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Müller-Vogg: Wulff wäre ohne den Ehrensold am Ende

Ein Bundespräsident bekommt den Ehrensold, das sei die Rechtslage, sagt der "Bild"-Kolumnist und Wulff-Biograf Hugo Müller-Vogg. Es gebe "so eine Stimmung, einen Mann, der schon am Boden liegt, jetzt auch noch finanziell ruinieren zu wollen". Das könne er nicht nachvollziehen.

Hugo Müller-Vogg im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Martin Zagatta: Das Kapitel Christian Wulff als Bundespräsident wird heute mit seiner offiziellen Verabschiedung, mit diesem Großen Zapfenstreich abgeschlossen, und verbunden sind wir jetzt mit dem Publizisten Hugo Müller-Vogg, der sich als Kolumnist der "Bild"-Zeitung und früherer Mitherausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" nicht nur bestens im politischen Berlin auskennt, sondern als Biograf von Christian Wulff auch das zurückgetretene Staatsoberhaupt so gut kennt wie kaum ein anderer. Guten Tag, Herr Müller-Vogg.

    Hugo Müller-Vogg: Guten Tag, Herr Zagatta.

    Zagatta: Herr Müller-Vogg, wie blicken Sie auf diese Veranstaltung heute Abend? Ist das eine Peinlichkeit, oder ist das auch unter diesen Umständen eine Formalie, an der nicht gerührt werden darf?

    Müller-Vogg: Also zunächst einmal bin ich der Meinung, dieser Zapfenstreich gilt dem Bundespräsidenten und dem Amt, und nicht in erster Linie der Person Christian Wulff. Man muss ja auch sehen, dass die Verfehlungen, die ihm vorgeworfen werden und wegen derer auch teilweise ja staatsanwaltschaftlich ermittelt wird, dass die nicht in der Amtszeit des Präsidenten vorgekommen sind, sondern alle vorher in der Zeit des Ministerpräsidenten. Also insofern, muss ich sagen, verstehe ich die Aufregung nicht ganz.

    Zagatta: Auch nicht, dass dann Altpräsidenten, Wulffs Vorgänger, dass die diese Veranstaltung boykottieren, oder ist das hinzunehmen?

    Müller-Vogg: Herr Zagatta, wir sind gar nicht genau informiert alle, ob die Herren überhaupt eingeladen wurden. Ich meine, es haben ja in den letzten Tagen einige Leute lauthals ihren Protest oder ihren Boykott angekündigt, die nachweislich keine Einladung hatten. Insofern: Altpräsident Köhler ist im Ausland, der Altpräsident Scheel ist gesundheitlich nicht ganz so in Schuss, wie er es sicherlich gerne wäre. Mir fehlen da jetzt wirklich definitiv die Hintergründe, um sagen zu können, die vier Herren boykottieren.

    Zagatta: Herr Müller-Vogg, für Aufregung sorgt ja, dass Wulff trotz der etwas unehrenhaften Umstände seines Abgangs nun lebenslang einen Ehrensold kassieren soll, nach nur 20 Monaten im Amt und trotz dieses Abgangs. Ist das für Sie in Ordnung?

    Müller-Vogg: Zunächst einmal ist das die Rechtslage, dass ein Bundespräsident den Ehrensold bekommt. Mich irritiert etwas, dass beispielsweise ein Mörder, Kinderschänder oder Vergewaltiger nach Ablauf seiner Strafe durchaus Rechtsansprüche hat auf seine Rentenversicherungsleistungen, und hier gibt es offenbar so eine Stimmung, einen Mann, der schon am Boden liegt, jetzt auch noch finanziell ruinieren zu wollen. Ich meine, Christian Wulff ist ja härter gestraft, als man sich das bei einem Politiker gar nicht vorstellen kann. Er ist 52 Jahre, er steht am Ende seiner politischen Karriere, er ist verschuldet durch den Hauskauf, auch durch die immensen Kosten für seine Verteidigung und für seine Rechtsanwälte. Also ich kann nicht nachvollziehen, dass Leute sagen, wenn Politiker versagen, wenn sie Fehler machen, dann müssen sie aus dem Amt, und gleichzeitig sagen, und dann wollen wir sie auch noch finanziell am Ende darben sehen. Das, muss ich sagen, finde ich nicht ganz fair.

    Zagatta: Aber das sind ja nicht nur Fehler. Die Vorwürfe, die sind ja recht heftig. Sie kennen Wulff sehr genau, Sie haben ein Buch über ihn geschrieben mit dem Titel "Der Wahrheit verpflichtet".

    Müller-Vogg: Nein! "Besser die Wahrheit" war das.

