Müller sagte, ein Kilogramm Kaffee koste in Deutschland rund zehn Euro. Davon blieben nur 50 Cent für die Plantagenbauer in Westafrika. "Es kann nicht sein, dass wir die Ressourcen für unseren Wohlstand nutzen, aber mehr oder weniger nichts in diesen Ländern lassen." Er betonte gleichzeitig, korrupte und autoritäre Regierungen bekämen kein Geld aus Deutschland. Es gebe aber eine humanitäre Verpflichtung, zu helfen.
Freihandelszone mit den Maghreb-Staaten
Der Entwicklungsminister sprach sich zudem dafür aus, die nordafrikanischen Länder in die europäische Wirtschaftsgemeinschaft zu integrieren. Es liefen bereits Bemührungen für eine Freihandelszone der Maghreb-Staaten und Ägyptens mit der EU. So könne der jungen Generation vor Ort eine Perspektive gegeben werden.
Im November hatte Müller angekündigt, einen "Marshall-Plan mit Afrika" erarbeiten zu wollen. Dabei geht es ihm darum, zunächst Strukturen und politische Fähigkeiten in Afrika zu stärken.
Tajani fordert EU zu Marshall-Plan auf
Ähnliches fordert EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani: Er will, dass die Europäische Union einen Marshall-Plan für Afrika entwickelt. Man müsse dort jetzt mehrere Milliarden Euro investieren, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Sonst kämen in den kommenden 20 Jahren Millionen Afrikaner nach Europa. Das Problem betreffe alle EU-Staaten, nicht nur Italien oder Deutschland.
Das komplette Interview zum Nachlesen:
Doris Simon: Alternativen zur Flucht entwickeln, private Investitionen in Afrika stärker fördern und mehr deutsche Hilfe für die besten afrikanischen Staaten bei Reformen. Das sind Kernideen von Entwicklungshilfeminister Müller, CSU, für die er sich unter dem Namen "Marshall-Plan mit Afrika" einsetzt, allerdings ohne die Milliarden, die dem Original- Marshall-Plan und dem Wiederaufbau in Deutschland und Europa zum Erfolg verholfen haben. Wir erreichen Minister Müller heute Morgen in Ouagadougou, der Hauptstadt Burkina Fasos. Guten Morgen!
Gerd Müller: Guten Morgen nach Deutschland. Es ist ja ein technisches Wunder, dass wir über das Handy miteinander telefonieren können.
Simon: Ja, aber es funktioniert eben auch in Burkina Faso, obwohl das eines der ärmsten Länder Afrikas ist. Viele Menschen dort müssen im Ausland Geld verdienen. Burkina Faso hat Privatinvestoren so gut wie nichts zu bieten. Bekommt mit Ihrem Marshallplan mit Afrika auch so ein Land künftig noch Geld aus Deutschland?
Müller: Nein, es geht nicht um Geld, dass wir jetzt Milliarden in diese Länder bringen. Wir müssen die Eigenentwicklungskräfte der Länder stärken. Ich habe gestern Abend mit Politikern hier gesprochen, mit der Finanzministerin, und treffe anschließend den Staatspräsidenten. Burkina Faso hat einen Wechsel zur Demokratie vollzogen ohne große Gewalt, erste freie Wahlen, und ist ein Stabilitätsfaktor. Die Bevölkerung ist fleißig, arbeitsam, aber sie braucht natürlich Perspektiven. Und deshalb bin ich hier. Und wir investieren in dieses Land, in Aufbauhilfen und insbesondere in die Stärkung der Landwirtschaft. Ich werde heute ein Agrarinnovationszentrum einweihen, wo wir junge Leute ausbilden in der Wertschöpfungskette Reisanbau und bei der Frage Baumwolleveredlung.
Simon: Das heißt aber, auch dieses Land kann vielleicht nicht unbedingt nicht nur mit dem Marshallplan weiter auf Hilfe von Deutschland zählen. Wenn wir uns mal die Kriterien anschauen, wer denn gefördert werden soll – es gibt ja in Afrika auch Länder, die mit Demokratie nichts am Hut haben, mit Rechtsstaat auch nicht, zum Beispiel Äthiopien, die aber viel für die Entwicklung ihrer Länder und ihrer Bevölkerung getan haben. Können die denn auf Hilfe von Ihnen zählen?
