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München
Ringen um Stolpersteine

In vielen deutschen Städten liegen die Stolpersteine: kleine messingfarbene Pflastersteine mit Namen von jüdischen Bürgern, die aus ihrem Wohnhaus verschleppt und im KZ umgebracht wurden. Es gibt sie fast überall, selbst in Amerika - aber nicht in München. Zumindest nicht auf öffentlichem Grund und das wird sich aller Voraussicht vorerst auch nicht ändern.

Von Susanne Lettenbauer |
    Im Hof eines Hauses in München sind in den Boden Stolpersteine eingelassen - eine Verlegung auf öffentlichem Grund ist dort nicht möglich. Die in ganz Europa verteilten Gedenktafeln des Künstlers Gunter Demnig sollen an das Schicksal der Menschen erinnern, die im Nationalsozialismus vertrieben, deportiert und ermordet wurden.
    Im Hof eines Hauses in München sind in den Boden Stolpersteine eingelassen - eine Verlegung auf öffentlichem Grund ist dort nicht möglich. (picture-alliance / dpa / Andreas Gebert)
    Ortstermin Färbergraben 4. Mitten in der Münchner Altstadt. Ein Ort, den man schon unzählige Male ohne Blick auf den Boden gedankenlos passiert hat: Gehwegplatten wechseln sich hier ab mit Pflastersteinen. Amelie Fried schaut sich die Spalten zwischen den Steinen genau an, überlegt:
    "Hier zum Beispiel sind schon einige von den Granitkopfsteinpflastern locker, da könnte man ohne Weiteres zwei Stolpersteine einmauern."
    Amelie Fried. Moderatorin, Autorin. Sie steht da unter einem Baum, vor einem schmucklosen Neubau. Etwas gereizt. Das liegt nicht nur, aber auch an dem jahrelangen aufreibenden Kampf um Stolpersteine für München. Dass alles so lange dauert. Dass München sich so schwer tut, das nerve zunehmend, sagt sie.
    Hier am Färbergraben 4 hätte sie schon längst ihrer Vorfahren gedenken wollen - mit zwei Stolpersteinen:
    "Weil in diesem Haus, nicht in diesem, was hier steht, sondern in einem Haus an dieser Adresse mein jüdischer Großonkel Max Fried und meine Großtante Lilly Fried gelebt haben und aus diesem Haus zunächst in das sogenannte Judenhaus in der Frundsbergstraße 8 gebracht wurden, zwangsweise, später ins Auslieferungslager in Berg am Laim, und von dort aus im März 1943 nach Auschwitz deportiert und dort umgebracht wurden."
    Wenig praktikables Gedenken
    Genau hier könnten sie liegen, die Stolpersteine für ihre Verwandten. Werden sie aber nicht. Stattdessen sollen Angehörige von Münchner Opfern Gedenktafeln an Hauswänden und Stelen vor den Häusern beantragen dürfen. So sieht es der Antrag von SPD und CSU vor, und so wird er auch Ende Juli mit fast hundertprozentiger Sicherheit den Stadtrat passieren.
    "Überlegen Sie mal, wenn Sie hier auf diesem Gehweg überall vor diesen Häusern, und hier haben bestimmt viele jüdische Menschen gelebt, wenn da überall Stelen vor der Tür stehen, das ist nicht praktikabel. Da fallen Sie drüber, da werden Fahrräder dran geschlossen. Die werden genauso wenig wahrgenommen wie irgendwelche Tafeln.
    Aber wenn im Straßenpflaster eingelassen diese messingglänzenden Steine zu sehen sind, die springen sofort ins Auge."
    Um dann draufzutreten. Lautet zumindest das Argument der Israelitischen Kultusgemeinde München. Ihr aktueller Beschluss hat die alten Argumente von 2004 gegen die Stolpersteine noch einmal bekräftigt.
    Damals, ja damals vor zehn Jahren bei der ersten ablehnenden Entscheidung gegen Stolpersteine hätte sie es noch verstanden, sagt Amelie Fried nachdenklich. Doch heute? In fast jeder deutschen Stadt liegen sie mittlerweile.