    Zagatta: Oder "Besser die Wahrheit", genau so ist es. Die Wahrheit hat er ja wohl offenbar nicht immer gesagt. Ist Wulff für Sie heute, aus heutiger Sicht überhaupt noch ein Ehrenmann?

    Müller-Vogg: Also er hat mit Sicherheit nicht immer die Wahrheit gesagt, er hat immer nur Teilwahrheiten gesagt. Ob er in einem Punkt wirklich direkt gelogen hat oder immer nur sich auf das versteift hat, was ohnehin bekannt war, was nicht mehr abgeleugnet werden konnte, das werden auch die gerichtlichen Ermittlungen noch sehen. Zunächst einmal gilt auch für den bisherigen Bundespräsidenten Wulff die Unschuldsvermutung. Wir wissen noch gar nicht, ob Anklage erhoben wird.

    Zagatta: Wulff selbst hat aber dafür plädiert, an der so reichlichen Versorgung von Politikern, ausdrücklich auch - das hat er so gesagt bei seinem Amtsantritt - an den Ansprüchen, diesen finanziellen Ansprüchen des Bundespräsidenten, Abstriche vorzunehmen. Dazu schweigt er jetzt. Ist das nicht peinlich?

    Müller-Vogg: Zunächst einmal muss man jetzt, glaube ich, unterscheiden, ob jemand, der nur so kurz im Amt war, lebenslänglich den vollen Ehrensold bekommt, oder ob es generell nicht in Ordnung ist, dass ein Bundespräsident aus dem Amt ausscheidet, auch durchaus, wenn es in allen Ehren geschieht und nach Ablauf von ein oder zwei Perioden, dass dem das ungeschmälerte Amtsgehalt weiter als Pension bezahlt wird und das nicht gekürzt wird. Sehen Sie, ich habe auch mit Horst Köhler damals ein großes Interview gemacht, wo er sagte vor seinem Amtsantritt: Wenn alle sparen müssen, sollte man durchaus auch bei der Altersversorgung des Bundespräsidenten überlegen, ob man das nicht kürzt. Christian Wulff hat dasselbe gesagt, das ist richtig. Aber jetzt muss ich sagen, wir leben in einer parlamentarischen Demokratie. Kein Bundespräsident kann per Federstrich sagen, ich kürze jetzt einfach mal den Ehrensold, ich ändere jetzt einfach mal die gesetzlichen Bestimmungen. Das hätte das Parlament machen können, und das Parlament hat in der Frage seit Jahren nichts getan und das kann man beim besten oder beim schlechtesten Willen eigentlich nicht ehemaligen Präsidenten vorwerfen.

    Zagatta: Das ja. Aber Wulff könnte ja jetzt in dieser Situation sagen, ich verzichte auf das oder jenes. So etwas erwartet der eine oder andere oder hätte der eine oder andere ja von ihm erwartet.

    Müller-Vogg: Ja, das könnte er, wobei das unter Juristen strittig ist, ob man überhaupt auf Rechtsansprüche verzichten kann. Sicher, er könnte sagen, ich nehme es, wenn ich nicht verzichten kann, und spende es. Auf der anderen Seite: Christian Wulff wäre ohne den Ehrensold, glaube ich, finanziell am Ende. Dieser Ehrensold, wobei der Name nicht der glücklichste ist, diese Präsidentenpension gibt es ja deshalb, weil man davon ausgeht, dass ein ehemaliger Präsident keinen normalen Brotberuf, wie ich das mal nenne, übernehmen kann. Es lässt sich ja mit der Würde des Amtes schlecht vereinbaren, dass jemand dann ein Schild an das Haus hängt und sagt, Fachanwalt für Scheidungsrecht oder Ähnliches, weil er bei allem was er tut, in sogenannten normalen Berufen immer auch im Fokus der Öffentlichkeit steht. Wie verhält sich ein ehemaliger Präsident, darf ein Präsident, ein ehemaliger Präsident, ohne dem Amt zu schaden, gewisse Mandate annehmen, gewisse berufliche Tätigkeiten übernehmen oder nicht? Insofern: Aus der Überlegung ist das so entstanden. Allerdings ich glaube, es kommt bei Christian Wulff noch etwas zweites hinzu. So wie ich ihn einschätze, ist er zutiefst davon überzeugt, dass juristisch an dieser Sache nichts dran ist, dass es nicht zur Anklageerhebung kommt beziehungsweise dass es nicht zu einer Verurteilung kommt, und insofern hat er ein subjektives Gefühl, dass ihm Unrecht getan wird. Ob das so ist, das muss nicht jeder unterschreiben, aber ich glaube, das ist seine Stimmungslage.

    Zagatta: Der Publizist Hugo Müller-Vogg. Herr Müller-Vogg, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

    Müller-Vogg: Gerne.

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