"Hier geht es um Humanität"
Müller: Grundsätzlich arbeiten wir mit den ärmsten Ländern zusammen. Hier geht es um Humanität, um Überlebenssicherung, auch mit dem Blickpunkt Flucht. Und gerade Westafrika, die Länder, auch Côte d'Ivoire und andere, Nigeria, sind mit die ärmsten Länder der Welt, und hier haben wir auch eine humanitäre Verpflichtung. Es gibt Potenzial, und dieses Potenzial gilt es zu entwickeln. Zum Beispiel morgen bin ich in der Elfenbeinküste. Aus diesem Land beziehen wir in Deutschland ganz erheblich Kaffee und insbesondere Kakao. Hier geht es darum, die Wertschöpfungsketten zu stärken. Bei Kaffee – Sie haben heute früh eine Tasse Kaffee getrunken – ein Kilo Kaffee in Deutschland kostet etwa zehn Euro. Davon bleiben aber nur 50 Cent bei den Plantagenbauern hier in Westafrika. Das müssen wir ändern. Es muss die Veredlung auch hier vor Ort stattfinden. Die Menschen brauchen Arbeit und eine höhere Wertschöpfung. Es kann nicht sein, dass wir Baumwolle, Kaffee, Kakao, aber auch Gold, Öl aus diesen Ländern beziehen, die Ressourcen nutzen für unseren Wohlstand, und mehr oder weniger nichts in diesen Ländern selbst lassen.
Simon: Herr Müller, ich hatte aber – entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche, aber ich wollte noch mal wissen, die Kriterien sind also für Sie nicht, wie sehr ein Staat sein Land entwickelt, sondern, wie Sie anfangs sagten, die Bedürftigkeit?
"Korrupte Regierungen bekommen von uns kein Geld in Form von Zuschüssen"
Müller: Die Bedürftigkeit – es steht außer Frage, hier geht es um die Menschen, und wir arbeiten da auch nicht unmittelbar mit den Regierungen zusammen. Man muss unserer Bevölkerung sagen, diese Regierungen, korrupte Regierungen, autoritäre, bekommen von uns kein Geld in Form von Zuschüssen. Wir finanzieren höchstens über Darlehen, die zurückgezahlt werden müssen. Und natürlich ist ein Hauptkriterium die Einhaltung der Menschenrechte, Kampf der Korruption und Good Governance. Das sind die Grundkriterien für die Zusammenarbeit. Reform Champions heißt, wir werden Länder auswählen, die von sich aus sagen, jawohl, wir wollen diesen Weg jetzt gehen. Gute Regierungsführung, Einhaltung der Menschenrechte. Und diese Länder werden wir gezielt und stärker fördern wie bisher.
Simon: Sie nannten eben die Wertschöpfungskette. Wenn wir in der Elfenbeinküste bleiben, also nicht mehr nur Kakao verkaufen, sondern möglichst auch die Schokolade. Wenn wir auf die deutschen Unternehmen schauen, da gibt es 400.000, die in der Welt investieren, aber nur tausend in Afrika. Die werden abgehalten, deutsche Unternehmer, wegen Unsicherheit, wegen schwacher Institutionen, fehlender Infrastruktur, zu wenig Fachkräfte. Wie wollen Sie deutsche Unternehmer dazu kriegen – das wird sich ja alles nicht ändern in den Bedingungen, jedenfalls nicht schnell –, trotzdem mehr in Afrika zu investieren?
Müller: Ich will noch mal sagen, beispielsweise bei Baumwolle gibt es bereits deutsche Unternehmen, darf ich auch sagen, die Otto-Gruppe, die hier in der Region investiert und die Veredlung der Baumwolle hier vornimmt.
Simon: Aber es müssen ja mehr werden.
Müller: Die großen Baumwollballen. Es muss mehr werden. Ich besuche eine Fabrik, eine französische, aber gut, die Kakao hier zu Schokolade verarbeitet und nicht in Hamburg. Diese Wertschöpfungskette können wir aufbauen. Die Bevölkerung hier ist vorhanden, der Wille ist da, und dazu bilden wir jetzt die Leute aus.
