlich. Aber auch in der Sache ist das richtig, weil es hier um das Thema Netzneutralität geht, das heißt um die Bevorzugung bestimmter Dienste, was ja immer zu Lasten auch des Wettbewerbes und der Möglichkeiten anderer geht. Und auch hier – wie gesagt – sind die europäischen Regelungen ganz klar, die Gerichtsurteile sind ganz klar, und das wird die Bundesnetzagentur auch durchsetzen. Und insofern haben wir das auch aus Überzeugung getan.
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