    "Man hat schon das Gefühl, dass es hier Opfer erster und zweiter Klasse gibt in dieser Stadt und das die einen darüber bestimmen, wie die anderen gedenken sollen. Ich finde das nicht in Ordnung."
    Wenn die jüdische Gemeinde die goldenen Gedenksteine aus bestimmten Gründen ablehnt, sollten sie doch anderen Opfergruppen erlaubt sein, meinen die Befürworter. Den Opfern der Euthanasie, den Sinti und Roma, den Homosexuellen. Denn auch sie warten nur auf das Okay von der Stadtspitze.
    Keine neue Debatte anstoßen
    Bloß nicht, wehrt Alexander Reissl ab, Fraktionsvorsitzender der Rathaus-SPD, Ältestenrat, seit 1996 im Stadtrat.
    "Jetzt zu sagen, es gibt das Bedenken der IKG gegen Stolpersteine für Juden, aber für andere Opfergruppen zuzulassen, das vereinfacht die Debattenlage ja überhaupt nicht. Dann hat man ja sofort eine neue Auseinandersetzung, aber wir wollen das dann auch für Juden, wird dann begründet mit Angehörigen."
    Nein, keine Neuöffnung mehr. Nicht schon wieder diskutieren. Den mühsam gepflasterten Münchner Weg aus Stelen, Haustafeln und irgendwann folgenden Kunstprojekten wieder aufzureißen, das will hier keiner mehr im Münchner Rathaus.
    Selten einmütig sind sich SPD und CSU darin einig. Basta. Dass Dutzende Stolpersteine bereits fertig gemeißelt in einem Münchner Keller auf ihre Verlegung warten – egal. Stattdessen kursieren im Stadtrat weitere Gedenkideen zu Kunstprojekten, die man am Königsplatz ausschreiben will, Namenstafeln oder so.
    "Und zwar im unmittelbaren Umfeld von dem neuen NS-Dokumentationszentrum."
    Alles Ablenkung
    Alles Ablenkung, wettert Amelie Fried am Färbergraben 4. Noch eine zentrale Gedenktafel, noch eine Auflistung aller Opfernamen, was sich niemand mehr anschaut.
    Das könne man so pauschal nicht sagen, erklärt Münchens zweiter Bürgermeister Josef Schmidt, CSU, in seinem Büro im Rathaus. Das grundlegende Problem sieht er darin, dass Stolpersteine ja ein Bodendenkmal sind. Zu denen könne man nicht aufschauen, sondern nur hinab:
    "Kann man nicht zentral noch mal ein Denkmal errichten, bei dem jedem einzelnen Namen, hinter dem immer ein einzelner Mensch steht, noch mal gedenken, etwa in Form einer großen Tafel, vielleicht in Sichtweite zum NS-Dokumentationszentrum?"
    Für den zweiten Bürgermeister Josef Schmidt ist die Sache klar. München und nicht irgendein Künstler ist für das Gedenken in der ehemaligen "Hauptstadt der Bewegung" verantwortlich:
    "Das hätte auch den Vorteil, dass dann im Zuge eines solchen Wettbewerbs auch für das Ergebnis der jeweiligen Stele die Urheberrechte bei der Landeshauptstadt München liegen könnten."
    Der Stolpersteinerfinder Gunter Demnig wäre damit raus aus dem Projekt, raus aus München. Selber Schuld, sagt SPD-Mann Reissl. Demnig beharrte auf seinem Urheberrecht, wollte nicht mit sich reden lassen, was ja die Münchner versuchten in den vergangenen Wochen, deshalb nun ein Münchner Weg – endgültig.
    Die Initiative für Stolpersteine wird weiterkämpfen, auch nach der Entscheidung Ende Juli. Und Amelie Fried wird weiterkämpfen.
    "Ich bin sehr traurig über diese Entscheidung, die da demnächst getroffen wird und ich werde nicht aufhören für die Stolpersteine zu kämpfen."