Simon: Die Unternehmer sagen aber, die Bundesregierung möchte gerne mehr Investitionen von uns in Afrika, kümmert sich aber politisch nicht um die Rahmenbedingungen.
"Entwicklungspolitik ist Friedenspolitik"
Müller: Die Rahmenbedingungen sind in den Ländern unterschiedlich. Wir müssen verstehen, Afrika ist ein Kontinent. Wenn Sie von Kairo nach Kapstadt fliegen, dauert das zehn Stunden. Das sind 54 Länder, 85-mal so groß wie Deutschland. Jedes Land, jede Region muss anders betrachtet werden. Wir haben jetzt über Westafrika gesprochen. In Ostafrika haben wir im Augenblick eine große Hungerproblematik. Hier ist dringend Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft gefordert. Die Länder können dafür nur bedingt, das ist das Klimaphänomen El Nino, und hier tragen wir auch eine Verantwortung, nicht zuzuschauen, wie Hunderttausende verhungern. Im Südsudan, wenn ich das aktuelle Thema ansprechen darf, herrscht Bürgerkrieg. Aber auch da trägt die Welt eine Verantwortung. Die UN, die Weltvölkergemeinschaft hat diesen Staat in die Unabhängigkeit entlassen vor einigen Jahren, aber nicht dafür Sorge getragen, und hier bin ich bei der Entwicklungspolitik, Entwicklungspolitik ist Friedenspolitik, diesem Land stabile Strukturen zu verleihen und es zu begleiten in der Unabhängigkeit.
Simon: Herr Müller, Sie beschreiben das Problem, aber was wollen Sie mit Ihren Plänen daran ändern?
Müller: Wir werden mit unseren Plänen insbesondere in wirtschaftliche Entwicklung, in Ausbildung, in Gleichberechtigung der Frauen in den Ländern investieren, mit denen wir vornehmlich zusammenarbeiten. Nun kommt es darauf an, diese Vorstellungen mit der Europäischen Union zu koordinieren, mit unseren Partnern, Franzosen, Briten und anderen, aber auch mit der Weltgemeinschaft. Und wir sind in Kürze, die Bundeskanzlerin, in Tunesien. Tunesien ist beispielsweise ein Land, wo bereits 400 deutsche Firmen erfolgreich zusammenarbeiten. Marokko ist ein Land – wir dürfen nicht immer nur über die Schattenseiten berichten. In Marokko hat die deutsche Automobilzulieferung 20.000, 30.000 Arbeitsplätze geschaffen. Das sind Partnerschaften, die wir weiterentwickeln können. Ich glaube, insbesondere der nordafrikanische Raum ist für Europa ein – sind Länder, wo wir eine Situation schaffen können wie in Osteuropa vor 25 Jahren, Polen, Tschechien. Wir müssen diesen Raum in die europäische Wirtschaftsgemeinschaft integrieren, und dazu bedarf es auch fairen Handels. Wie bieten diesen Ländern ja noch überhaupt nicht offenen, fairen Marktzugang, sondern wir nutzen sie als Ressourcenlieferant.
Simon: Werden Sie das ändern? Das kann ja Deutschland – Entschuldigung, werden Sie das ändern? Das kann Deutschland ja mit ändern in der Europäischen Union.
Müller: Deutschland kann natürlich viel bilateral tun. Deshalb verstärken wir insbesondere in Nordafrika unsere Zusammenarbeit. Und derzeit laufen die Verhandlungen mit der Europäischen Union zum Aufbau einer Freihandelszone Nordafrika inklusive Ägyptens mit der Europäischen Union. Diesen Prozess müssen wir vorantreiben, damit wir dort auch wirtschaftlich prosperierende Staaten entwickeln können und insbesondere der jungen Generation eine Zukunft geben.
Simon: Herr Müller ... ?
Müller: Einer meiner Hauptschwerpunkte ist Ausbildung. Berufliche Bildung für Millionen von jungen Menschen.
Simon: Herr Müller, entschuldigen Sie bitte, die Leitung wird inzwischen so schlecht. An dieser Stelle müssen wir leider das Gespräch beenden. Viel Erfolg Ihnen auf Ihrer Afrikareise. Das war Entwicklungshilfeminister Gerd Müller, CSU, aus Burkina Faso. Und wir bitten Sie alle, die schlechte Leitung zu entschuldigen.
Müller: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.